Kapitel 4

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Lissy verließ das Wäldchen und betrat den Garten. Von dem Gewitter vorhin war nichts mehr zu sehen, der Himmel war strahlend blau. Es war zwar noch nass, aber der Garten sah trotzdem wunderschön aus. Die mit Wassertröpfchen bedeckten Blumen glitzerten im Sonnenlicht und die gläsernen Tulpen warfen sogar kleine Regenbogen. Nach dem Gewitter war Lissy die einzige Person, die sich im Garten aufhielt. Hier war es so still und friedlich, dass Lissy die Magiestunde für einen Moment vergessen konnte und auch ihr Ausbruch vorhin kam ihr nun weit entfernt vor.
Lissy kniete sich hin und betrachtete die gläsernen Tulpen.
Im Glas konnte sie ihr Spiegelbild sehen. Ihre schwarzen Haare hingen ihr in nassen Strähnen ins Gesicht. Man konnte sehen, dass sie geweint hatte, ihre violetten Augen waren leicht gerötet. Als Lissy an sich herabschaute bemerkte sie, dass ihre Kleidung nicht nur durchnässt sondern auch schmutzig war. Zum Glück fiel das bei ihren gebrauchten Sachen, die einen verwaschenen Grauton angenommen hatten, nicht so auf. Sie sah aber trotzdem wirklich unordentlich aus.
„Lissy!“, wurde sie von einer Stimme aufgeschreckt, „Da bist du ja!“ Lissy drehte sich um. „Sophia?“, gab sie verblüfft von sich. „Du kannst wieder sehen?“ Sophia nickte glücklich. „Nach ein paar Minuten konnten alle wieder sehen, auch Dea, aber die hat ein Riesentheater gemacht, darum hat Frau Gelbstein sie zu Doktor Mero gebracht, das hat sie nun davon“, redete sie los.
Lissy musste kichern. Erstens weil sie so erleichtert war, dass es allen gut ging. Und zweitens weil die Vorstellung wie Dea jetzt bei Doktor Mero saß so witzig war. Doktor Mero war der Arzt von Sonneck. Allerdings war er nicht besonders fähig. Er war ein wenig verrückt und verteilte immerzu den Emmentaler seiner Oma Karoline als Geheimmedizin, weshalb schwere Krankheiten auch immer von Frau Gelbstein behandelt wurden. Zu Doktor Mero schickte sie nur diejenigen Schüler, von denen sie vermutete, dass sie sich krank stellten um nicht in den Unterricht gehen zu müssen. Den meisten Schülern war der Unterricht dann doch lieber als Doktor Meros Emmentaler.
„Lissy, ich habe mir solche Sorgen um dich gemacht! Du warst einfach weg! Ich wollte sofort draußen nach dir suchen, aber dann hat dieses Gewitter angefangen und Frau Gelbstein hat mir verboten raus zu gehen. Nach dem Mittagessen warst du immer noch nicht wieder da und ich hatte so Angst, dass dir etwas passiert ist! Als es aufgehört hat zu regnen durfte ich dich endlich suchen und ich bin so froh, dass ich dich gefunden habe!“ Lissy umarmte ihre Freundin einfach nur. Sie war dankbar dafür so eine gute Freundin zu haben. Lissy hatte ihrer Freundin und auch dem Rest ihrer Klasse geschadet und trotzdem machte Sophia sich Sorgen um sie. „Es tut mir so leid, Sophia! Ich wollte niemandem wehtun, aber Dea hat mich einfach so wütend gemacht! Und es war auch nicht richtig einfach wegzulaufen. Es tut mir wirklich, wirklich, wirklich leid!“, entschuldigte sie sich bei ihrer Freundin. „Schon gut.“, sagte diese. „Es ist doch niemandem etwas passiert und ich weiß ja wie Dea ist. Aber bitte renn nie wieder einfach weg, in Ordnung?“ sie drückte ihre beste Freundin noch einmal fest, bevor sie sie losließ. „Mach ich nicht, versprochen.“ Die beiden Freundinnen lächelten sich glücklich an, aber eine Sache musste Lissy noch wissen: „Und was ist mit Frau Gelbstein? Will sie mich bestrafen? Oder von der Schule werfen?“ Sophia machte ein finsteres Gesicht. „Du sollst in ihr Büro kommen. Aber ich kann mir nicht vorstellen, dass sie dich von der Schule wirft.“, versuchte sie Lissy aufzumuntern. Lissy war sich da nicht so sicher. Frau Gelbstein war ziemlich wütend gewesen.
„Soll ich denn jetzt oder nach dem Unterricht zu ihr kommen?“, fragte sie. „Der Nachmittagsunterricht fällt heute für unsere Klasse aus. Du sollst sofort zu ihr kommen.“ Ihre Freundin warf ihr einen mitleidigen Blick zu. Selbst wenn Lissy keinen Schulverweis bekommen würde, Frau Gelbstein würde sie sicherlich irgendwie bestrafen. „Dann muss ich jetzt wohl zu ihr gehen. Wir sehen uns später.“, verabschiedete Lissy sich. „Viel Glück!“, rief Sophia ihr hinterher.

Lissy verließ den Garten und machte sich auf den Weg zu Frau Gelbsteins Büro. Das Büro lag im zweiten Stock, wo sich auch die Wohnungen der Lehrer befanden.
Auf dem Weg nach oben wurde Lissy immer langsamer. Sie hoffte so sehr keinen Schulverweis zu bekommen. Diese Schule war ihre Chance etwas aus ihrem Leben zu machen. Außerdem war das Internat ihr zu Hause.
Lissy zwang sich dazu weiterzugehen. Sie lief den langen Flur entlang und stand schließlich vor der Tür zu Frau Gelbsteins Büro. Sie atmete tief ein und hob ihre Hand zum Klopfen, da hörte sie plötzlich eine Stimme aus dem Büro: „Sie hat ganz plötzlich einfach ihre Leuchtkugel so hell werden lassen, woher soll ich das denn Wissen?“ Das war eindeutig Dea. Und sie sprach über Lissy. Aber sollte Dea nicht eigentlich bei Doktor Mero sein? Anscheinend war sie es nicht, denn sie redete gerade in Frau Gelbsteins Büro über Lissy. Lissy wusste, sie hätte eigentlich hineingehen sollen. Aber stattdessen blieb sie vor der Tür stehen und lauschte. „Es ist sehr wichtig, dass du mir die Wahrheit sagst, Dea.“ Jetzt sprach Frau Gelbstein. „Naja, sie war vielleicht ein bisschen wütend. Aber das war sicherlich nicht meine Schuld, ich habe nichts gemacht!“ Jetzt tat Dea einfach so als hätte sie nichts gemacht? Hoffentlich kaufte Frau Gelbstein ihr das nicht ab! Anscheinend befragte sie Dea nämlich um herauszufinden welche Strafe Lissy verdiente, und Dea beschrieb den Vorfall so als wäre Lissy völlig grundlos ausgerastet. Jetzt sprach wieder die Direktorin: „Sie war also wütend? Interessant...“ Sie klang als würde sie mehr zu sich selbst sprechen als zu Dea. Jetzt schien ihr bewusst zu werden, dass Dea sich immernoch im Raum befand. „Du kannst jetzt gehen. Aber ich möchte, dass du niemandem von diesem Gespräch erzählst, hast du das verstanden?“ „Ja, Frau Gelbstein.“
Als Lissy hörte wie sich Schritte der Tür näherten, wurde ihr bewusst, dass sie jetzt besser rasch verschwinden sollte wenn sie nicht beim Lauschen erwischt werden wollte. Sie schaffte es gerade noch sich hinter ein Regal zu werfen, bevor sich auch schon die Tür öffnete und Dea den Gang entlang lief.
Lissy wartete bis Deas Schritte verklungen waren, bevor sie hinter dem Regal hervor kam und sich erneut der Tür näherte.
Sie klopfte an und trat ein. Frau Gelbstein blickte auf.
„Hallo Lissy. Wie du dir denken kannst möchte ich mit dir über heute morgen sprechen. Durch deine mangelnde Kontrolle über deine Magie hast du deine Mitschüler gefährdet.“ „Es tut mir leid! Es war keine Absicht! Bitte werfen sie mich nicht von der Schule!“, unterbrach Lissy ihre Lehrerin. Frau Gelbstein schaute sie überrascht an. „Aber du wirst doch nicht von der Schule verwiesen, Lissy!“ Während sie das sagte lächelte sie sogar. Und das war bei Frau Gelbstein wirklich selten. „Nicht?“, fragte Lissy hoffnungsvoll nach. „Natürlich nicht. Was ich sagen wollte ist, dass ich dir Nachhilfe in angewandte Magie geben werde damit so etwas nicht noch einmal passiert.“ Lissy war sprachlos. Das hatte sie nicht erwartet. „Komm bitte morgen um 11 Uhr zu deiner ersten Nachhilfestunde wieder hierher. Du darfst jetzt gehen.“ Immer noch lächelte Frau Gelbstein. Das war seltsam, immerhin war sie in der Magiestunde noch so wütend gewesen. Aber gut für Lissy. Sie war froh, keine Strafe bekommen zu haben. Und nicht nur das, sie würde sogar Nachhilfestunden bei Frau Gelbstein bekommen!
Glücklich verließ Lissy das Büro. Als sie durch die Tür trat, bildete sie sich kurz ein einen Schatten den Flur entlang huschen zu sehen, aber das war ja Unsinn.
Lissy seufzte. Heute war ein anstrengender Tag gewesen. Erst hatte sie sich im Wäldchen eingebildet beobachtet zu werden, dann hatte sie sich vor einem Flauschling erschrocken und jetzt bildete sie sich sogar schon laufende Schatten ein. Am besten sie würde sich jetzt ausruhen.

Der DunkelwaldWo Geschichten leben. Entdecke jetzt