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sommer 2018

ein letztes mal frühmorgens durch die weinberge spazieren gehen, um ein letztes mal
mit wenigen worten französisch bei der netten bäckerin die bestellung abholen
ein letztes mal pain au chocolat und baguette und pastete zum frühstück, ein letztes mal
am pool sitzen und die aussicht genießen
ein letztes mal
frankreichs sonne auf der haut brennen spüren,
canasta und durak und hotel
ein letztes mal kochen für elf und diskussionen, wer den tisch decken muss
um dann ein letztes mal einträchtig am großen tisch zu sitzen
ein letztes mal sich in gesprächen und lachen verlieren
und frei fühlen
ein letztes mal

und ein letztes mal nachts im pool und die lichter bahnen sich
ihren weg geisterhaft grün durch das wasser
aber wir verdecken die lampe, weil
da ist es warm und
wir wollen doch die sterne sehen
und da oben, schau,
ISS und mars und saturn, guck, da hinter den bäumen.
der mond versteckt sich noch hinter'm mont ventaux, und doch
wie ist die welt so stille.

es gibt vollkommene glücksmomente, über die sich
kein einziger vers schreiben lässt und
es gibt diesen hier
vielleicht nicht so besonders
und doch
voll greifbarer poesie
dass die worte schon in meinem kopf auftauchen
während ich noch durch das türkisfarbene wasser tauche
wir spielen toter mann und machen die letzten kopfsprünge
lachen leis' und bibbern und zittern

aber weißt du
als später das heiße wasser über meine unterkühlten zehen läuft, da muss ich das fenster schließen, um dein, euer lautes lachen und  reden und machen und tun nicht zu hören, um nicht die ganze zeit daran zu denken, was du
gerade eben noch zu mir gesagt hast, dass du lieber später allein mit deinem neuen kumpel als jetzt mit uns anderen zusammen baden gehst, weil du es lieber ruhig magst (seit wann denn),
und euer rufen, euer spaß da draußen dringt selbst durch das geschlossene fenster und schlägt den rest des sommertages in die flucht.

aber weißt du noch was
im selben moment, in dem ich da unter der dusche stehe, hoffe, nein weiß ich, dass
du es nicht so meinst und dass, wenn die rollen vertauscht würden, vielleicht auch ich das sagen und ganz natürlich von deinem selbstverständnis ausgehen würde, aber trotzdem,
ich will nicht, dass es schon wieder etwas gibt, das meinen letzten tag ruiniert
und deshalb
schalte ich das wasser aus, mache
das fenster auf
und zu eurem lachen da draußen
lächle ich mich im spiegel an
finde mich schön
und es ist wieder wärmer.

dann kann ich stümperhaft diesen tag aufschreiben und hoffen, dass ich dieses gefühl richtig konserviert hab, damit ich irgendwann anders wieder davon kosten, regentage mit ein bisschen frankreich würzen kann.

und morgen fahren wir
alle nach hause
umarmen uns ein letztes mal
der hinweg durch die weinberge wird zum rückweg und irgendwann
ist da auch wieder zuhause
letzte male sind nicht für ein ewig gemacht
und ein rest sommerbräune bleibt
bis in den winter auf der haut.

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