Viel zu Viele Gedanken

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Siiri PoV

Als ich in meinem Auto saß, schlug ich gegen mein Lenkrad. Immer und immer wieder. Tränen bahnten sich ihren Weg über meine Wangen. Ich schlug immer noch gegen das Lenkrad, bis mein Körper, der unter jedem Schluchzen erbebte, zu Schwach wurde um weiter zu kämpfen. Ich wollte nicht mehr kämpfen. Wofür auch? Mein größter Wunsch, war Samu meine Liebe zu gestehen. Aber ich komme zu spät. Ich hatte mich zu lange in meine Arbeit vertieft. Mein Lebensziel hatte sich mit diesem Leben aufgelöst. Samu, der Mann, der mir schon als Teenager das Herz gestohlen hatte, dessen Augen mich immer wieder aufs Neue fesselten, hatte eine Freundin. Und ich bleibe mit einem blutenden Herzen zurück. Ich war meiner Liebe so nah und dennoch ist sie unerreichbar.

Hatten meine Eltern recht? Hatte diese tiefblauen Augen einen schlechten Einfluss auf mich? Ja! Immer wenn ich einen Mann traf, der mir sein Herz schenken wollte, wurde ich zu einer eiskalten Bestie. Ich blockierte jede Liebe, wenn sie Samu nicht beinhaltete. Ich war Eiskalt, weil ich Samu mein Herz stehlen ließ.

Nur langsam beruhigte ich mich wieder. Jetzt war es sowieso zu spät. Ich bin 38, ein emotionales Wrack und sitze weinend in meinem Auto. Ich kramte in meiner Tasche, bis mir ein Taschentuch in die Hände fiel. Sachte wischte ich meine nassen Wangen ab. Ich konnte nicht mehr weinen. Es war, als wäre ich ausgetrocknet. Und ironischer Weise hatte ich das Gefühl, dass würde meine Emotionslosigkeit auch noch verstärken.

Ich blieb noch eine kurze Zeit so sitzen. Im Dunkeln. Mein Blick starr in die sternlose Nacht gerichtet. Dann drehte ich den Schlüssel um und startete den Wagen. Ich fuhr nach Hause.

Am nächsten Morgen ging es mir noch genauso schlecht wie in der Nacht zuvor. Ich war müde. Müde von meinem Leben. Ich stapfte in die Küche und kochte mir als erstes einen Kaffee. Dann ging ich zu meiner Coach, legte einen Film ein und verbarrikadierte mich in meiner Wohnung. Kein Handy. Kein Festnetztelefon. Keine Nachrichten. Kein Internet. Die Gardinen in meinem Wohnzimmer zog ich zu. Dunkelheit. Das brauchte ich nun.

In der Firma hatte ich mir eine ganze Woche frei genommen, ich dachte, es wäre praktisch Zeit zu haben, um Samu wieder näher zu kommen. Aber im Nachhinein gesehen, ist es praktisch, Zeit für mich zu haben, um mich damit abfinden zu können, dass ich bis auf meine Karriere, mein komplettes Leben versaut hatte.

Mein Wecker klingelte. Bevor ich mich zurück gezogen hatte, stellte ich meinen Wecker. Morgen muss ich wieder zur Arbeit. Ich saß die ganze Woche hier und sah mir einen Film nach dem anderen an. Ich hatte kaum geschlafen und trotzdem fühlte ich mich nicht müder als zuvor. Mir schienen selbst Bedürfnisse wie Schlaf und Hunger gleichgültig geworden zu sein.

Ich machte mich auf den Weg. Wenigstens meine Karriere musste weiter funktionieren, damit mein kaltes, graues Leben noch einen Sinn hatte. Ich zog die Gardinen auf und obwohl die Sonne kaum noch Kraft hatte, da sie gerade hinter dem Horizont verschwand, brannte ihr Licht in meinen Augen. Gutes Zeichen. Den Schmerz kann ich noch spüren, ich bin also noch nicht Tod. Ich brachte wieder etwas Ordnung in mein Wohnzimmer und setzte meinen Weg weiter fort. Ich duschte zunächst ausgiebig, zog mir frische Klamotten an und legte schon meine Business Kleidung für den kommenden Tag heraus.

Meine Haare waren noch mit einem Handtuch umwickelt, als ich mir in der kleinen Küche etwas essbares suchte.

Ring!

Bei dem Ton der Türklingel fuhr ich zusammen. Ich wunderte mich schon: Wer kann das sein? Seit wann besucht mich jemand? Und wieso an einem Sonntag Abend?

Ich öffnete die Tür und sah in die schönsten Augen der Welt. Husky blaue Augen, glitzernd und unendlich tief wie das Meer. "Siiri", hauchte er. Ich brachte keinen Ton heraus.  Ich hatte das Gefühl mein Herz brennt, es schnürte mir den Hals zu. Was macht er den hier? "Wir fahren noch heute Nacht zurück nach Finnland. Ich dachte, du meldest dich noch mal. Aber als keine Nachricht kam, hab ich dich gesucht", sagte er fast schon entschuldigend. "Ja, tut mir Leid. Ich, ähm, ich hatte viel zu tun." Ich wusste diese Ausrede war mehr als erbärmlich und Samu würde es mir nie abkaufen, aber es war mir egal.

Samu von FrüherWo Geschichten leben. Entdecke jetzt