"Bist du sicher, dass du nicht mit zu mir kommen willst?", fragte Nate und blickte mich mit einem besorgten Gesichtsausdruck an.
Die wenigen Wochen bis zum Beginn der Semesterferien waren endlich vergangen. Es war eine sehr zähe Zeit gewesen. Ich fühlte mich immer noch ziemlich unwohl mit Nate und den Gedanken an Shawn und außerdem lag mir der Streit mit Kaitlyn im Magen. Wir hatten uns zwar wieder einigermaßen vertragen, aber ich merkte, dass sie immer noch sauer auf meine Unverantwortlichkeit war.
Und als hätte ich nicht schon genug Stoff zum Nachdenken, hatte mich Karen, die natürlich nichts von mir und Shawn wusste, fröhlich angerufen und mich an Weihnachten einzuladen. Ich war so überrascht gewesen, dass ich "Ja" gesagt hatte. Und am liebsten würde ich mich dafür selbst ohrfeigen.
"Ja, das ist schon okay, Nate", erwiderte ich und kratzte nervös die Innenseite meiner Hand. Natürlich wusste Nate noch nichts von der Einladung. Ich fühlte mich, als würde mein Kopf die Farbe einer Tomate annehmen und als würde ich in Tränen ausbrechen, wenn ich auch nur Shawns Namen in Nates Gegenwart erwähnen würde.
"Dann bist du aber Weihnachten allein und das will ich nicht", versuchte er mich sanft zu überzeugen und strich eine lose Strähne meines Haars hinter mein Ohr.
"Um ehrlich zu sein, bin ich nicht alleine", druckste ich herum, in der Hoffnung, Nate würde nicht weiter nachfragen.
"Auf einmal? Feierst du doch mit Luke?"
"Ähm nein. Um ehrlich zu sein, Karen hat mich gefragt, ob ich mit ihnen die Feiertage verbringen will und da ich mich wirklich gut mit ihr, Manny und Aaliyah verstehe, habe ich zugesagt."
Shawns Namen ließ ich vorerst besser aus der Sache raus, doch ich spürte trotzdem wie das Blut in meinen Ohren rauschte.
"Karen?" Nate zog fragend eine Augenbraue hoch.
"Karen Mendes." Er sah mich noch immer fragend an.
"Shawns Mutter", fügte ich kaum hörbar hinzu. Augenblicklich würde Nates Blick hart. "Oh, wirklich, du willst nicht mit zu meiner Familie, aber zu der von deinem Ex gehst du?", fauchte er, sicherlich genervt.
"Ich weiß, ich weiß", versuchte ich ihn zu beruhigen, "Es ist nur, ich hänge sehr an seiner Familie, weil sie ein bisschen wie eine zweite für mich ist. Sie haben mir durch diese Zeit durchgeholfen und das weißt du auch. Also bitte sei nicht sauer, Nate."
"Ich weiß wie wichtig sie dir sind, okay? Aber denkst du nicht, dass du anstatt an ihnen zu hängen eine engere Bindung mit der Familie deines aktuellen Freundes aufbauen solltest?"
"Nate... Okay, du bist sauer und ich verstehe das, aber können wir das beiseite legen und nicht im Streit auseinander gehen?", bat ich und griff nach seiner Hand.
Er riss sie mir weg und antwortete: "Wie soll ich das denn einfach beiseite legen? Am Ende kommen du und Shawn euch nur wieder näher."
Mir stockte der Atem. Wusste er etwa...?
"Ich...Zwischen mir und Shawn ist nichts mehr und da wird auch nichts mehr sein", stammelte ich mit erstickter Stimme.
Nate fuhr sich durch sein braunes Haar.
"Ich weiß. Okay? Es ist nur, dass ich Angst hab dich zu verlieren", gestand er und seufzte.
Gott. Sei. Dank.
"Musst du nicht. Wirklich nicht, Nate. Shawn hatte seine Chance und er hat sie verspielt. Und ich liebe dich, nicht ihn."
Ich stellte mich auf die Zehenspitzen um ihm einen kurzen Kuss auf die Lippen zu geben.
"Ich liebe dich auch."
"Na also."
Ich lächelte ihn mit dem überzeugndsten Lächeln an, das ich gerade bieten konnte und er lächelte zurück, zog mich an sich und murmelte in mein Haar: "Ich werde dich vermissen."Als ich endlich in unseren, naja, meinen Hof einbog, atmete ich erleichtert auf. Die Fahrt war anstrengend gewesen und ich hatte mich vor Nervosität so sehr an das Lenkrad geklammert, dass meine Knöchel immer noch schneeweiß waren und schmerzten.
Müde stieg ich aus dem Auto, streckte meine steifen Glieder und zog den Koffer aus dem Kofferraum, ehe ich mich ins Haus begab.
Ich hätte Karen einfach absagen sollen. Eigentlich hätte ich sie belügen sollen, sagen, dass ich krank wäre oder sowas, und nicht Nate. Er verdiente es wirklich nicht, aber feige wie ich war, machte ich es mir leicht.
Naja...leicht auch nicht wirklich.
Ich betete jetzt schon dafür, dass Shawn vielleicht gerade wieder in New York war oder Weihnachten mit seinen Freunden verbringen würde, nur um ihn nicht zu sehen.
Auch wenn sich ein winziger Teil von mir, den ich zu verdrängen versuchte, auf Shawn freute. Doch was auch immer passieren würde, diesen Fehler würde ich nicht wiederholen.
Definitiv nicht.
Das warme Wasser der Dusche entspannte mich und erlaubte mir, endlich meinen Kopf ein bisschen freizukriegen.
Die Spiegel waren schon beschlagen, als ich wieder aus der Dusche stieg. Ich trocknete mich ab, schlüpfte in meinen Schlafanzug und setzte mich vor den Fernseher. Während ich irgendeine Folge How I Met Your Mother ansah, schrieb ich Nate eine kurze SMS, und sagte ihm, dass ich gut angekommen wäre und ihn jetzt schon vermisste.
Lüge. Aber wie ich mich wirklich fühlte, konnte ich ihm ja schlecht ins Gesicht sagen.
DU LIEST GERADE
Tides [german]
Fanfiction[Fortsetzung zu Deep Waters] Zusammengefunden durch das Schicksal und getrennt durch das Leben: Shawn und Lyra. Über ein Jahr nach ihrer Trennung und beide sind auch ohne einander glücklich. Doch nach einem ersten Wiedersehen schreit alles in Lyra n...