Teil 12 - Violet

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Ich starrte auf den leblosen Körper meiner Schwester und schluckte die Tränen runter, die bei ihrem Anblick in mir aufstiegen.

Das hier hätte nicht passieren sollen. Wir waren über das Wochenende weggefahren, um uns mit anderen Hexen zu treffen – so wie wir es regelmäßig taten. Das Haus unserer Freundin war perfekt dafür. Es lag mitten im Wald und wir waren absolut ungestört. Alles war normal verlaufen. Wir hatten Zauber ausgeführt und zwei Tage damit verbracht, uns auszutauschen. Über unser Leben, unsere Kinder, über alles, das uns wichtig war.

Ich liebte diese Treffen. Wie hatte es so enden können?

Daphne schluchzte laut und ich wand einen Arm um ihren Körper und zog sie an mich. Eine Weile standen wir schweigend dort, beide versunken in unseren eigenen Gedanken.

Das Treffen war bereits vorüber gewesen. Wir waren die letzten, die das Haus verlassen hatten. Dann war Celia eingefallen, dass sie ihre Jacke oben im Schlafzimmer hatte liegen lassen, und sie war zurück ins Haus gelaufen. Auf dem Weg nach unten war sie gestürzt. Ich hatte ihren Schrei von der Veranda aus gehört und war direkt in den Flur gestürmt, um ihr zu helfen. Doch es war zu spät.

Ihre Augen starrten ins Leere und dunkles Blut breitete sich auf dem Holzboden aus, wo ihr Kopf gegen die Ecke der Stufe geprallt war.

Celia war tot.

In diesem Moment erinnerte ich mich an ein Gespräch, welches ich erst gestern geführt hatte. Über Blutzauber. Dunkle Zauber. Verbotene Zauber.

Ich schluckte schwer und schob Daphne von mir, sodass ich in ihre Augen sehen konnte.

"Wir können sie zurückbringen", flüsterte ich und ein Teil von mir konnte nicht glauben, dass ich es tatsächlich in Erwägung zog. War ich wirklich bereit, einen unschuldigen Menschen umzubringen? Denn das war der Preis, den der Zauber verlangte.

Ein Leben für ein anderes.

Jemand musste sterben, damit Celia leben konnte.

Daphne starrte mich aus großen Augen an und ich hoffte, dass sie mir widersprach. Hoffte, dass sie vernünftig war und sagte, dass wir uns nicht auf diesen dunklen Pfad begeben durften.

Stattdessen nickte sie schweigend und ich atmete langsam aus.

Als wir kurz darauf hinter einigen Bäumen in der Nähe eines kleinen Supermarkts parkten, ignorierte ich mein wild schlagendes Herz, während ich hinüber zum Parkplatz starrte. Wir schlichen durch das Dickicht, verborgen vor ungewollten Blicken. 

Ein einzelner Wagen stand direkt am Waldrand. Er erschien leer. Plötzlich öffnete sich die Tür des Ladens und eine junge Frau trat hinaus, bahnte sich ihren Weg hinüber zum Auto.  Bevor sie die Tür zu ihrem Wagen öffnen konnte, ließ ich sie mit meiner Magie erstarren. Sie fiel nach hinten und schwebte langsam auf uns zu. Ich sah zu Daphne und nickte kurz. Meine Schwester legte ein Tuch über das Gesicht der Frau, getränkt mit einem starken Betäubungstrank.

Mit Telepathie konnte man ebenfalls dafür sorgen, dass Menschen ihr Bewusstsein verloren, doch keine von uns war mächtig genug, diese anzuwenden. Außerdem konnte man weitaus größeren Schaden damit anrichten. Ich lachte humorlos. Wir planten, diese Frau umzubringen. Welch größeren Schaden konnten wir noch anrichten?

Ich schüttelte den Gedanken ab und half meiner Schwester, den leblosen Körper in unseren Wagen zu laden. Dann fuhren wir zurück zum Haus.

Wir hatten alles Blut beseitigt und Celias Körper in den großen Raum gelegt, in dem wir gestern noch mit unseren Freundinnen zusammen gesessen hatten. Auf meinen Fingerzeig hin entflammten sich hunderte Kerzen, die den Raum in ihren goldenen Schein tauchten. Wir legten die Frau neben unsere Schwester und traten zurück.

"Bist du sicher, dass wir das tun sollten?", fragte Daphne plötzlich und ich schluckte schwer.

"Nein, Daphne, das bin ich nicht", erwiderte ich und kämpfte mit den Tränen. 

Die Wahrheit war, dass ich es absolut nicht tun wollte. Ich wollte nicht zur Mörderin werden, wollte nicht mit dem Wissen leben müssen, dass ich ein unschuldiges Leben beendet hatte. Doch ich sah in das leblose Gesicht meiner Schwester und wusste, dass ich es dennoch tun würde.

"Aber ich will nicht ohne Celia leben", sagte ich leise. "Und Jessica sollte nicht ohne ihre Mutter aufwachsen müssen." Ich sah zu Daphne. "Wenn du einen besseren Vorschlag hast, mach ihn jetzt. Wir haben nicht viel Zeit. Sie war die Einzige, die wir so schnell finden konnten."

"Ich weiß, ich weiß", sagte Daphne mit brüchiger Stimme und blickte zu unserer Schwester. "Wir holen dich zurück, Celia."

Ich sah, wie sie mit einer Hand über ihre Wange wusch, dann straffte sie ihre Schultern und zog ein kleines, silbernes Messer aus ihrer Tasche. Sie presste es gegen Celias Handfläche, dann ergriff sie die Hand der anderen Frau.

Ein seltsamer Nebel schien sich in meinem Kopf auszubreiten, während ich dabei zusah, wie sie die Hände der beiden aufeinander legte und sich zurücklehnte.

Sie sah mich erwartungsvoll an und ich schluckte schwer, dann nickte ich, bevor ich ihre Hände ergriff.

"In die Dunkelheit, aus der Dunkelheit."

Die Kerzen brannten auf einmal heller.

"Hüter des Lebens, Wächter des Todes."

Wind erhob sich im Raum und zerrte an meiner Kleidung.

"Was tot ist soll zurückkehren, was lebt muss sterben."

Mir wurde schwindelig, als das letzte Wort meine Lippen verlassen hatte. Das waren sie. Die Worte, die für immer dafür sorgten, dass wir einen Menschen umgebracht hatten. Die Worte, die unser Leben für immer verändern würden.

Der Körper der Frau leuchtete hell und dieses Licht kroch langsam hinüber in den Körper meiner Schwester. Dann wurde es dunkel, als alle Kerzen erloschen.

"Celia?", fragte ich in die Dunkelheit und hielt den Atem an, als ich ihre vertraute Stimme hörte.

Ich stürzte nach vorne und wand meine Arme um meine Schwester. Daphne tat das gleiche und lange Zeit hielten wir uns einfach nur fest. Ich versank in der Nähe meiner Schwestern und hoffte sehr, dass dieser Tag nicht unser aller Leben für immer zerstört hatte.


Ebby Scarborough: BeginningsWo Geschichten leben. Entdecke jetzt