Ich saß auf meinem Bett und starrte auf die Klinge in meinen Fingern.
Selbstmord ist keine Lösung hatte auf einem der Plakate hier auf dem Campus gestanden. Das Problem war, dass es für mich keine andere Lösung gab. Ich hatte versucht, eine zu finden, hatte mir wirklich Mühe gegeben. Doch ich war kläglich gescheitert.
Ich schloss meine Augen und erinnerte mich daran, wie ich in meiner Verzweiflung versucht hatte, Hilfe zu erhalten. Doch der Studentenberater hatte mir nicht geglaubt. Und wenn nicht einmal die Person, die dazu verpflichtet war, mir zu helfen, mir Glauben schenkte, wie sollte das jemand anderes jemals tun? Niemand würde mir glauben.
Ich erinnerte mich an die letzten Semesterferien in seinem Haus. Im Haus meines Stiefvaters. Ich konnte nicht mal mehr in meinen eigenen Gedanken seinen Namen aussprechen. Ein kleiner Teil von mir hatte gehofft, dass es anders werden würde als früher. Dass er mich in Ruhe lassen würde. Dass ich mich wehren könnte. Doch diese Hoffnungen waren bereits in meiner ersten Nacht dort gestorben.
Ich presste das Messer gegen meinen Arm.
Meine Entscheidung war längst gefallen. Es brachte nichts, hier zu sitzen und an all die schrecklichen Dinge zu denken. Und das musste ich auch nicht mehr.
Bald ist es vorbei, Ebby.
Ich atmete erleichtert aus.
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Mein gesamter Körper fühlte sich unendlich schwer an und meine Zunge klebte an meinem Gaumen. Ich stöhnte leise und versuchte, meine Augen zu öffnen, doch es wollte mir nicht gelingen.
Ein stetiges Piepen drang an mein Ohr, während ich versuchte, mich daran zu erinnern, was geschehen war. Wo war ich?
Dann kamen die Erinnerungen zurück und ich setzte mich ruckartig auf.
Ich lag in einem Krankenhausbett. Dicke, weiße Verbände zierten meine Handgelenke und ein Monitor überwachte meine Herzfrequenz.
Nein, dachte ich panisch. Das hier sollte nicht passieren. Ich hatte sterben sollen. Wieso war ich noch am Leben?
Meine Hand zitterte, als ich sie über meinen Mund presste, und Tränen rannen meine Wangen hinab. Ich wollte nicht hier sein, wieso verstand das denn niemand?
Die Tür ging auf und eine Ärztin betrat den Raum. Ihre Augen waren traurig, als sie mich ansah.
"Miss Kingsley", sagte sie und ich zuckte zusammen.
Panisch schüttelte ich meinen Kopf. Das hier musste ein Traum sein. Ein Alptraum. Ich hatte gesehen, wie das Blut meine Arme hinabgelaufen war. Hatte gespürt, wie das Leben meinen Körper verließ. Wie konnte es sein, dass ich nun hier lag?
Ich sank zurück auf die Matratze und wandte meinen Kopf von der Ärztin ab. Tränen rannen meine Wangen hinab, verfingen sich in meinen Haaren, doch ich machte mir nicht die Mühe,sie wegzuwischen.
"Ich bin Dr. Price", sagte die Frau von der anderen Seite des Bettes. "Ich bin Psychologin und hier, um mit Ihnen zu reden." Ihre Stimme war sanft, einfühlsam. Doch ich wollte nicht mit ihr reden. Ich wollte niemanden, der einfühlsam war. Dafür war es zu spät.
Ich schloss meine Augen und hoffte, erneut in der Dunkelheit zu versinken.
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"Die Wunden sind gut verheilt", sagte die Ärztin und sah mich lächelnd an.
Ich starrte auf meine Handgelenke, von denen sie gerade die Bandagen abgenommen hatte. Lange, geschwollene Linien zierten meine Arme. Sie hoben sich rot vom Rest meiner blassen Haut ab. Doch ich wusste, dass sie mit der Zeit weiß werden würden.
Aber sie würden niemals ganz verschwinden. Wie die seelischen Narben, die so viel tiefer waren, würden sie mich für den Rest meines Lebens begleiten und mich daran erinnern, dass ich versagt hatte. Dass ich es noch nicht einmal geschafft hatte, mein eigenes Leben zu beenden.
Karen hatte mich gefunden und ich hasste sie dafür. Wieso hatte sie den Krankenwagen gerufen? Wieso hatte sie nicht verstanden, dass ich sterben wollte?
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Ich hob mein Gesicht zum Himmel und schloss meine Augen, während helle Sonnenstrahlen meine Haut wärmten. Dann hob ich meine Lider und atmete langsam aus.
"Ebby", hörte ich eine Stimme hinter mir und drehte mich um.
Dr. Heather Spencer stand auf der Treppe des Gebäudes. "Du wolltest doch nicht etwa gehen, ohne dich zu verabschieden?"
Ich schüttelte meinen Kopf. "Nein", erwiderte ich. "Ich wäre noch zu deinem Büro gekommen."
Ein sanftes Lächeln lag auf ihren Lippen, als sie auf mich zu kam. Sie ergriff meine Hände und sah mich ernst an.
"Du hast meine Nummer", sagte sie eindringlich. "Und ich möchte, dass du deine Therapie fortsetzt, wenn du in Sunbury ankommst, hast du verstanden? Ich habe meine Kollegin dort informiert, dass du am Montag um fünf bei ihr sein wirst." Sie sah mich mit erhobenen Augenbrauen an und ich nickte.
"Ja, Heather", erwiderte ich und sie verengte ihre Augen. "Wirklich", murmelte ich und senkte meinen Blick. "Ich werde hingehen. Versprochen." Ich sah sie wieder an und sie lächelte.
Karen hatte mein Leben gerettet, indem sie den Krankenwagen gerufen hatte. Doch es war meine Therapeutin Heather, die mir gezeigt hatte, dass dieses Leben vielleicht doch lebenswert war.
Es war Heather, die mir bewiesen hatte, dass es wirklich gute Menschen gab. Die mir geglaubt und zugehört hatte. Die keines meiner Worte in Frage gestellt und mir gezeigt hatte, dass ich nicht alleine war.
Und zum ersten Mal war ich froh, dass mein Leben nicht in meinem Wohnheim am College geendet hatte.
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Ebby Scarborough: Beginnings
FantasíaEbby Scarborough ist eine Hexe. Doch das hat sie leider erst sehr spät erfahren. Hätten ihre magischen Kräfte sie vor all den schlimmen Erfahrungen bewahren können? Dies ist die Vorgeschichte der Charaktere aus der Ebby Scarborough Reihe. Falls euch...