Der Fechter

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Hallo zusammen,

nur ein kurzer Hinweis zu Textauszeichnung: Alles, was kursiv geschrieben ist, passierte in der Vergangenheit. Das Dick gedruckte ist in diesem Fall eine Erinnerung des Comte. Es erklärt sich, wenn ihr es lest. :)

Viel Spaß...

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Mit ihrem kleinen Licht zog sie weiter durch die Zimmer der Garnison. Die Quartiere der Kadetten hatte sie nun hinter sich gebracht. Jedes der 4 Zimmer war nun ordentlich und aufgeräumt. Jetzt waren die Musketiere an der Reihe. Falls sich nichts geändert hatte, waren es etwas 45 Zweibett-Zimmer, die die Garnison beherbergte. Einige Musketiere wohnten nicht hier, sondern bezogen kleine, kostengünstige Zimmer in der Stadt. Manche lebten noch bei ihren Eltern, weil diese die Kosten für Waffen, Kleidung und Essen übernahmen. Andere wiederum nutzten die Privatsphäre außerhalb der Garnison, um nachts ihre Geliebte zu besuchen oder um die geplagte Ehefrau zufrieden zustellen. Bei den dünnen Wänden der Quartiere der Musketiere und den dann eher unpraktischen Zweibett-Zimmer konnte solche eine Zufriedenstellung sich als eher schwierig erweisen. Besonders wenn man vor der Tür oder gar am Schlüsselloch die aufgeregten Lauscher hören konnte.
Insgesamt waren 108 Mann bei den Musketieren, also 27 Trupps á 4 Personen, mindestens 90 davon lebten in der Garnison, die 28 Kadetten nicht mit eingerechnet. Theoretisch konnten alle Musketiere in dem Gebäude leben: in 10 weiteren Zimmern standen Betten bereit.
Bei den älteren kam Monique doch recht schnell voran. Es war ja keine junge Burschen mehr, die aus Bequemlichkeit ihre Hemden auf den Boden schmeißen, oder gar ihr Hab und Gut unordentlich über den Bettpfosten hängten, weil sie aus der jahrelangen Erfahrung, eines der Hausmädchen werde schon für Ordnung sorgen, nicht loskamen. Die Männer wussten zudem, wer die zerrissenen Sachen flicken und die schmutzigen waschen musste: Sie selbst. Eine Arbeit, die man umging, sorgte man gleich für Ordnung.
Bei einigen jedoch verhinderte wohl der langwierige Konsum von Alkohol diesen lobenswerten Zustand eines Zimmers, musste die Madame feststellen. Schon am abstoßenden Gestank von mehreren Dutzend Flaschen Wein erkannte sie das fünfte Zimmer links im ersten Stock ganz am Ende des Flures. Es gehörte Athos, eigentlich Olivier de Athos, der Comte de la Fere. Er hatte es bestimmt nicht leicht im Leben. Viel hatte er nicht erzählt, als er vor mehr als fünf Jahren vor der Tür der Garnison stand, mit nichts weiter als seinem Titel und seinem Degen. Mit letzterem konnte der Mann allerdings weitaus besser umgehen.
Eindrucksvoll hatte Athos sich zuvor in eine Kneipenschlägerei verwickeln lassen wollen, um einen sinnvollen Tod zu sterben. Monique hatte ihn in ein Gespräch gelockt und einige Tage stand er vor der Garnison und bat um Aufnahme bei den Musketieren. Monique erinnerte sich noch sehr eindrucksvoll an die Schlägerei:

„Du alter Saufkopf! Du willst wohl Prügel beziehen, was?!?", dröhnte es laut durch die Taverne „Zum durstigen Esel".
Monique lehnte amüsiert an der Theke und hatte einen Weinkrug in der Hand. Sie mochte diese kleine Kneipe. Für gewöhnlich schwatzte man hier laut, trank viel Wein und genoss den Abend. Natürlich gab es Faustkämpfe und Schlägereien. Monique würde lügen,wenn sie behaupten würde, sie hätte keinen Spaß an solcher Art der Unterhaltung. Zu gerne beobachtete sie die Männer und deren Kampfkünste. Sicher konnte man bei vielen nicht von Kunst sprechen, aber der Mann, der als Saufkopf bezeichnet wurde, hatte etwas interessantes an sich. Neugierig sah die Madame dabei zu, wie sich Guillaume de Fontaine aufrichtete und zu seinem Degen griff. Fontaine war der beste Fechter der Musketier-Garde. Niemand hatte ihn bisher geschlagen, was sicherlich seiner Herkunft zu verdanken war. Wie jeder andere, männlicher Spross einer Adelsfamilie erlernte er auch die hohe Kunst des Fechtens. Und Guillaume tat sich allerdings besonderes hervor.
Zu Ehren des 35. Geburtstag der Madame de Fontaine, der lieben Mutter Guillaumes gab es einen Schaukampf mit dem ältesten Sohn der befreundeten Dupont-Familie. Als guter Freund der Duponts war auch Hauptmann Treville geladen und hatte den noch jungen Guillaume fasziniert beobachtet. Am nächsten Morgen hatte die Garnison einen neuen Kadetten, sehr zur Freude von Madame de Fontaine. Noch Monate danach sprach sie von dem besten Geburtstagsgeschenk, dass sie je bekommen hatte.
Kurz gesagt, bedeutete das, dass der, der sich gerade mit Guillaume anlegte, es wohl darauf anlegte, in näherer Zukunft seinem seligen Schöpfer zu begegnen.
Dieser hob seine Rapier zum Gruß, wie es ein Edelmann tat, ein Adeliger. Offensichtlich verstand der Trunkenbold ein bisschen vom Fechten. Fontaine ließ sich nicht aus der Ruhe bringen und legte seine Klinge an die Klinge seines Gegners.
„Sagt mir euren Namen, damit ich weiß, was ich auf Euren Grabstein meißeln soll!", forderte er jetzt brüsk.
Sein Gegner starrte ihn an, blieb ebenso ruhig. Schien eher der schweigsame Typ zu sein. Monique hielt es jetzt für angebracht sich in die Streiterei einzumischen und den Musketier zu bremsen.
„Na na, Fontaine, halt dich zurück! Ich hab keine Lust den da zu begraben.", rief sie lachend.
Der Blick des Fremden wanderte zu ihr hinüber. Misstrauisch wurde sie gemustert. Abscheu konnte Monique erkennen. Der Herr schien keine Frauen leiden zu können. Sein Schmerz lag wohl noch nicht weit zurück. Sie konnte Trauer in seinem Gesicht lesen, auch Gleichgültigkeit, Aufgabe. Es war eine Mischung von Gefühlen, die sie dazu bewegte, den Fremden etwas aufzumuntern. Einen Schluck aus ihrem Krug nehmend, trat sie auf den Betrunkenen zu und blieb dicht vor ihm stehen.
„Kopf über Herz, Monsieur, Dupliert geschickt und nutzt Euren Parierdolch... Viel Glück.", fügte sie freundlich hinzu.
Jetzt war es Überraschung, die das Gesicht des Monsieur zeichnete. Vermutlich, weil eine Frau ihm Ratschläge gab. Tatsächlich konnte der Fremde von sich behaupten, ganz gut zu fechten. Als Sohn der Familie de la Fere hatte er es früh gelernt und sich besonders geschickt angestellt. Thomás behauptete immer, er könne der beste Fechter Frankreichs werden. Thomás... Er war tot, seine Frau Anne hatte ihn getötet. Dafür hatte er sie gehängt. Sie hatte ihn belogen, benutzt und getötet. Eine einfache Bettlerin, eine Hure! Noch nie war er so gedemütigt werden. Um seine Ehre zu verteidigen, hatte er sie gehängt. Anne de Breuil, Comtesse de la Fere war tot. Es war erst 4 Monate her. Seitdem war Olivíer eigentlich durchgehend betrunken. Er konnte sich jedenfalls nicht mehr daran erinnern, irgendwann mal nüchtern gewesen zu sein.
Er hatte ja nicht mal eine Ahnung, wie er von La Fére hier nach... Wo war er nochmal? Ne große Stadt... Ach ja, Paris. War auch eigentlich egal. Er wollte nur sterben. Den Musketier anzupöbeln und auf einen tödlichen Kampf zu setzen, in dem er als Ehrenmann sterben könnte, schien seinem Alkohol vernebeltem Hirn sehr vernünftig zu sein. Aber diese Frau irritierte ihn, kommt einfach an und gibt ihm Ratschläge. Er brauchte ihre Hilfe nicht, um den Musketier vor sich zu besiegen. Sein Kampfgeist war geweckt. Beweisen wollte er dieser arroganten Dame, dass er im Fechten einen Sieg erlangen würde.
Monique hatte sich schon von ihm entfernt und nahm zwischen den beiden Kämpfern Haltung an.
„Nun denn, Monsieurs. Auf einen ehrlichen und fairen Kampf unter Edelmännern. Möge der flinkere Degen gewinnen!"
Beide Männer nahmen die Ausgangsposition ein. Erst hielten sie ihre Rapiere parallel vor ihren Körpern, um sie dann blitzschnell hinunter sausen zu lassen, so dass sie neben ihren rechten Beinen waren. Dann legten sie ihre Degen gegeneinander und nahmen die eigentliche Kampfhaltung ein. Fontaine wie üblich aufrecht, die linke Hand erhoben hinter sich. Es wirkt fast schon zu perfekt. Sein Gegner hingegen wirkt gebeugt, dem Wein zu zuschreiben. Er hatte die linke Hand in die Hüfte gestemmt. Abwartend umkreisten sich die beiden, strichen ihren Degen an der Klinge des Gegners auf und ab. Keiner machte den Anfang.
Monique verriet das bereits sehr viel über den Namenlosen: er konnte fechten, kannte die Grundpositionen, dennoch hatte er schon einen eigenen Stil, hielt sich nicht immer an Vorschriften. Außerdem war er nicht hitzig oder leichtfertig, obwohl sein Verhalten zuvor durchaus für beides sprechen könnte.
Fontaine hatte keine Lust länger zu warten und drückte seinen Degen schwungvoll nach vorne, Mit aller Kraft versuchte er seinen Gegenüber zurückzudrängen. Doch Olivíer gab nicht nach und hielt dagegen. Der Musketier verzog das Gesicht, zog dann urplötzlich seinen Degen zur Seite, um seinen Gegner ins Leere laufen zu lassen. Doch dieser schien das vorhergesehen zu haben, drehte sich zur Seite und wehrte den von oben ausgeführten Schlag Fontaines ab. Die Menge um sie herum jubelte auf. Ein richtigen Kampf hatte es schon lange nicht mehr gegeben. Jedenfalls keinen solch unterhaltsamen. Wüste Beschimpfungen für den Schwächeren, Jubel für den Stärkeren. Es war ein einziges Gejohle.
Guillaume fauchte verärgert. Sonst behielt er stets die Oberhand im Kampf. Doch dieser aufmüpfige Kerl hielt sich tapfer. Obwohl der Musketier kräftig kämpfte, verlor er allmählich die Oberhand. Olivíer wiederholte seine Schläge, zog zweimal hintereinander seinen Degen von unten nach oben, was wiederum seinen Gegner stolpern ließ. In einer fließenden Bewegung zückte der scheinbar Betrunkene seinen Parierdolch, so wie Monique es ihm geraten hatte. Damit wehrte er den nächsten, unbeholfenen Schlag ab. Für einen Musketier war Fontaine heute wirklich zu schlecht. Jeder erfahrene Soldat hätte ihn in innerhalb kürzester Zeit umgebracht. Und das ihm gegenüber war höchstens ein baldiger, viel versprechender Kadett.
Fontaine fachte das Feuer in Olivíer de la Fére an.
Der Comte hatte seinen Besitz aufgegeben, seinen Titel. War nur nach Paris gekommen, um sich seinen letzten Wunsch zu erfüllen. Einmal nur auf der Pont de Notre Dame zu stehen und die Seine-Ufer zu beobachten. Ein Kindheitstraum, den er sich erfüllt hatte, bevor er in diese Kneipe gegangen war, um seine Sorgen zu ertrinken. Ehrenvoll und im Kampf wollte er sterben, nicht von der Brücke springen. Auch wenn er kurz daran gedacht hatte, als er auf die Seine geblickt hatte. Dann hatte ihn jemand angerempelt. Früher hätte er die Person gefordert, ihn im Duell besiegt und an seinen Platz verwiesen. Doch kaum, dass er sah, wer ihn da gestoßen hatte, wich der Ärger beinahe blinde Wut. Die langen, braunen Locken, das hübsche Kleid: eine Frau. Jenes verhasste Wesen, das ihm alles genommen hatte. Anne...
„Oh, verzeiht mir, Monsieur. Ich habe Euch übersehen. Verzeiht."
Es klang gar nicht wie Anne. Es war zart, zerbrechlich, unbeholfen. Olivíer hob den Blick und betrachtete die Frau genauer. Sie mochte ein bisschen aussehen wie seine Frau, aber doch anders. Obwohl alle Frauen gleich waren, verlogene hinterhältige Biester. Er stieß sie beiseite und wandte sich von dem schönen Ausblick, den er bis eben genossen hatte, ab. Nur um in der nächsten Kneipe wieder auf solch eine Frau zu stoßen. Diese Weiber verschwanden wohl nie.

Wütend schlug der Mann auf das Musketier ein. Sein ganzer aufgestauter Hass und sein gesamter Frust richtete sich jetzt gegen Fontaine. Wie ein wild gewordener Stier hieb Olivíer auf seinen Gegner ein. Dieser war überrascht, viel zu überrascht, um vernünftig reagieren zu können, wie Monique missbilligend feststellte. Woraus der Fremde seine Kraft zog, vermochte sie nicht zu sagen. Doch es ließ ihn stärker werden und schließlich mit einem durchaus eleganten Manöver gewinnen, als er seinen Degen um Fontaines zu drehen schien, so dass dieser seinen verlor.
Herausfordernd deutete der Comte de la Fére mit der Degenspitze auf den Musketier. In der Kneipe herrschte Totenstille. Andere Musketiere musterten den Fremden teils beeindruckt, teils fragend. Wie er es geschafft hatte, den Besten der Kadetten zu besiegen.
Monique applaudierte anerkennend. Der Emporkömmling war gut, vielleicht sogar der Beste. Langsam trat sie an den Mann heran, der mittlerweile seinen Degen gesenkt hatte, als Fontaine seine Niederlage angenommen hatte.
„Gut gekämpft, Monsieur.", murmelte er leise.
Der Angesprochene nickte nur und wandte sich zum gehen. Aber Monique hielt ihn auf.
„Einen Moment, Monsieur. Ihr seid ein guter Fechter. Ihr hättet die Chance ein Musketier zu werden..."

Einige Tage später war Olivíer de la Fontaine ein Kadett der Musketiere, allen nur bekannt als Athos, benannt nach den Ländereien, die zu seinem Besitz gehörten. Monique musste jedes Mal lächeln, wenn sie sich daran erinnerte. Athos hatte ihr trotz seiner Vergangenheit stets Vertrauen entgegen gebracht und sie ihm auch. Es war eine wundervolle Freundschaft. Und sie hatte ihn verlassen, ihn enttäuscht. Und auch die anderen Musketiere. Hielten sie sie für eine Verräterin? Eine, die ihre Söhne im Stich ließ? Die Männer und Burschen, die ihr nun wirklich ans Herz gewachsen waren, ihr wie Söhne geworden waren.
Und wofür? Weil sie sich mit ihrem Mann gestritten hatte?

Mutter der MusketiereWo Geschichten leben. Entdecke jetzt