Kapitel 1

87 4 6
                                    

Lissy saß in ihrem Zimmer. Eigentlich war es nicht nur ihr Zimmer, sondern auch das von drei anderen Mädchen, mit denen sie es sich teilte. Im Sonnecker Internat für hilfsbedürftige Kinder gab es keine Einzelzimmer. Aber es war immer noch besser als damals im Waisenhaus. Dort hatte es nur einen einzigen riesigen Schlafsaal gegeben. Das Internat war das Beste, das Lissy je passiert war. Wenn sie hier genug lernen würde, könnte sie eines Tages etwas aus ihrem Leben machen. Einen richtigen Beruf erlernen. Ein normales Leben führen.
Lissy hasste es arm zu sein. Seit sie sich erinnern konnte war sie es gewesen. Sie war im Waisenhaus aufgewachsen und hatte ihre Eltern nie gekannt. Das, was für sie einer Familie am nächsten kam, war ihre beste Freundin Sophia. Sophia war im Waisenhaus bei ihr gewesen und war jetzt auf dieser Schule bei ihr. Sie war immer nett zu allen, egal wie schlecht es ihr selbst gerade ging. Außerdem mochte sie einfach jeden. Sogar Lissy. Obwohl Lissy im Gegensatz zu ihrer Freundin fast immer schlecht gelaunt war und nie viel mit anderen redete. Aus diesem Grund war Sophia auch nicht nur ihre beste, sondern auch ihre einzige Freundin. Auch mit den beiden anderen Mädchen aus ihrem Zimmer hatte sie sich nicht angefreundet, obwohl sie sich nun schon seit mehreren Monaten ein Zimmer teilten und in derselben Klasse waren. Die Mädchen waren zwar immer nett und höflich, jedoch hatte Lissy das Gefühl von ihnen nicht gemocht zu werden.
Die meisten Leute hatten etwas gegen sie, allein schon wegen ihres Aussehens. Mit ihren schwarzen Haaren und der blassen Haut erinnerte ihr Aussehen an einen Vampir, da war es klar, dass sie nicht gerade beliebt war. Schließlich hatte es erst vor kurzem wieder einen Zeitungsbericht über einen Vampirangriff im Dunkelwald gegeben. Ein paar Holzfäller hatten es gewagt bei ihrer Arbeit den Dunkelwald zu betreten. Sie waren den Vampiren nur knapp entkommen, da diese den Wald bei Tageslicht nicht verlassen konnten.
Lissy wünschte sich sie sähe mehr aus wie Sophia, die mit ihrem blonden Haar und dem freundlichen Gesicht immer bei allen gut ankam. Neidisch starrte sie zu ihrer Freundin herüber. Sophia packte gerade einige Hefte für den heutigen Unterricht in ihre Schultasche, wie immer war sie dabei übertrieben ordentlich. Sie blickte auf. „Ist irgendwas?“, fragte sie. „Was? Ne, was soll denn sein?“, entgegnete Lissy. „Komm, lass uns runtergehen, sonst verpassen wir noch das Frühstück“, fügte sie nach einem Blick auf die alte Uhr hinzu, die an der Wand über der Tür hing.

Auf dem Weg zum Speisesaal mussten sie von ihrem Zimmer im vierten Stock bis ganz nach unten laufen. Auf dem Weg nach unten kamen sie an einigen verschmutzten Fenstern vorbei, durch die Lissy den Garten sehen konnte. Sehnsüchtig blickte sie nach draußen. Lissy liebte den Garten. Er war riesig und man konnte fast immer eine dunkle Ecke finden, in der man allein sein konnte. Im vorderen Bereich, wo der Garten von einigen Schülern gepflegt wurde, die sich etwas dazuverdienen wollten, gab es ordentliche Blumenbeete, die von genauso ordentlichen Wegen durchkreuzt wurden und sogar einen Teich. Wenn es wie jetzt gerade Sommer war, flatterten kleine Feuerelfen zwischen den Blumen  umher. Der Garten war wohl einer der schönsten Orte des Internats. Doch weiter hinten gingen die Blumenbeete in ein kleines Wäldchen über. Hinter dem Wäldchen stand ein Zaun, hinter dem sich eine Wiese befand. Hinter der Wiese stand ein höherer Zaun, der mit rostigem Stacheldraht gekrönt war. Und hinter diesem Zaun begann der Dunkelwald. Das war der Grund warum die meisten Schüler sich nicht gerne in dem Wäldchen aufhielten, denn wie jeder vernünftige Bewohner des Landes Sonnlingen hatten sie Angst vor dem Dunkelwald mit seinen finsteren Kreaturen und wollten so viel Abstand wie nur möglich halten. So kam es, dass der gepflegte Teil des Gartens zwar ein beliebter Aufenthaltsort war, da das kleine Wäldchen den Blick auf den Dunkelwald verbarg, aber kaum jemand einen Fuß in das Wäldchen selbst setzte. Was das Wäldchen zum perfekten Ort machte um allein zu sein.

„Lissy!“, unterbrach Sophia ihre Gedanken. Erst jetzt bemerkte Lissy, dass sie stehengeblieben war und immer noch vor dem Fenster stand. „Ich komme ja schon“, sagte sie schnell. Sie trafen auf dem Weg zum Speisesaal kaum andere Schüler, es war nämlich schon ziemlich  spät. Nur einige wenige verschlafene Nachzügler hielten sich noch auf den Fluren auf. Die lauten Stimmen der vielen Schüler aus dem Speisesaal konnte man schon von weitem hören. Im Speisesaal gab es einen langen Tisch für Lehrer und Personal. Die Schüler saßen an vielen runden, kleineren Tischen, die überall im Saal verteilt standen. Auf der Seite gegenüber der Tür, durch die Lissy und Sophia gerade den Raum betreten hatten befanden sich mehrere große Fenster, durch die man einen Blick auf den Schulhof hatte, der mit langweiligen grauen Steinen gepflastert war. Auf der rechten Seite des Saals waren mehrere rechteckige Tische aneinandergereiht worden. Auf diesen Tischen befand sich das Schulessen. Neben den Tischen führte eine unauffällige Tür zur Küche. Für das Frühstück war allerdings noch nichts gekocht worden. Wie jeden Morgen hab es nur altes Brot. Lissy nahm sich zwei Scheiben Brot und Käse. Sie folgte Sophia, die auf einen freien Tisch zulief. Lissy setzte sich auf ihren Stuhl und biss lustlos in ihr Brot. „Was haben wir heute? Ich kann mir diesen Stundenplan einfach nicht merken“, wollte sie von ihrer Freundin wissen. Auf Sophia war Verlass. Sie war immer ordentlich und gut organisiert. Sie hatte den Stundenplan schon in der ersten Schulwoche auswendig gekonnt. „Als erstes Landeskunde. Danach haben wir dann angewandte Magie, danach...“ „Hör auf! Ich kann mir das eh nicht merken. Es reicht mir vollkommen zu wissen was wir in den ersten beiden Stunden haben“, unterbrach sie Sophia. Diese schüttelte den Kopf über Lissy. „Also echt! Du hast doch gefragt. Außerdem solltest du den Stundenplan nach drei Monaten nun wirklich kennen.“ „Wieso denn?“, fragte Lissy unschuldig. „Du kannst ihn doch schon.“ Sophia schüttelte nur erneut den Kopf. „Bist du fertig mit Essen? Wir müssen uns langsam auf den Weg zum Unterricht machen, es ist schon ziemlich spät“, sagte sie dann.

Um zu den Klassenräumen zu gelangen mussten sie die Treppe in den ersten Stock hinaufgehen. Herr Heinermann, den sie in Landeskunde hatten, war schon in seinem Klassenraum. In seinem billigen Anzug stand er hinter dem Pult. Er wollte damit wohl seriös aussehen, was ihm allerdings nicht so recht gelang. Herr Heinermann war ziemlich dick und hatte ein Doppelkinn. Er sah einfach nur lächerlich aus.
Lissy ging zu ihrem Platz neben Sophia und ließ sich auf ihren Stuhl fallen. Sie schaute gelangweilt zu, wie immer mehr Schüler nach und nach im Klassenzimmer eintrafen, bis Herr Heinermann schließlich mit dem Unterricht begann. Er deutete auf eine Karte von Sonnlingen, die an der Wand hing. „Wer kann mir etwas über unser Land erzählen?“, fragte er in die Klasse. Einige Schüler meldeten sich, als allererstes Gerald Maisingen. Er war ein ziemlicher Streber und verbrachte seine Zeit damit in der Bibliothek zu sitzen und Lexika zu lesen. Aber natürlich nahm Herr Heinermann keinen der Schüler dran, die sich meldeten. „Jakob“, sagte er knapp. „Was?“ Jakob, der mal wieder nicht aufgepasst hatte, wusste nicht was der Lehrer von ihm wissen wollte. „Ich hatte gefragt, was du mir über unser Land erzählen kannst“, wiederholte Herr Heinermann sich. „Also?“ „Ähm... unser Land heißt Sonnlingen... und unsere Hauptstadt ist Lichtental...“, stotterte der verunsicherte Schüler los. „Und weiter?“ Jakob starrte intensiv auf die Karte. „Ein großer Teil unseres Landes wird vom Dunkelwald bedeckt... ähm... die Hälfte... glaube ich...“, fuhr er stockend fort. Herr Heinermann blickte Jakob fast schon bedauernd an und schrieb mit einem rotem Stift etwas in sein Notenbuch. „Möchte jemand anderes weiterreden?“, fragte er in die Klasse. Wieder meldete sich Gerald Maisingen und diesmal nahm Herr Heinermann ihn dran. Anscheinend hatte er keine Lust mehr auf weiteres Gestotter. „Der Dunkelwald bedeckt einen Drittel unseres Landes. Der Dunkelwald ist äußerst gefährlich, wegen der vielen dunklen Wesen die dort leben, wie zum Beispiel Vampire, Hydren und Schattengeister. Sobald sich ein Mensch in den Dunkelwald wagt, dauert es nicht lange bis er von einem dieser Wesen angegriffen wird. Darum halten wir uns von diesem Wald fern“, begann Gerald als hätte er seine Worte einstudiert. Vielleicht hatte er das ja auch. „Regiert wird Sonnlingen von unserer Königin, Celina von Lichtental. Sie ist unsere Königin obwohl sie die zweitgeborene ist. Ihre ältere Zwillingsschwester Ramona wäre eigentlich die Thronfolgerin gewesen, aber...“ Gerald legte eine dramatische Pause ein. „Vor zehn Jahren verriet sie unser Königreich. Und zwar kurz nach dem Tod ihres Vaters, nur wenige Tage bevor sie gekrönt werden sollte. König Simon führte damals unsere Armee gegen den Dunkelwald um den Überfällen der finsteren Kreaturen ein Ende zu setzen. Doch tragischerweise wurde er getötet. Unsere Armee zog sich nach dem Tod des Königs zurück. Nach der angemessenen Trauerzeit sollte Ramona zur Königin gekrönt werden. Aber sie nutzte ihre Magie zum Bösen und verbündete sich mit den finsteren Wesen des Dunkelwalds, eben jenen Wesen, die ihren Vater getötet hatten. Celina, die damals noch Prinzessin war, versuchte alles um ihre Schwester gefangen zu nehmen. Doch Ramona verfügt über gewaltige böse Zauberkräfte, so dass ihr die Flucht in den Dunkelwald gelang. Man sagt, dass Ramona immer noch dort lebt und einen Angriff auf unser Königreich plant“, endete Gerald spannend.
Obwohl Lissy die Geschichte schon oft gehört hatte, fragte sie sich erneut wie man nur so böse sein konnte. Ramona hatte nicht nur das Königreich, sondern auch ihre Familie verraten. Sie hatte ihre Schwester verraten. Das war es, was Lissy am schlimmsten fand. Sie hatte ihre Familie nie gekannt und ihre Eltern hatten sie wahrscheinlich weggegeben, aber die Verbindung zwischen Schwestern hatte sie sich immer als etwas besonderes vorgestellt. So wie ihre Verbindung zu Sophia. Schwestern sollten füreinander da sein und niemand sollte seine Schwester verraten. Aber es gab halt eben Böses auf der Welt, allein die Existenz des Dunkelwalds war ein Beweis dafür.
„Warum machst du denn so ein finsteres Gesicht?“, fragte Sophia grinsend. „Und jetzt beeil dich, die Stunde ist zu Ende“, sagte sie. Lissy blickte überrascht auf. Sie hatte die Schulklingel gar nicht gehört. Hastig stopfte sie ihre Sachen in die Schultasche und folgte ihrer besten Freundin in die Pause.

So, das erste Kapitel meines ersten Schreibversuchs geschafft. Entschuldigung für alle Rechtschreibfehler, die ich gemacht habe oder noch machen werde. Vielen Dank fürs Lesen, ich hoffe es hat euch gefallen. Ich würde mich freuen wenn ihr mir in den Kommentaren eure Meinung zu diesem Kapitel schreibt.

Der DunkelwaldWo Geschichten leben. Entdecke jetzt