Teil 3 - Ebbys Eltern

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Jane Scarborough stand am Fenster im Wohnzimmer ihres kleinen Hauses und schaute hinaus auf den Garten, wo ihre vierjährige Tochter spielte. Janes Stirn war gerunzelte und sie kaute nachdenklich auf ihrer Lippe.

"Ich muss es tun", sagte sie nach einer Weile und drehte sich um. "Ich muss es tun. Es ist zu gefährlich."

Richard sah von seinem Buch auf und seufzte leise.

"Denk darüber nach, Jane."

"Das habe ich." Ihre Stimme wurde wütend. "Seit Tagen denke ich über nichts anderes mehr nach."

Ihr Blick fiel erneut auf ihre Tochter, die einem Schmetterling nachjagte. Ihr helles Lachen drang an ihr Ohr und ihr Herz verkrampfte sich. Sie wollte Ebby beschützen. Und das war die einzige Möglichkeit.

"Du hast es nicht gesehen", sagte sie und sah ihren Mann wieder an. "Du hast nicht gesehen, was sie bereits jetzt tun kann."

Er stand langsam auf und kam zu ihr herüber. "Du vergisst, dass sie ebenfalls meine Tochter ist. Ich weiß, was sie tun kann."

"Dann muss dir auch bewusst sein, wie gefährlich es ist. Sie ist noch so klein und hat ihre Kräfte nicht unter Kontrolle."

"Das ist bei anderen Hexenkindern nicht anders", gab Richard zu bedenken und Jane verzog ihren Mund.

"Aber Ebby ist nicht wie andere Hexenkinder und das weißt du. Ihre Magie ist bereits jetzt so stark wie meine." Ein fast angsterfüllter Ausdruck trat auf ihr Gesicht.  Wir waren gestern bei Kate", fuhr sie fort. "Und Ebby hat die Spielzeuge im Garten um sich herum fliegen lassen. Es hat sie nicht mal angestrengt."

"Und Kate hat das gesehen?"

Jane biss auf ihre Lippe und nickte. Richard seufzte erneut.

"Sie ist neidisch", sagte er und seine Frau nickte. Kate war ihre Freundin und ebenfalls eine Hexe. Sie war kein schlechter Mensch, aber Neid machte seltsame Dinge mit Menschen. 

"Rede mit Ebby", fuhr Richard fort. "Erklär ihr, dass sie nicht einfach vor anderen Menschen zaubern darf."

"Das hab ich. Ich habe es ihr wieder und wieder erklärt. Aber sie hört nicht auf mich. Sie ist zu stur."

Richard lachte. "Von wem sie das wohl geerbt hat", murmelte er und Jane boxte ihn in die Seite. Er lachte lauter.

"Du kennst Kate", sagte sie. "Sie ist meine Freundin, aber seit wir Ebby haben ..." Sie verstummte und Richard nickte nachdenklich.

Es war fast unmöglich für zwei Menschen mit magischen Fähigkeiten ein Kind zu zeugen. Als Jane vor einigen Jahren Richard geheiratet hatte, war Kate diejenige gewesen, die sie darauf hingewiesen hatte.

Willst du niemals Kinder haben?, hatte sie gefragte. Denk darüber nach, was du willst, Jane.

Nun hatte sie alles. Einen liebevollen Mann und eine wundervolle Tochter.

Sie hatte alles und Kate war neidisch.

Und ihre Tochter war bereits jetzt so mächtig, wie die meisten erwachsenen Hexen. Dabei dauerte es einige Jahre, bis die magischen Fähigkeiten vollständig entwickelt waren. Hexenkinder konnten zwar zaubern, aber normalerweise war ihre Magie sehr schwach und entwickelte sich erst im Laufe der Jahre. Dass Ebby bereits jetzt so gut war, konnte nur eins bedeuten: Sie würde noch mächtiger werden.

"Ich mache mir Sorgen", gestand Jane. "Sorgen um Ebby. Denn mächtige Hexen machen anderen Angst."

"Ebby ist nur ein Kind, Jane."

"Aber das wird sie nicht immer bleiben. Stell dir vor, jemand meldet es an den Rat."

Richard verdrehte die Augen. "Den Rat? Komm schon, Jane."

Jane schnalzte ungeduldig mit ihrer Zunge. "Er ist nicht nur ein Gerücht und das weißt du. Wenn er von Ebbys Fähigkeiten erfährt, könnte es passieren, dass er sie uns wegnimmt. Wenn sie in der Öffentlichkeit zaubert ..."

Jane sah erneut hinaus in den Garten, wo Ebby inzwischen auf der Schaukel saß.

"Ich muss es tun", flüsterte sie und diesmal nickte ihr Mann.

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"Gib mir deine Hand", sagte Jane und sah ihre Tochter an, die ihr voller Vertrauen ihre Hand entgegenhielt. "Es ist nur ein kleiner Pieks, okay? Es tut gar nicht weh und danach gehen wir Eis essen."

Ebby sah sie aus großen Augen an, dann nickte sie. "Okay, Mommy."

Die Nadel durchstach Ebbys Haut und sie zuckte kurz, doch gab keinen Laut von sich. Jane hielt ihre Hand über die Schale und ließ einen einzelnen, dunkelroten Tropfen hineinfallen.

"Gut", sagte sie. "Und nun schließ deine Augen."

Ebby gehorchte und Jane sah in ihr kleines Gesicht.

Das hier war der einzige Weg, sagte sie sich selbst. Falls die falschen Menschen von Ebbys Kräften erfuhren, könnte es sehr gefährlich für sie werden. Und sie würde ihr ihre Kräfte wiedergeben. Wenn sie alt genug war, es zu verstehen. Wenn sie in der Lage war, verantwortungsvoll damit umzugehen.

Sie sah auf den roten Stein in der Schale und sprach die Worte, die die Zauberkräfte ihrer Tochter eindämmen würden.

Der Zauber war nicht in der Lage, ihre kompletten Kräfte zu blockieren – kein Zauber konnte das. Aber er würde sie abschwächen und wahrscheinlich wäre Ebby einige Jahre lang nicht mehr in der Lage, überhaupt zu zaubern, weil sie noch so jung war.

Und wenn niemand wusste, wie mächtig sie war, konnte auch niemand neidisch sein oder Angst vor ihr haben.

Sie könnte unbeschwert ihre Kindheit genießen.

Ebby Scarborough: BeginningsWo Geschichten leben. Entdecke jetzt