Kapitel 5 - Der Einzug in den Palast

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Blinzelnd öffnete ich die Augen. Um mich herum war es dunkel, nur zwei schwache Fackeln leuchteten rechts und links neben mir.

Was war passiert? Ich betrachtete meine Umgebung genauer. Und mir lief ein eiskalter Schauder über den Rücken, als mir bewusst wurde, wo ich eigentlich war.

Langsam rappelte ich mich vom harten Steinboden auf. Der Boden, die Wände, an denen die zwei Fackeln Licht spendeten, und die Decke bestanden aus nassem Stein. Der Raum, in dem ich mich befand, war quadratisch. Genau vor mir versperrten dicht beieinander stehende Eisenstangen. Kurz verstand ich gar nichts mehr. Eisengitter?

Dann traf mich die Erkenntnis wie ein Blitz, der vom Himmel auf die Erde schoss. Ich erinnerte mich wieder; wie mich Esdeath überwältigt hat und mitgenommen hat. Verschleppt. Weg von Nightraid und Akame.

Scheiße!

Schleichend bekam ich es mit der Angst zu tun. Was würde jetzt aus mir geschehen?

Die ganze Zeit beschäftigte ich mich mit diesem einen Gedanken und wie ich hier wieder fliehen konnte. Als ich einmal aus den Gittern herausspähte, erblickte ich weit und breit nur einen leeren, schwach erleuchteten Korridor. Keine anderen Verließe waren weit und breit zu sehen. Ich war hier ganz allein unten gefangen.

Vielleicht sollte ich um Hilfe schreien?, schoss mir auf einmal durch den Kopf. Aber wer sollte mich schon hören?

Seufzend lehnte ich mich an die kalte Steinwand und schloss die Augen, die sich plötzlich unendlich schwach anfühlten.

Ich musste eingeschlafen sein. Als ich wieder die Lider aufschlug, saß Esdeath direkt vor mir. Erschrocken wich ich zurück, doch die Wand versperrte mir Fluchtmöglichkeiten. Über meine Beine hatte jemand (vermutlich Esdeath) eine Decke ausgebreitet, die beeindruckend warm hielt. Deshalb ließ ich sie auf meinen Körper.

"Was willst du?", fragte ich und hoffte, das zittern in meiner Stimme würde ihr nicht auffallen.

Ein friedliches Lächeln malte sich auf ihren Lippen. Etwas in mir regte sich, verschwand jedoch genauso schnell wie es aufgetaucht war.

"Wie geht es dir, Tatsumi?" Ihre Stimme klang so ungewohnt freundlich. Das erinnerte mich an damals, als wir uns kennengelernt hatten und sie noch dachte, sie könne alles machen, was sie wollte mit mir.

"Lass mich hier raus!", brüllte ich Esdeath an, was jedoch das liebevolle Gesicht nicht verschwinden ließ. Irgendwie war ich zugleich froh, ihren Zorn nicht geweckt zu haben.

Esdeath hob die Hand und tätschelte meinen Kopf. Völlig perplex starrte ich sie an. Und was sollte das nun wieder?

Wütend schlug ich ihre blasse Hand weg. Sofort bemerkte ich den kleinen traurigen Schimmer in ihren eisblauen Augen. Unwillkürlich bereute ich meine abwehrende Geste. Ich wusste im Inneren, sie würde mir nichts anhaben.

Esdeaths Trauer verblasste jedoch rasch und sie sagte gelassen: "Keine Sorge, morgen wirst du ganz wo anders sein!" Diese Worte verwandelten ihr Lächeln in ein breites Grinsen.

"Was soll das nun schon wieder heißen?", erkundigte ich mich unsicher und über meinen ganzen Körper breitete sich eine Gänsehaut aus.

"Hab keine Angst. Ich bring dich an einem sicheren Ort. Aber erst morgen. Vorher muss ich mit dem Minister darüber reden", klärte sie mich etwas auf, doch ich blieb weiterhin verwirrt. Ein sicherer Ort? Was mag das zu bedeuten?

Esdeath verließ die Zelle wieder. Hinterließ jedoch eine Schüssel mit Reiß und irgendeiner Soße, die beeindruckend lecker schmeckte.

Wie versprochen holte mich Esdeath am nächsten Morgen aus diesem muffigen Loch. Also, ich nahm an, dass es nächster Morgen war. Jedenfalls kam sie nach gefühlt zwölf Stunden wieder zurück.

Ohne mich zu wehre, folgte ich ihr aus dem verlassenen Keller. Wir stiegen die rutschigen Treppen hoch. Ich war beeindruckt, dass sie mit diesen hohen Absätzen nicht ausrutschte - wie ich manchmal. Doch jedes Mal packte sie meine Hand und zog mich wieder auf den ganzen Fuß. Und ich erschrak immer aufs Neue, wie kalt sich ihre Haut anfühlte.

Endlich den dunklen Gang hinter uns gelassen, betraten wir nun einen hell erleuchteten Saal. Die bereits sehr kräftigen Strahlen der Morgensonne brachen durch riesige Bogenfenster, an denen ebenfalls meterhohe, bordeauxrote Vorhänge hingen. Die Wände waren in Elfenbein gefärbt. Der Boden zeigte kunstvolle Ornamente. Die ganzen Räume, die wir betraten, machten einen majestätischen Eindruck und manchmal raubte es mir fast den Atem, weil ich noch nie so große Zimmer zu Gesicht bekommen hatte. Mir gefiel die Einrichtung des Palastes ungemein.

Immer wohler fühlte ich mich bei der Erkundung und in der Nähe von Esdeath - aus dem einfachen Grund, weil sie mir nichts tat und alle Zimmer erklärte. Bisher hatten wir drei Badezimmer und eine Reihe an riesigen Festsälen betreten und kurz erkundigt. Sie versprach mir, dass wir später die schönsten Räume genauer betrachten, aber erst wollte sie mir mein kleines Reich zeigen.

Kaum zu glauben, dass ich einfach so hier angenommen wurde - aber ich traf auch bisher nur auf einen Soldaten, der vor Esdeath salutierte und mich keines Blickes würdigte.

Nach einer Stunde blieben wir vor einer kunstvoll bemalten Doppelbogentür stehen. Ich verschränkte die Arme vor der Brust und fragte mich, was nun geschehen sollte.

Esdeath kramte einen silbernen Schlüssel aus ihrer weißen Jacke und schloss auf. Mit einem kräftigen Ruck riss sie die Flügel auf und ich starrte in einen riesigen Raum, mit zwei großen Bogenfenstern, an denen Seidenvorhänge hingen. Auf dem marmornen Boden lag ein runder Teppich in einem schneeweißen Farbton. An der Wand stand ein Doppelbett, das schon von weitem sehr gemütlich aussah. Ich wäre am liebsten darauf zu gerannt und hätte mich hinein geschmissen.

"Das, mein Lieber, wird dein neues Zimmer sein!", sagte Esdeath mit vollem Entzücken über meinen sprachlosen Blick.

Echt jetzt?, dachte ich. "Echt jetzt?", sagte ich laut.

Sie nickte aufgeregt. "Gefällt es dir? Ich habe es mit meinen Team eingeräumt. Es sind zwar noch nicht viele Möbel, aber ich dachte eher, du willst entscheiden, was und wo alles stehen soll."

Ich trat einen Schritt in das Zimmer. Es war so groß. Drei- oder Vierfach so groß wie mein Zimmer im Nightraid-Quartier.

Einmal drehte ich mich im Kreis, dann nahm ich Kurs auf das Bett, in das ich mich schwungvoll hineinwarf. Ich lachte. So verwöhnt wurde ich noch nie!

Die Gliedmaßen ausgestreckt, lag ich in der weichen Bettdecke und schloss die Augen.

Wage bemerkte ich, wie sich jemand - Esdeath - zu mir ins Bett kuschelte. Das störte mich aber im Moment nicht. Es tat mal ganz gut, die Trägheit über einen erkommen zu lassen. So gut, dass ich meine Freunde bei Nightraid kurzzeitig vergaß ...

Akame ga KILL - Esdeath x TatsumiWo Geschichten leben. Entdecke jetzt