Kapitel 3

117 3 2
                                    

Wir sahen uns nur für Sekunden in die Augen. Doch es fühlte sich an, als wären es Stunden. So eindringlich. So intensiv. So vertraut. 

Das alles in nur Sekunden. Es war, als würde die Zeit stehen bleiben. Es gab nur ihn, mich und diesen Schock, der mein Herz erst zum stoppen und dann zum rasen brachte. In diesem Moment erkannte ich, dass die Welt, die mir all die Menschen in meiner Umgebung einlullten, bloß ein großer Haufen Mist war.  

Dann waren Schritte zu hören. Schritte, die hektisch und unrhythmisch klangen. Es waren viele Schritte. Als ich mich von Shannon's Blick losriss um die Ursache der Schritte herauszufinden fand ich einige Klassen vor. Alle starrten fassungslos in meine Richtung.  

Oh nein! 

Ich fühlte es. Instinktiv wusste ich, dass sie es nicht sehen durften. Ihn nicht sehen durften. Ich musste etwas tun! 

Als ich aber den Blicken der geschockten Schüler und Lehrer folgte fand ich bloß eine zerbrochene Scheibe und einen langgezogenen Krater am Boden vor. Keinen Shannon. 

>> Was ist hier passiert ?! <<, rief Frau Mallon, meine Chemielehrerin. Ihre Stimme brach fast. 

Ich schaute die geschockte Meute vor mir wieder an. Was sollte ich ihnen erzählen ? Tja, also ... Da waren diese zwei Todesengel. Die haben sich hier einen Kampf ausgeliefert, weil der eine sehr wahrscheinlich meinen Tod wollte, aber der andere wollte das anscheinend nicht. Und naja, dabei ist hier die Scheibe kaputt gegangen und so. Aber hey, halb so schlimm. Noch ist niemand ist draufgegangen, also könnt ihr in Ruhe wieder lernen gehen.  

>> Ich weiß es nicht. Ich bin auch hierhin gerannt, als ich den Radau gehört habe. <<, log ich stattdessen.  

Als ich mir den Tatort wieder ansah bemerkte ich eine lange, schwarze Feder am Boden, wo Shannon vor wenigen Sekunden noch kniete. Sofort stelle ich mich davor, damit sie keiner sah.  

Gemurmel ertönte und brach das angespannte Schweigen.  

>> Ehm ... Alle wieder in ihre Klassen! Es ist nichts passiert! Los! <<, rief unser Spanischlehrer.  

Langsam schlurften die Schüler und Lehrer wieder in ihre Klassen. Keiner wusste so wirklich, was er davon halten sollte. Genau wie ich. Ich guckte mich um, ob mich noch jemand beobachtete. Sobald die Luft rein war hob ich schnell die Feder auf, rannte durch das riesige Loch in der Scheibe in den kleinen Schulgarten und vergrub sie hinter den großen Baum neben dem Goldfischteich. Hier würde sie ruhen müssen, bis meine Chemiestunde vorüber war. Ein letztes Mal starrte ich in den Himmel, in der Hoffnung, dass ich ihn nocherblickte, doch er war wie vom Erdboden verschluckt.

Ich schaute auf die Uhr auf meinem Nachttisch. 19:55 stand dort in roter Schrift. Seit fast einer Stunde lag ich also auf meinem Bett. Ich war so versunken in meine Erinnerungen an heute Nachmittag, dass ich gar nicht bemerkt hatte, dass ich bereits so lange dort lag und diese Feder anstarrte. Ich hatte sie nachgemessen. Es waren 24,7cm. Sie war weich, obwohl sie so eisern und widerspenstig wirkte. Sie roch noch immer nach Erde und Moos, aber auch nach etwas anderem ... Es hatte etwas von Sandelholz und Vanille. Eine wohlige und vertraute Duftnote, die mich ganz verträumt machte. Für einen Moment schloss ich die Augen. 

Ich sah Shannon vor mir. Er lächelte mich an. Das war merkwürdig, da ich ihn noch nie lächeln gesehen habe. Er war weit weg, um uns herum ein Wald. Vögel zwitscherten, Schmetterlinge tanzten und Bienen summten melodisch vor sich hin. Alles war so harmonisch. Ich fühlte mich wohl.  

Doch erwiderte ich sein Lächeln, fletschte Shannon plötzlich eine Reihe grässlicher, messerscharfer Zähne und raste auf mich zu. Das Bild des fröhlichen, blühenden Waldes verschwamm und ein Szenarium aus Blut und Leichen erfasste mein Auge. Doch ich würdigte diesem keines Blickes. Meine gesamte Aufmerksamkeit galt nun Shannon. Mordlust blitze in seinen Augen auf und er knurrte laut und animalisch. 

Ich setzte mich schreiend auf. Mein Atem ging schwer. Mein Herz raste wie wild.  

>> Schatz ? Ist alles in Ordnung ? <<, rief meine Mutter besorgt aus der Küche.  

Ich musste mich erst wieder fangen um ihr mit piepsiger Stimme versichern zu können, dass es mir gut ging. 

Ich versuchte panisch meinen Gedanken den Garaus zumachen, als ich es an unserer Haustür klingeln hörte.  

>> Ich geh schon! <<, rief ich, froh darüber, dass ich nun eine Ablenkung hatte. Ich riss die Tür auf.  

Meine Augen weiteten sich. 

>> Shannon? <<

PoenaWo Geschichten leben. Entdecke jetzt