Als Lissy aufwachte, hörte sie Stimmen. Aber es war nicht Sophias Stimme, und auch nicht die Stimme eines der anderen Mädchen aus ihrem Zimmer. Lissy fragte sich wer das war, aber aus irgendeinem Grund hatte sie fürchterliche Kopfschmerzen und musste sich sehr konzentrieren, um die Stimmen um sich herum verstehen zu können.
„Ich habe sie hergebracht, das ist das Wichtigste.“ Diese Stimme gehörte wahrscheinlich zu einem Jungen und kam Lissy irgendwie bekannt vor, auch wenn sie sich nicht erinnern konnte, wo sie diese Stimme schon einmal gehört hatte.
Und was meinte er mit hergebracht, wohin gebracht? Wo war sie überhaupt? Sie lag auf etwas weichem, aber es fühlte sich nicht an wie ihr Bett zu Hause im Internat.
Da sprach eine zweite Person, diesmal eine Frau: „Es ist gut, dass sie jetzt hier ist, Nikolai, aber der Schlag auf den Kopf war nun wirklich nicht nötig. Es wäre besser gewesen, du hättest sie dazu gebracht, freiwillig mit dir zu kommen.“Schlag auf den Kopf? Jetzt erinnerte sie sich. Sie war im Garten gewesen, dann war sie plötzlich von hinten angegriffen worden. Das erklärte die Kopfschmerzen. Daher kannte sie auch diese Stimme. Es war die Stimme des Angreifers. Dieser, anscheinend hieß er Nikolai, redete jetzt wieder: „Sie hätte sonst geschrien. Was hätte ich denn machen sollen? Mir ist schon klar, dass sie uns jetzt wohl kaum vertrauen wird.“ „Immerhin ist sie jetzt hier. Du solltest dich ausruhen, komm wir gehen. Falls sie aufwacht, schicke ich Mia zu ihr.“
Lissy hörte eine Tür zuschlagen. Sie wartete, bis die Schritte verklungen waren, bevor sie ihre Augen öffnete. Sie lag auf einer Art Bett, allerdings bestand die Matratze aus Moos, was reichlich seltsam war. Lissy setzte sich vorsichtig auf, immernoch hatte sie Kopfschmerzen. Sie befand sich in einem kleinen Raum, der ganz aus Holz bestand. Die Decke, die Wände und der Boden. Außerdem hatte der Raum keine Ecken, alles war irgendwie rund. Und das seltsame war, man konnte nirgendwo einzelne Bretter erkennen. Es sah so aus, als wäre alles aus einem einzigen Holzstück gemacht worden.
Was aber sicherlich nicht der Fall war, es musste Magie benutzt worden sein.
Es gab keine Fenster, trotzdem war es hell. Der Raum war von einem bläulichen Licht erfüllt.
Lissy fragte sich wirklich, wo sie war. Sie war entführt worden, aber wieso? Und was war das für ein Ort? Es gab eine Tür, sollte Lissy versuchen hinauszugehen?Die Entscheidung wurde ihr abgenommen, als jemand die Tür aufschloss und von außen aufriss. Ein kleines Mädchen kam in den Raum gelaufen. Lissy war verwirrt. Was hatte ein kleines Mädchen hier zu suchen, wo auch immer sie gerade war? Gehörte sie zu Lissys Entführern? Oder war sie auch entführt worden?
„Du bist wach“, sagte die Kleine. Sie konnte nicht älter als zehn sein, aber sie wirkte viel zu ernst für ein so kleines Kind. Ihre braunen Haare reichten bis zu den Schultern und ihr Gesicht war blass. „Geht es dir gut? Willst du etwas trinken?“ Die Kleine deutete auf einen Krug, der auf einem kleinen Tisch neben dem Bett stand. „Ja, gerne“, sagte Lissy nur. Sie hatte wirklich Durst. Wie lange sie wohl bewusstlos gewesen war?
Die Kleine schüttete Wasser aus dem Krug in ein Glas und reichte es Lissy. „Danke.“
Als Lissy trank ließen auch die Kopfschmerzen nach.
Ob das Mädchen ihr wohl Fragen beantworten würde? Lissy beschloss es zu versuchen: „Wie heißt du denn?“
Die Kleine schien überrascht von der Frage zu sein. „Mia“, antwortete sie nach kurzem Zögern.
Lissy beschloss Mia zu fragen wo sie waren, aber bevor Lissy das tun konnte, sagte die Kleine: „Guck mal, ich habe dir neue Klamotten mitgebracht.“ Die Sachen, die sie ihr gab, sahen aus wie die, die Mia trug: Das Oberteil und die Hosen waren schwarz, dazu ein dunkelgrauer Kapuzenumhang und außerdem ein Paar Lederstiefel.
„Danke“, sagte Lissy nur wieder.
„Ich muss Nikolai bescheid sagen, dass du wach bist, warte hier“, erklärte Mia bevor sie davon rannte.Nikolai bescheid sagen? Das hieß wohl, dass die Kleine zu den Entführern gehörte. Dabei war sie so nett zu Lissy gewesen...
Zum wiederholten Mal fragte Lissy sich warum sie entführt worden war. Sie war niemand, für den irgendwer Lösegeld bezahlen würde. Außer Sophia würde sie wahrscheinlich nicht einmal jemand vermissen und suchen würde sie erstrecht niemand. Selbst wenn Sophia es versuchen würde, finden würde sie sie bestimmt nicht. Lissy wusste ja selbst nicht wo sie war.
Aber Lissy würde schon irgendwie wieder nach Hause kommen. Sie musste einfach selbst fliehen.
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Der Dunkelwald
Fantasy„Hast du schonmal darüber nachgedacht, warum die Menschen das Böse mit Dunkelheit identifizieren und das Gute mit Licht?" Große Teile des Königreichs Sonnlingen werden vom gefährlichen Dunkelwald bedeckt. Dieser Wald ist von finsteren Kreaturen bev...