o9 // Requiem

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Es schien fast so, als hätte Draco Malfoy die bisherige Dauer seiner Existenz ohne die drückende Last eines Gewissens ausgeharrt.

Tatsächlich wäre ein solcher Sinn für Recht und Gerechtigkeit seiner Erziehung milde im Weg gestanden und hätte ihn bis zu einem gewissen Grad sogar zu Denken anregen können, wenn diese Form der Unabhängigkeit seinen Eltern und ihrem gehirngewaschenen Kult nicht sauer aufgestoßen hätte.

So hatte Draco Malfoy aber das freie Denken in demselben Moment abgelegt, in dem er begonnen hatte, komplexere Umstände als die überlebensnotwendigen zu begreifen und sein Bewusstsein in seinen Verstand einzuarbeiten – in anderen Worten: Draco hatte von Kindesbeinen an nie unabhängig zu denken vermocht.

Er blickte zu Autoritäten als Anregung auf, führte ihre Spinnereien ohne große Hinterfragung aus und die einzige Grenze, die seinem Handeln Einhalt gebot, war sein eigenes Wohlbefinden. Er war willenlos in dieser Abgabe seiner eigenen Rechte und schien nahezu im Sinne des Gesellschaftsphilosophen Thomas Hobbes in einem bindenden Vertrag seine eigene Seele einem übergeordneten Leviathan abzutreten, während er sich jeden Tag mehr von seiner Freiheit distanzierte.

Als Kind einer gebildeten Familie war Draco wie viele seiner ähnlich konstituierten Freunde auch unter dem Menschenbild Hobbes' großgeworden. Peripatetische Gedanken waren in ihren Kreisen zutiefst verpönt und wer sich einem anderen Bild hingab, als dem der Notwendigkeit der Unterdrückung galt als exlex.

Im Sinne dieser Umstände war Draco Malfoy nie auch nur der leiseste Zweifel ob der Richtigkeit derer Gedanken und Ideen gekommen, die Voldemort in seinen Anhängern säte und kultivierte, als gelte es eine neue Ideologie aus dem Boden zu stampfen. Denn Draco kam die muggleverachtende Denkweise Voldemorts weder neuartig noch ungewöhnlich vor: In seinen Augen war diese Perspektive der Welt lediglich richtig und damit so selbsterklärend notwendig, dass er nicht haderte, seine Auffassung ohne jeglichen Hehl zu teilen.

So war er überzeugt, dass es eine natürliche Hierarchie gab, die zu stürzen das größte Verbrechen der Zauberergemeinschaft gewesen war. Dass Zauberer über Muggle verfügen sollten, dass Reinblüter über Schlamblütern standen, dass die Unantastbaren Achtundzwanzig an der Spitze dieser Ordnung zu stehen hatten – mit dem Dunklen Lord als ihrem führenden Glied. Dass Bertha Jorkins es verdient hatte zu sterben. Dass Broderick Bode, Sirius Black, Amelia Bones, Emmeline Vance, Florian Fortescue, Igor Karkaroff, Abbott, Montgomery; sie alle, die ihrer Sache zum Opfer gefallen waren, ihren Tod redlich verdient hatten – ebenso, wie Albus Dumbledore am tödlichen Ende Draco Malfoys Zauberstab ihn nun erwartete.

Seine Hand zitterte fast unmerklich, als er die Spitze seines Zauberstabes etwas höher hob, und direkt auf das Gesicht des Schulleiters richtete. Obwohl er seinem Körper jegliche Anzeichen physischer Schwäche im Laufe der Jahre mühsam abtrainiert hatte, konnte er auch das Beben seiner Unterlippe nicht verhindern, als er einen halben Schritt vorwärts stolperte, um den alten Mann näher an seinem empfangenden Zauberstabsende zu wissen.

Das erste Mal im Rahmen seiner Existenz war Draco Malfoy unsicher. Er stand an der Spitze des Astronomieturmes, Albus Dumbledore wie seit neun Monaten erträumt unbewaffnet vor ihm, aber die entscheidenden Worte brachen aus unerklärlichen Gründen nicht über seine Lippen.

Es war eine klare Juninacht und so war auch der Sternenhimmel hinter dem alten Mann klar und unübersehbar in seiner schimmernd strahlenden Brillanz. Es tanzte Gemma in der Konstellation der nördlichen Krone über den Himmel, erkannte Draco nüchtern, der Stern, den er in der Tradition seines mütterlichen Elternhauses zu seinem eigenen erwählt hatte. Es schien ihm nahezu ominös, dass sie gerade heute so hell und strahlend leuchten sollte.

Magical Contest 2018Where stories live. Discover now