Kapitel 1

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Ich stürmte aus dem Haus. Mein pechschwarzes Haar hatte ich vor lauter Hektik einfach hochgesteckt und meine Wimperntusche war leicht verschlampt. Egal! Ich durfte diesen verdammten Bus auf gar keinen Fall verpassen. Als ich um die Ecke bog, sah ich den Bus schon am Bussteig halten. Oh nein, nein, nein! Ich legte zum Endspurt an. Wie Panne ich dabei aussah war mir bewusst, doch ich durfte zu meinen ersten Tag an der neuen Schule nicht zu spät erscheinen.

Ich war nämlich vor den Sommerferien noch Realschülerin gewesen und habe nun für mein Abitur auf die Gesamtschule gewechselt.

Der Busfahrer schloss grade die Türen, als ich sie erreichte. Energisch klopfte ich an die Scheiben. Für einen Moment hielt ich die Luft an und stand mit aufgerissenen Augen da. Dann öffneten sich die Türen wieder. Ein Siegesgefühl überkam mich. Ich präsentierte dem desinteressierten Fahrer stolz meine Fahrkarte und stolzierte den Gang entlang. Alle Blicke verfolgten mich. Dabei bemerkte ich, dass gut die Hälfte des Busses in meinem Alter war. Verdammt ! Genau jetzt, wo ich aussah, wie eine zugerichtete Vogelscheuche musste ich alle Aufmerksamkeit auf mich ziehen. Ich verkrümelte mich in die hinterste Ecke und starrte stur auf den Boden, wobei mir auffiel, dass ich zwei verschiedenfarbige Socken an hatte. Typisch.

Erleichtert, dass ich an einem Stück auf dem Gelände der Schule ankam, sah ich mir als erstes meinen Stundenplan an, der auf dem Infobrett in der Halle ausgestellt war.

90 Minuten Mathematik.

Konnte der Tag noch schlimmer werden ?

Mit langem Gesicht schlürfte ich Richtung Klassenraum, wo ich schon eine Hand voll Schüler vorfand.

Ich strich einige Strähnen aus meinem Gesicht, die sich schon aus meiner improvisierten Hochsteckfrisur gelöst hatten, klemmte sie mir hinters Ohr, und setzte mich auf einen Platz in der vorletzten Reihe.

Ich spürte einige Augenpaare auf mir, aber warum sollte ich mich beklagen? Ich hätte auch so gegafft.

Nach drei Minuten, die mir vorkamen wie Stunden, läutete es zur ersten Stunde. Die Schüler suchten sich ihre Plätze und der Lehrer schloss als letzter die Tür. Als ich Mira sah war das ganze Chaos von heute früh vergessen. Wir umarmten uns und fingen bereits ein Gespräch an, als der Lehrer sich laut räusperte. Sofort setzten wir uns auf unsere Plätze, Mira natürlich neben mich. Er legte sein Material auf den Tisch und musterte seinen neuen Kurs.

>> Guten Morgen, Klasse. <<, rief er und schrieb seinen Nachnamen auf die Tafel.

>>Guten Morgen, Herr Bear. <<, rief die Klasse zurück.

Somit begann die Mathestunde. Nach einigen Minuten der Verzweiflung entschied ich mich, eine Pause einzulegen. Dabei betrachtete ich meine neuen Mitschüler.

Zwei von ihnen kannte ich schon. Luca und Mira. Mira und ich sind Aller-Beste-Bärchenfreunde. Und das schon seit der Grundschule. Wir haben zusammen beschlossen hier unser Abi zu machen und danach Lehramt zu studieren. Mit Luca jedoch habe ich nicht besonders viel zu tun.

Mira saß rechts von mir, ebenfalls überfordert mit den komplizierten Gleichungen. Weiter rechts saßen noch drei Mädchen, die sich jedoch fleißig Notizen machten.

Als ich nach links sah erschrak ich kurz. Genau neben mir saß ein ziemlich gut aussehender junger Mann. Ich hatte gar nicht bemerkt, dass er sich neben mich gesetzt hatte. Sofort entwirrte ich mir meine Klammer aus meinem Gestrüpp aus Haaren und fuhr mir mit den Fingern so lange durch das Haar, bis es wieder so glatt war, dass man es als Frisur deuten konnte. Als ich dann wieder in seine Richtung sah, bemerkte ich, dass er mich die ganze zeit beobachtet hatte. Peinlich!

Ich starrte etwas auffällig auf die Tafel zurück und merkte, wie mir das Blut in den Kopf schoss und meine Wagen rosa färbte.

Reiß dich zusammen, Melissa! Es ist bloß ein Typ. Nichts weiter. Soll er doch glotzen. , sagte ich mir.

Und so war es auch. Den Rest der Stunde schenkte ich ihm kaum Aufmerksamkeit. Stattdessen gab ich Mathe noch eine Chance und guckte mich weiter im Klassenraum um. Dabei fiel mir auf, dass es viele Jungs gab, die attraktiv waren. Diese Schule war die richtige Entscheidung.

Nach der Stunde hatte ich eine Freistunde. So konnte ich mich mit Mira über meine Sommerferien unterhalten. Schließlich war sie in die letzten vier Wochen in Griechenland.

Der Tag lief seitdem wie am Schnürchen.

Dachte ich jedenfalls. Bis zum Chemieunterricht. Mitten in der Stunde passierte es: Ich musste auf die Toilette. Als ich mein Geschäft erledigt hatte lief ich den Flur zurück in den Fachraum als es plötzlich stockfinster wurde.

Das war verrückt. Selbst wenn der Strom ausgefallen wäre, es war helllichter Tag. 14 Uhr. 25°C im Schatten. Es gab am Ende des Flures Fluchttüren aus Glas. Wie um alles in der Welt konnte es so plötzlich dunkel werden?

Kaum hatte ich diesen Gedanken zu Ende gedacht, bemerkte ich etwas, was ich am liebsten nicht gewusst hätte: Ich schwebte.

Ich war nicht verrückt. Ich wusste, dass ich bei klarem Verstand war. Aber meine Füße berührten nicht den Boden. Ich fühlte mich leicht.

Da fing die Panik an auszubrechen.

Ich hatte tierische Höhenangst, müsst ihr wissen.

Ich schrie wie am Spieß. Bis ich eine kalte Hand meine Schulter greifen spürte.

Kurz bevor ich mein Bewusstsein verlor, hörte ich eine männliche, aber doch weiche Stimme, sagen : >> Ich wusste, dass sie es ist. <<.

PoenaWo Geschichten leben. Entdecke jetzt