Kapitel 4

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>> Du musst mir mir mitkommen. <<, seine Stimme war fest und seine Gesichtszüge kalt. 

Ich starrte ihn einen langen Moment an. Was sollte ich auf diese prompte Aussage antworten?  

>> Normalerweise grüßt man sich, bevor ... <<, setzte ich bereits an, doch er fiel mir ins Wort. 

>> Rede nicht so viel, pack' deine Sachen und komm mit mir mit. In fünf Minuten stehst du vor der Tür. << 

>> Wie bitte? <<, brachte ich empört heraus, bevor ich mich zügeln konnte. >> Was soll diese Aktion? Denkst du wirklich, ich würde mit dir, einem ... Etwas, einfach so mitgehen?! Außerdem ... Was willst du überhaupt von mir? Wieso tauchst du überall auf und lässt mich an allem, was vernünftig und gut ist zweifeln? <<, mir kamen fast die Tränen.  

Verdammt. Nicht jetzt. Mir kamen jedes Mal die Tränen hoch, wenn ich wütend wurde. Und dieses Mal war ich wütend. Und verzweifelt.  

Sein Blick durchdrang mich intensiver je mehr ich redete. Ich merkte, dass ich keine Chance hatte. Er würde mich sogar an den Haaren heraus schleifen, wenn's sein musste. 

>> Mäuschen, wer ist da?! <<, rief meine Mutter aus der Küche.  

Ich hielt einen Moment inne und schaute Shannon an. Jetzt war der Moment gekommen. Ich musste mich entscheiden, ob ich ihn in Schutz nahm, oder verpfiff.  

Wenn ich heute darüber nachdenke, weiß ich genau, dass es damals nie den Zeitpunkt gegeben hat, an dem ich entscheiden konnte, ob ich blieb oder ging. Ich wusste überhaupt nichts. Ich stand im Dunkeln. Ich hätte mir nie erträumen können, dass ich einer der Menschen sein würde, die in Geschichtsbüchern standen. Nicht in menschlichen, versteht sich. Doch dieser Moment war der Knackpunkt meines Lebens.  

>> Ein guter Freund. Er fragt ob wir ins Kino können. << 

Dass Shannon ... Dieses fremde, mysteriöse Wesen, nicht die Absicht hatte, mich auf ein Date oder Ähnliches einzuladen war mir von vornherein klar. Ich wusste aber, dass ich meine Mutter anlügen musste.  

>> Oh ... Ehm ... <<, man hörte es laut klappern und poltern, als meine Mutter dann endlich aus der Küche kam, um meinen neuen, guten Freund zu begutachten.  

Shannon lächelte sogar höflich. 

Das erste Mal, dass ich ihn lächeln sah. Er hatte wunderschöne, geschwungene Lippen.  

>> Guten Tag. Es ist doch nicht allzu schlimm, dass ich ihre Tochter einlade, oder? <<, fragte er in einem lockerem, aber respektierendem Ton.  

Unglaublich, wie nett er sein konnte. Das war mir völlig fremd.  

>> Ach nein <<, lachte meine Mutter, >> Ich wünsche euch beiden viel Spaß! <<  

Damit verschwand sie wieder. 

>> Beeil' dich. Fünf Minuten. <<

>> Ehm ... Schickes Auto. <<, unterbrach ich die erdrückende Stille. 

Wir waren bereits auf dem Weg. Wohin wusste ich auch nicht, aber ich wollte auch gar nicht nachfragen.  

Er ignorierte mich.  

>> Wow. Okay. <<, sagte ich patzig, >> Wieso hast du mich dann entführt, wenn du nicht mal mit mir redest? <<  

Er antwortete noch immer nicht. 

>> Schön. Wie du willst, Mister Ich-Bin-Zu-Cool-Um-Mit-Dir-Zu-Reden. << 

Genervt ließ ich mich in den Sessel sinken.  

Ich schloss die Augen und merkte, wie müde ich war. Meine Augen brannten bereits, da sie so erschöpft waren. Kurz bevor ich eingeschlafen war schien ich ein leises Schmunzeln gehört zu haben. Aber vielleicht war das auch nur der Fahrwind ...

Sofort richtete ich mich auf. Mein Herz raste wie wild. Mir war schwindlig. Heiß und kalt zur gleichen Zeit.  

Wo bin ich? 

Es klopfte an der Tür. >> Melissa? << 

Ich erschrak. Ich kannte diese Stimme nicht. 

>> Darf ich reinkommen? << 

Ich stellte fest, dass die männliche Stimme hinter der Tür freundlich war. Sogar auf eine eigene Art und Weise beruhigend. 

>> Ich denke schon. <<, antwortete ich vorsichtig. 

Die Tür öffnete sich erst einen Spalt breit und ein gutaussehender junger Mann streckte den Kopf hindurch um sich selbst davon überzeugen zu können, dass die Luft rein war. Dann setzte der fremde Blondschopf ein strahlendes Lächeln auf und trat herein.  

>> Hast du gut geschlafen? <<, fragte er höflich. 

Sein Lächeln war unglaublich mitreisend. Seine weißen, geraden Zähne und glasblauen Augen ließen mich erst einen Moment stocken. Was für ein Hübschling ... 

>> Ehm ... Ja. Also ... <<, stammelte ich etwas unbeholfen.  

Er schmunzelte. Ich konnte nicht anders und musste sofort kichern.  

Was war nur los mit mir? Ich kannte diesen Typen doch gar nicht ...  

>> Kyle? <<, eine vertraute, mürrische Stimme unterbrach uns. 

>> Ja, Shannon? <<, antwortete der charmante junge Mann vor mir.  

Shannon betrat den Raum. Man konnte schon fast spüren, wie die Atmosphäre sich plötzlich anspannte. Dann drehte sich Shannon zu mir um und sah mich direkt an. Ein Schauer lief meinen Rücken runter. 

>> Das ist mein Halbbruder Kyle. <<, sagte er desinteressiert, >> Wenn du Nahrung oder ähnliches brauchst kannst du auch ihn fragen. Ich bin jetzt weg. Geschäfte erledigen. << 

Er warf noch einen letzten Blick auf Kyle, bevor er aus dem Raum trat. Es sah mehr drohend, als brüderlich aus.  

Kaum war er weg fühlte ich mich ... verlassen.  

Doch was meinte er mit 'Nahrung'? 

>> Kyle? Wie lange werde ich hier bleiben? <<, mein Atem ging unregelmäßiger.  

Er schaute nun mehr ernst als fröhlich.  

>> Eine Weile. <<

PoenaWo Geschichten leben. Entdecke jetzt