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Trotz Kaitlyns Rat, mit Shawn den Kontakt abzubrechen, gelang es mir nicht Shawn abzusagen, nachdem er mich gefragt hatte, ob ich mit ihm nochmal was machen will, bevor ich wieder an die Uni und er nach New York muss.
Es war doch jetzt sowieso schon zu spät, und ich genoss Shawns Anwesenheit zu sehr, um ihn zu ignorieren. Zumindest im Moment. Falls Nate mir meine Fehler verzeihen würde, würde ich einfach Shawns Nummer blockieren und löschen. Oder sowas in der Art.
Es hatte den ganzen Morgen dicke Flocken geschneit und nun war die Welt von einer neuen Schicht strahlend weißen Schnees bedeckt, welcher, in Kombination mit der Sonne, alles zum Glitzern brachte. Kurz gesagt, mein Vorgarten sah aus wie Winter Wonderland.
Ich schob mir gerade den letzten Löffel der Kürbissuppe in den Mund, als Shawn mir schrieb, er würde in etwa einer halben Stunde vorbeikommen. Ich wusste nicht, was genau mich daran nervös machte, Shawn zu treffen, aber das flaue Gefühl in meinem Magen war definitiv da. Schnell räumte ich meinen leeren Teller in die Spülmaschine ein und ging in mein Zimmer, um mich umzuziehen. Shawn meinte, er wolle bei so schönem Wetter nicht drinnen sitzen bleiben, also entschied ich mich für eine schwarze Jeans und einen oversized Pullover. Ich schlüpfte in die Klamotten und kramte in meinem Koffer noch nach Handschuhen und einem Schal. Als ich endlich alles aus dem Koffer gezogen hatte, begab ich mich ins Bad, putzte mir die Zähne, legte ein natürliches Make Up auf und bürstete mir die widerspenstigen Haare. In dem Moment, in dem ich die Bürste zurück an ihren Platz gelegt hatte, läutete es an der Tür.
"Ich komme", rief ich und rannte beinahe die Treppen runter.
Überschwänglich riss ich die Tür auf. "Hey", begrüßte ich Shawn, fast schon etwas zu freundlich und er schenkte mir eins seiner perfekten Lächeln. "Hey, Lyra." Ich konnte förmlich die Zahnrädchen in Shawns Gehirn arbeiten sehen, ehe er mich in eine merkwürdige Umarmung zog.
Um den Moment zu überspielen, räusperte er sich und sprach weiter: "Sollen wir gleich draußen bleiben? Wir könnten in die Stadt fahren."
"Ähm, ja klar! Gib mir ne Sekunde ich ziehe schnell meine Schuhe an."
Ich schlüpfte so schnell wie möglich in meine Jacke und Schuhe, um nicht länger als unbedingt nötig Shawns Blicke auf mir zu spüren.
Ich schloss die Tür hinter uns ab und stieg neben Shawn ins Auto. Schnell waren wir auf einer der größeren Straßen unterwegs Richtung Toronto. Wir wechselten nur ein paar Worte über die Musik im Radio oder des Verkehr, doch ansonsten blieb es still.
Es lag eine Spannung in der Luft, die ich nicht recht deuten konnte. Es war fast so, als wäre es unser erstes Date, und wir beide wären zu nervös, um etwas zu sagen.

"Also, was ist der Plan?",brach ich schließlich das Schweigen und sah zu Shawn, der seinen Blick nicht von der roten Ampel abwendete. "Ich dachte mir, wir gehen Eislaufen."
"Wie früher?", platzte es aus mir heraus und Erinnerungen an eins unserer Treffen wirbelten durch mein Gehirn.
Shawn schoss Blut ins Gesicht: "Ja, ich dachte es macht Spaß. Falls es dir unangenehm ist oder so, können wir auch woanders hin."
"Nein, alles gut", winkte ich ab. "Aber dir ist bewusst, dass ich nach wie vor der miserabelste Schlittschuhfahrer der Welt bin, oder?"
"Wie könnte ich das vergessen?", lachte Shawn. Und ich warf ihm einen schmollenden Blick zu.
Das Eis schien langsam aber sicher zu brechen und als wir aus dem Auto stiegen, konnte ich mich kaum halten vor Lachen, wegen einer Geschichte die Shawn mir gerade erzählt hatte.
"Okay", japste ich zwischen zwei Lachanfällen. "Fahren wir Schlittschuh!"
Er sah mich mit schiefem Kopf, unfassbar niedlich grinsend an und wir verließen den Parkplatz, während ich versuchte meinen Lachanfall unter Kontrolle zu bekommen.
Und ja, Shawn sah unfassbar niedlich aus. Seine Mütze ließ nur ein paar einzelnen braunen Locken die Möglichkeit, ihm perfekt ins Gesicht zu fallen. Seine Wangen waren durch die kalte Luft gerötet und zu seinem Gesicht muss ich ja gar nichts sagen, oder? Es war wie von Göttern geformt. Nate und der Fakt, dass ich ihn betrogen hatte, war auf einmal wieder Nebensache geworden.

Wir erreichten die Eislaufbahn, bei der relativ viel los war an einem so schönen Wintertag, und Shawn zahlte meinen Eintritt, wofür er von mir einen toternst gemeinten bösen Blick erntete und lieh dann unsere Schlittschuhe aus.
Ich schlüpfte hinein und knotete sorgfältig die Schnürsenkel.
"Bist du bereit?", neckte mich Shawn.
"Nicht ein Stück", erwiderte ich nervös lächelnd und richtete mich vorsichtig auf, um nicht das Gleichgewicht zu verlieren.
"Kann ich deine Hand nehmen?", fragte ich zaghaft und blickte Shawn unsicher an.
Dieser verzog seinen Mund zu einem leichten Lächeln und antwortete trocken: "Wir hatten Sex, Lyra, mehrmals. Natürlich darfst du meinen Hand halten."
Augenblicklich lief ich rot an. Ich hatte definitiv nicht erwartet, dass er unseren Sex einfach so ohne weiteres erwähnte.
"Ja, na klar", brachte ich hervor und griff nach seiner Hand.
Shawn ging zuerst aufs Eis, drehte angeberhaft eine erste, perfekte Runde, und kam dann zurück zu mir. Ich streckte ihm nur die Zunge raus und folgte ihm dann auf die rutschige Oberfläche.
"Das schaffst du", ermutigte mich Shawn, als ich die ersten Meter hinter mir hatte.
"Ich wäre mir da nicht so sicher."
Wir fuhren eine sehr langsame Runde. Ich war so konzentriert darauf, nicht zu fallen, dass ich kein Wort herausbrachte. "So, und jetzt ein bisschen schneller."
Ich warf Shawn einen panische Blick zu, doch im nächsten Moment zog er so plötzlich das Tempo an, dass ich nach vorne geschleudert wurde, auf den Boden knallte und Shawn mit mir mit zog, der wenige Millisekunden später auf mir landete.
Er brach in schallendes Gelächter aus. "Tatsächlich keine gute Idee." Ich gab ein missmutiges "Aua" von mir, doch ich konnte mir ein Lächeln nicht verkneifen.
Mühsam standen wir wieder auf.
"I think I just fell in love with you."
Shawn sah mich gespielt schmachtend an und wackelte mit seinen Augenbrauen.
"Oh Gott", war alles, was ich zu diesem furchtbar schlechten Anmachspruch zu sagen hatte. "Such dir eine Freundin, an der du deine Sprüche ausprobieren kannst und verschon mich damit, Mendes", erklärte ich und versuchte jämmerlich, ohne Shawns Hilfe weiterzufahren.
"Ich glaube, dann nerve ich die genau richtige Person damit."
"Shawn, ich bin nicht deine-", er hob den Arm, um mich vom Reden abzuhalten und warf mir einen vielsagenden Blick zu. Er griff nach meiner Hand und wir fuhren gemeinsam weiter. Nach ein paar weiteren Runden, in denen Shawn mich mit den schlimmsten Anmachsprüchen  überhaupt bombardierte, ließ er mich für kurze Zeit allein fahren, um eine Runde in seinem Tempo fahren zu können. "Übrigens", hauchte er mir so plötzlich ins Ohr, dass ich mich erschreckte, als er mich eingeholt hatte.
Ich merkte seinen Hand auf meinem Po. "Auf deinem Arsch war Schnee." Ich verdrehte die Augen und sah ihm zu, wie er davon fuhr. "Und außerdem, er ist immer noch genauso süß wie damals", schrie er so laut in meine Richtung, dass sich die ganze Halle nach ihm umdrehte.

"Willst du noch was essen?", wollte Shawn wissen, als wir wieder auf den Straßen von Pickering unterwegs waren.
"Danke fürs Angebot, aber ich bin ziemlich müde."
"Schade", erwiderte er schelmisch grinsend. "Ich dachte, ich könnte noch mit zu dir kommen."
"Du weißt, dass ich einen Freund habe, Shawn. Und ich hab dir gesagt, dass es ein Fehler war. Ich liebe Nate und will mit ihm zusammen bleiben."
"Ich weiß", seufzte er. "Ich wünschte nur es wäre nicht so."
Ich antwortete nichts mehr, sondern starrte aus dem Fenster auf die bunt geschmückten Häuser.
"Da wären wir."
"Also danke für den Tag, es war wirklich wie in den alten Zeiten", verabschiedete ich mich zögerlich.
"Ja, wie damals."
"Okay, also, bis dann." Ich stieg aus dem Auto und winkte Shawn zu.
Doch anstatt sitzen zu bleiben, stieg er auch aus.
"Es war wirklich schön, Lyra", wiederholte er meine Worte, zog mich vorsichtig an sich und küsste mich sanft. "Sehr, sehr schön."
Beinahe widerwillig löste ich mich von dem Kuss, hob die Hand zum Abschied, lächelte ihm verwirrt zu ging ins Haus.

Tides [german] Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt