o2 // Tanzende Flocken

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Wenn es das erste Mal schneite, so brach in Hogwarts jedes Jahr aufs Neue die Hölle los.

Es genügte schon eine einzelne, zarte Flocke, die dabei nur etwas deplatziert an einem der beschlagenen Klassenzimmerfenster vorbeisegeln musste, da vergaß ein Jeder scheinbar, dass er in einem Bildungsinstitut verweilte und somit gewisse Verantwortungen zu erfüllen hatte, anstatt bloß hibbelig auf dem eigenen Platz herumzurutschen, in freudiger Erwartung, dass doch diese Unterrichtsstunde endlich enden möge. Jegliche Hemmungen bezüglich mangelhaften Verhaltens sahen sich plötzlich außer Kraft gesetzt, eine verbleibend minimale Relevanz des Unterrichts verlor an Priorität und Lehrer an ihrer letzten Autorität. Der erste Schnee war in Hogwarts mit unnötigen Traditionen geschmückt, von denen eine jede einzelne vermutlich im Regelbuch der Schule als nicht gestattet vermeldet wurde und dennoch unter größtem Vergnügen der Schüler jedes Jahr aufs neue verletzt wurden. Es war die oberste Art unumstößlicher Traditionen, dass der erste Schnee mit der größten, aufwendigsten (und brutalsten) Schneeballschlacht des Jahres geehrt wurde und war damit wohl zweifellos der Moment, den man in keinem Fall verpassen wollte (und durfte).

Und zu aller Überraschung sah die erste Schneeflocke dieses Jahr ich. Das war deshalb solch ein Wunder, weil ich ungefähr so scharfsichtig bin wie ein gehäuteter Flubberwurm und kaum einmal etwas aus meiner Umgebung wahrnehme, das nicht komestibel ist. Aber Zaubertränke langweilte mich heute wieder in solch erschlagendem Ausmaß, dass ich mich schon im Laufe der ersten zehn Minuten versonnen aus dem Fenster starrend wiederfand. Es war mehr ein Wunder, als berechnete Absicht, dass mir der kleine weiße Punkt ins Auge stach, der da so leichtfüßig auf den Boden zuschwebte und ich musste die Augen fest zusammenkneifen, um sicher zu gehen, dass ich mich nicht täuschte.

„Sieh mal!", zischte ich meiner Sitznachbarin zu, ungeachtet dessen, dass sie gerade unter höchster Präzisionsarbeit einem getrockneten Froschauge die Iris herauspulte. „Darcie, sieh doch!"

Sie hob etwas unwillig den Kopf und folgte meinem gestreckten Finger mit gemäßigtem Interesse.

„Was?", fragte sie, nachdem sie einige lähmende Sekunden lethargisch auf das winzige Fenster gestarrt hatte. Ich beschloss, ihr offensichtliches Desinteresse an meiner Selbst nicht allzu persönlich zu nehmen und wappnete mich schweren Herzens dem aufwendigen Diskurs, Darcie etwas glaubhaft zu machen, das sie nicht mit eigenen Augen gesehen hatte. (Sie war überzeugte Empirikerin.)

„Der erste Schnee", quiekte ich also aufgeregt und fuchtelte gen Fenster. „Ich hab' die erste Flocke gesehen!"

„Zu dieser Zeit des Jahres?", wollte sie wissen, reckte aber doch den Hals, um einen besseren Blick auf den verschwendend kleinen Fensterabschnitt erhaschen zu können. Das vergitterte Fenster war bei zweiter Beobachtung tatsächlich so winzig, dass ich es mir erlaubte, einen Moment an meiner kleinen, gefrorenen Entdeckung zu zweifeln. Allein der Lichteinfall aus besagtem Fenster war so lässlich, dass der grünliche Schein der Kerkerwänden diese kleine Quelle regelrecht verschluckte und den freundlichen Sonneneinfall damit komplett absorbierte. Wehmütig linste ich aus dem Fenster und sah prompt die zweite Schneeflocke. Ich konnte mir ein Grinsen kaum verhalten, als ich eine dritte vorbeisegeln sah und warf wahllos ein paar Billywig-Stacheln in meine blubbernde Mixtur. Augenblicklich trat ein wabernder Rauch über meinen Kesselrand heraus und verfärbte das strahlende Kupfer meines Kessels zu einem hässlich matten Grün.

„Darc, übermorgen ist Weihnachten, wann erwartest du bitte sonst Schnee?", seufzte ich nun etwas resigniert und rührte verdrießlich in meinem Kessel umher. Etwas konsterniert beobachtete ich, wie sich meine Brühe mit jedem Stochern des Rührstabs lediglich verdickte, bis die steigende Viskosität schließlich ein Stadium erreicht hatte, in dem mein Löffel feststeckte.

Magical Contest 2018Where stories live. Discover now