Der Kadett

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Hallo zusammen!
Hier kommt das zweite Kapitel mit einem kleinen Crossover, das später noch einmal relevant wird. Keine Sorge, ihr müsst euch damit nicht auskennen, man kann es auch so verstehen.

Viel Spaß...
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Auf der rechten Seite war die Waffenkammer und auf der linken Seite eine kleine Wohnung, die höher gestellten Musketieren vorbehalten war. Zur Zeit schien sie jedoch unbewohnt zu sein. Mondlicht schimmerte matt durch die Fenster. Als Lichtquelle konnte man den Halbmond heute nicht bezeichnen. Deshalb suchte Monique sogleich nach einer Kerze mit Halterung, um diese dann auch gleich zu entzünden.
Sie öffnete die zweite Tür auf der linken Seite und spähte vorsichtig hinein. Es war ein Zimmer für 7 Männer. Nun in diesem Fall eher für 7 Burschen, denn solche Mehrbettzimmer wurden von den Kadetten bewohnt. Trotz des Lichtes ihrer kleinen Lampe konnte die Frau den Boden kaum erkennen, was aber mehr daran lag, dass die Anwärter ihre schmutzigen Kleider auf dem Boden verteilt hatten. Seufzend stellte Monique die Lampe auf einem wackeligen Tisch neben der Tür ab und begann die Kleidung einzusammeln und zu ordnen. Mit geübten Handgriffen wurde die Kleidung der Jungen glattgestrichen und zusammengelegt. Genau für diese Arbeit war sie hergekommen. Das war es, weshalb sie sich nach gut 5 Jahren auf den Weg nach Hause gemacht hatte. Nach Hause...
Jack hatte sie angesehen, als sei sie verrückt geworden. Ihre neue gewonnene Freiheit gegen das triste Leben als Ehefrau eines Soldaten einzutauschen... Aber Monique liebte ihren Gemahl. Sie hatte Frankreich nicht aus freien Stücken verlassen. Ein Besuch bei ihren Eltern in Cannes endete mit einer Entführung durch abscheuliche Piraten. Einige Monate war sie durch den Atlantik und durch die Karibik gereist, nur um schließlich eines Nachts von Bord zu springen. Sie hatten gerade Tortuga verlassen und Monique war zurück geschwommen. Fast 5 Jahre hatte die Frau sich dann als Schrankmädchen durchgeschlagen, um ihre Fahrt nach Hause irgendwie bezahlen zu können, sollte je jemand Richtung Frankreich segeln. Und dann war sie Jack Sparrow begegnet... Verzeihung, Captain Jack Sparrow, natürlich...
Inzwischen hatte die nächtliche Rumtreiberin in zwei weiteren Zimmern nach dem Rechten gesehen, Kleidung zusammen gelegt und jeden Kadetten ordentlich zugedeckt. Im nächsten Zimmer jedoch hörte Monique noch Geräusche. Da konnte wohl einer nicht richtig einschlafen. Bei den jungen Anwärtern keine Seltenheit. Das Training war hart und nicht jeder kam damit zurecht. Der Bursche, der ihre Aufmerksamkeit erregte, als sie den Raum betrat, schlief am Fenster. Neugierig trat sie näher an ihn heran und leuchtete vorsichtig in sein Gesicht. Jugendlich, noch ohne sichtlichen Bartwuchs. Dunkelblonde Haare, die wohl eher zu einer Frau gepasst hätten. Monique stellte die Lampe etwas entfernt ab, damit sie sie nicht umstoßen konnte, sollte der Junge aufwachen. Unruhig wälzte er sich im Bett hin und her und stöhnte immer wieder gepeinigt auf. Sanft berührte die Frau seine Schulter und rüttelte daran. Erschreckt fuhr der Kadett hoch und sah sie schockiert an. Wie kam eine Frau in die Garnison der Musketiere? Noch dazu in den Quartiere?
„Wer seid Ihr? Was macht Ihr hier?"
Er schrie nicht, was ihm Monique hoch anrechnete. Er klang beinahe heiser.
„Ganz ruhig, Junge.", versuchte sie ihn zu beruhigen, „Ich bin Madame Monique. Ich bin hier, um dir und deinen Kameraden zu helfen. Also, wie heißt du?"
„Matthieu. Seid Ihr wirklich die Monique?!", fragte der Bursche überrascht.
Er kannte die Geschichten der Madame Monique. Jeder neue Anwärter kannte sie, denn die älteren Musketiere erzählten sie immer mal wieder, wenn sie dem Wein zugeneigt waren. Die Madame war berühmt und berüchtigt. Wenn man den Geschichten Glauben schenken sollte, war sie so etwas wie die Mutter der Musketiere! Häufig klangen sie dann aber doch wie Ammenmärchen. Wann immer ein Kadett nämlich versucht mehr zu erfahren, blockten die Musketiere ab. Matthieu hatte mal den Musketier Aramis gefragt, ob die Geschichten Wirklichkeit wären. Der beste Schütze des Regiments hatte den Kopf schief gelegt und war ungewöhnlich ernst geworden.
„Man spricht nicht über die Madame. Nicht hier. Besser, du vergisst alles, was du je über sie gehört hast."
Dann hatte Aramis ihn einfach stehen gelassen. Matthieu war verwirrt gewesen. Aber Hauptmann Treville hatte ihn wieder zu seiner Aufgabe zurück geschickt. Seitdem hatte der Kadett sich zurückgehalten und nie wieder gefragt.
„Ja, ich bin DIE Monique.", lächelte die Frau an seinem Bett, „Erzählst du mir jetzt, was dich bedrückt?"
Der blonde Junge sah ihr nachdenklich in die Augen und glaubte darin, Verständnis und Mitgefühl zu erkennen. Er glaubte, ihr vertrauen zu können. Vorsichtig setzte er sich in seinen schmalen Bett auf. Kurz knabberte der Kadett auf seiner Unterlippe herum, bevor seine Sorgen aus ihm heraus flossen wie aus einem Wasserfall.
„Es ist wegen der Ausbildung zum Musketier. Ich mein, wir müssen doch Menschen erschießen. Wir nehmen ihnen das Leben. Aber es ist doch gegen die Gesetze unseres Herrn."
Ein trauriger Ausdruck spiegelte sich in seinen Augen. Es schien Matthieu sehr zu belasten, was zukünftig zu seinen Aufgaben gehören sollte. Tröstend legte Monique ihre rechte Hand auf den Oberschenkel des Jungen. Er zuckte zusammen, wohl eine ungewohnte Berührung, die der Frau zeigte, dass sie einen Jungfräulichen vor sich hatte. Seine Unschuld war ihm anzusehen, was ein Lächeln auf Moniques Gesicht zauberte.
„Weißt du, niemand wird von dir verlangen, dass du unschuldige Menschen umbringst. Außerdem ist nicht gesagt, dass du den tödlichen Schuss setzen musst. Wenn du deine Muskete gut führst, entscheidest du, wo du deinen Gegner triffst. Ich schieße bevorzugt in den Arm, macht meinen Gegner kampfunfähig..."
Diese Erklärung stimmte den Jungen nachdenklich. Was die Frau ihm erzählte, klang sinnvoll. Doch ein bitterer Beigeschmack blieb. Es mochte ja gut klingen, was die Madame erzählte. Aber wie sollte es möglich sein?
„Aber ich verletzte doch einen Menschen... Der Herr im Himmel wird mir doch nicht solch ein Frevel verzeihen.", murmelte Matthieu entsetzt.
Nun war die Erfahrung von Monique gefragt. Als Frau eines Soldaten hatte sie gelernt, sich auf Gefahren einzulassen. Ihr Mann lebte nicht gerade ungefährlich. Jeden Morgen betete Monique für ihren Geliebten, damit er den Tag überlebte. Sie hatte mit diesem Ritual nie aufgehört. Auch nicht, als sie von Piraten entführt wurde.
Sie wusste, dass es nicht einfach war, jemanden zu verletzten oder zu töten. Monique hatte sich selbst bereits tödlich verteidigen müssen und bat in ihren Gebeten stets um Vergebung.
„Warum willst du ein Musketier werden?", stellte Monique eine unverhoffte Frage.
Überrascht zog der Junge die Augenbrauen hoch. Was hatte das bitte mit seinen Sorgen zu tun? Wollte sie einen Grund finden, um ihm den Dienst als Musketier zu verwehren? Betrübt drehte Matthieu den Kopf weg. Er hatte es gewusst. Er war es nicht wert, Seiner Majestät zu dienen. Er war nicht gut genug. Vielleicht hatte seine Mutter doch recht gehabt, hatte ihn gewarnt, dass es zu gefährlich für solch ein jungen Burschen wäre. Doch der Älteste der drei Söhne war unbeirrt seiner Bestimmung gefolgt. Seine Bestimmung, der Familie Dumas, seiner Familie, Ruhm und Ehre zu bringen. Sie stolz sein lassen, auf einen mutigen und heldenhaften Musketier. Jedenfalls hatte er das geglaubt. Nun schien es ihm der Traum eines Verrückten zu sein. Eines Wahnsinnigen. Ein so weit entferntes Ziel, dass er es nie würde erreichen können. Resigniert zog er die Beine an und umschlang sie mit seinen Armen.
„Matthieu? Ich warte auf eine Antwort."
Dafür, dass sie ihn in Frage stellte, war die Madame noch recht höflich. Hauptmann Treville wäre kaum so ruhig geblieben. Wenn sich jemand seinen Regel widersetzte, konnte er angst einflößend sein. Sein Zimmergenosse Frederic hatte sich einmal trotz des ausdrücklichen Verbots des Hauptmannes aus der Garnison geschlichen, um seine Geliebte zu besuchen. Die Standpauke, die Frederic sich bei seiner späten Rückkehr eingehandelt hatte, war in der ganzen Garnison zu hören gewesen und wahrscheinlich auch auf dem Platz vor dem Hauptquartier. Seitdem wussten die Kadetten, dass man sich besser nicht mit dem Hauptmann anlegte.
Plötzlich spürte Matthieu eine Hand auf seiner Schulter und zuckte zusammen.
„Matthieu, stimmt etwas nicht?", fragte Monique erneut.
Was war nur mit diesem Burschen los? Er schien vorhin in Gedanken versunken zu sein und offensichtlich waren es keine angenehmen Gedanken gewesen. Monique konnte nur vermuten, woran der Junge dachte. Vielleicht an seine Familie, die er enttäuschte, verließe er das Regiment der Musketier-Kadetten. Vielleicht glaubte er gegen Gottes Willen zu handeln.
„Ein Mann Gottes und ein Mann der Kirche sind nicht immer eine Person. Man findet den Weg zu Gott nicht immer in einer Kirche oder in einem Kloster. Manchmal muss man erst aus solchen Gotteshäusern heraustreten, um Gott zu finden."
Das hatte ihr Onkel Andre immer gesagt. Der war Mönch gewesen und hat die Familie stets mit seinen philosophischen und religiösen Lehren und Reden auf Trab gehalten. Doch sie waren größtenteils Lebensweisheiten, die durchaus hilfreich sein konnten. Jetzt wusste Monique aber wieder, wie sie Matthieu beruhigen konnte. Denn ein Cousin von ihr wollte mal Soldat werden. Doch auch er hatte wegen seiner Gläubigkeit gezögert. Die Frau erinnerte sich noch gut daran, was Onkel Andre ihm geraten hatte.
„Ich werde niemals ein guter Musketier werden, wenn mein Gewissen mir im Wege steht...", seufzte Matthieu enttäuscht.
Da hatte Monique also recht gehabt. Lächelnd streichelte sie über seine angezogenen Beinen.
„Mein Cousin hatte das gleiche Problem wie du. Er hatte Angst vor dem Zorn des Herrn. Deshalb hat er für jeden, den er verletzt oder getötet hat, gebetet. Nach jeder Schlacht."
„Ich soll also beten, wenn ich jemanden töte? Wird mir Gott vergeben?"
Matthieu hatte allerhand Fragen, doch Monique war keine Geistliche. Sie war nur eine Frau mit etwas Lebenserwartung. Wie sollte sie den verwirrten Kadett da auf den richtigen Weg führen? Sie war kein Priester, der ein verlorenes Schaf zu seiner Herde brachte. Aber es war noch längst nicht mit ihrer Weisheit am Ende. Monique war nun – man sah es ihr zwar kaum an – fast 35 Jahre alt. Ein beträchtliches Alter, wenn man bedachte, in was für Abenteuer sich die so gerühmte Mutter der Musketiere bisweilen warf.
Von einigen dieser aufregenden Ereignissen trug sie Narben am Körper. Eine am Oberarm vom Degenspiel mit ihrem Gemahl aus ihrer Hochzeitsnacht. Eine kreisrunde an der Schulter durch eine Musketenkugel, als sie mit einigen jungen Musketieren auf Trainingslager gewesen war und einer der Burschen zwar die Dose, die als Ziel gedacht war, getroffen hatte, aber die Kugel abgeprallt war und stattdessen Moniques Schulter durchschlagen hatte.
Manch andere Körperstelle war ebenso verziert. Ihr Leben und ihr von Gott bestimmtes Schicksal hatten sie gezeichnet. Doch aus ihrer Erfahrung heraus versuchte die Dame dem Burschen einen guten Rat zu vermitteln.
„Du willst dein Leben Gott widmen, dann geh und werde Mönch. Das ist keine Schande. Ob Gott dir vergeben wird, wenn du deinen Gegner im ehrenhaften Kampf verletzt oder tötest, vermag ich dir nicht zu sagen. Aber...", ergänzte Monique schließlich mit ihrer mütterlichen Stimme, für die sie so bekannt war, „wenn es dich so sehr plagt, gehen wir am Sonntag nach der Messe in die kleine Kapelle in der Rue de l'Our. Der Priester dort ist ein sehr netter Mann. Er kann dir vielleicht helfen zu verstehen."
Erst war Matthieu wütend, dass die Frau, die sich als Mutter auszugeben schien, keine gütige und liebenswerte Person mehr zu sein schien. Aber ihre erst harten Worte gaben Sinn, so weit er es in seinem übermüdeten Zustand noch beurteilen konnte, und ihr Angebot war es wert angenommen zu werden. Das Gespräch mit der Madame hatte ihn schläfrig werden lassen, dass ihm beinahe die Augen zu fielen, ohne dass er seiner Helferin eine Antwort gegeben hätte.
„Danke, Madame.", flüsterte er nur und drückte einmal ihre Hand.
Die Angesprochene lächelte, als der junge Kadett die Augen schloss, sich auf die Seite drehte und in einen für ihn hoffentlich erholsamen Schlaf glitt. Vorsichtig deckte sie ihn zu. Wie ein Kind kuschelte sich Matthieu in seine Decke. Monique hätte ihn noch stundenlang beobachten können, doch sie hatte noch eine Menge zu tun.

Mutter der MusketiereWo Geschichten leben. Entdecke jetzt