Kapitel 7

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Sophia hatte geweint. Sie hatte viel und lange geweint. Zum ersten Mal seit Jahren. Sie hatte gelernt, dass weinen ihr ja doch nichts brachte und es sich schon im Waisenhaus abgewöhnt. Doch diesmal hatte sie einfach nicht anders gekonnt.

Lissy hatte ihr versprochen zum Abendessen wieder zurück zu sein.
Sie hatte ihr Versprechen gebrochen. Als Lissy zu Beginn des Abendessens nicht im Speisesaal aufgetaucht war, hatte sie sich noch keine Sorgen gemacht. Sie hatte sich ein wenig über Lissy geärgert, sie musste einfach immer zu spät kommen! Das war sowas von typisch für sie! Erst hatte Sophia noch auf ihre Freundin gewartet, aber irgendwann hatte sie dann ohne ihre Freundin gegessen, wenn Lissy einfach nicht auftauchte war sie selbst schuld. Zu diesem Zeitpunkt hatte Sophia immer noch keinen Anlass gesehen sich um Lissy zu sorgen, es passierte schließlich oft, dass sie die Zeit vergaß. Lissy war sehr verträumt und brauchte manchmal einfach etwas Zeit für sich um in Ruhe nachdenken zu können. Wenn man Lissy nicht kannte, hätte man Lissy wahrscheinlich nicht so eingeschätzt, aber Sophia kannte Lissy schon fast ihr ganzes Leben lang. Lissy war schon immer so gewesen und würde sich wahrscheinlich auch nie ändern.
Nach dem Abendessen beschloss Sophia dann doch nach ihrer besten Freundin zu suchen.
Der Zeitpunkt, an dem sie begann sich Sorgen zu machen, war nachdem sie den gesamten Garten mit dem Wäldchen nach Lissy abgesucht hatte und sie nirgends gefunden hatte. Was sie dafür gefunden hatte, war ein Baumstumpf, der so aussah als hätte jemand vor kurzem darauf eingeschlagen oder getreten. Sie hatte Angst bekommen, ein finsteres Wesen aus dem Dunkelwald sei auf irgendeine Weise über den Zaun gekommen und habe Lissy etwas angetan. Beruhigend war, dass nirgendwo Blutflecken oder etwas ähnliches zu sehen waren. Das einzige Zeichen für Gewalt war dieser Baumstumpf, das müsste aber nicht unbedingt etwas mit Lissy zu tun haben. Sophia hatte zu dieser Zeit noch an ihre Hoffnungen geklammert, sie hatte sich vorgemacht Lissy sei einfach schon auf dem Zimmer, obwohl sie es in ihrem Innern schon gewusst hatte. Nachdem sie dann auf ihrem Zimmer nachgesehen hatte, war es ihr endgültig bewusst geworden: Lissy war verschwunden.
Als ihr das klar geworden war, war sie natürlich sofort zu Frau Gelbstein geeilt. Diese war schockiert über Sophias Nachrichten gewesen und hatte versprochen gleich morgen früh mit der Suche zu beginnen. „Eine verschwundene Schülerin wiederzufinden hat oberste Priorität für eine Schulleiterin. Ich werde sofort eine Nachricht nach Lichtental schicken und um militärische Unterstützung bitten, immerhin ist es möglich, dass sie sich im Dunkelwald befindet. Außerdem brauchen wir Jagddrachen um ihre Spur verfolgen zu können", hatte sie gesagt. Sophia war der Schulleiterin sehr dankbar. Frau Gelbstein wurde in Sophias Augen immer sympathischer. Sie mochte zwar deren Unterrichtsfach nicht, aber eine Lehrerin die sich solche Sorgen um ihre Schüler machte und sogar wegen einer einzigen verschwundenen Schülerin eine Nachricht an die Hauptstadt schickte...
Es wäre ja immerhin auch möglich, dass es Lissy gut ging und Sophia sich nur zu viele Sorgen machte, auch wenn sie selbst das nicht glaubte.
Doch danach hatte Frau Gelbstein sie auf ihr Zimmer geschickt, was eigentlich vollkommen sinnvoll war, da sie ja eh nichts ausrichten konnte, aber sie hatte sich so nutzlos gefühlt. Ihre beste Freundin war verschwunden und sie konnte rein gar nichts tun!
Das hatte dann den Ausschlag gegeben: In ihrem Zimmer hatte Sophia sich unter ihre Bettdecke gekauert und angefangen zu weinen.
Und dort saß sie dann. Sie hatte nicht gewusst, wie lange sie schon geweint hatte. Sie hatte nur gewusst, dass sie jetzt nicht damit aufhören konnte. Sie hatte versucht so leise wie möglich zu schluchzen und ihr Weinen mit der Decke zu ersticken. Sie hatte nicht gewollt, dass die anderen Mädchen aus dem Zimmer sie hörten, denn sie hätte nicht noch einmal erklären können was vorgefallen war. Das wäre einfach nicht gegangen. Am liebsten hätte sie einfach an etwas anderes gedacht, bloß nicht an Lissys Verschwinden. Vielleicht an Flauschlinge, Graublatttee oder sogar Hausaufgaben, irgendetwas total alltägliches eben.
Aber auch das war unmöglich. Lissy war ihre beste Freundin. Außerdem war Sophia Schuld, dass sie jetzt weg war. Hätte sie vor dem Abendessen doch nur nach Lissy gesucht! Wieso hatte sie nicht früher gemerkt, dass etwas nicht stimmte?

Der DunkelwaldWo Geschichten leben. Entdecke jetzt