Zwei Tassen grünen Tee und einen Teller Spagetti-Bolognese später hatte ich mich in eine Decke im Wohnzimmer eingerollt und lauschte Kyles Collegegeschichten. Er wusste wirklich, wie er mich zum lachen bringen konnte. Ich hatte schon total vergessen, was vorhin in Shannons Arbeitszimmer passiert ist. Alle Sorgen waren von mir gegangen.
>> Ja, und so haben wir das Professorenzimmer mit Fanta überflutet. <<, beendete er schließlich seine Story.
>> Ich wünschte, ich hätte auch studieren können. <<, die Worte sprudelten schneller aus mir heraus, als ich sie hätte stoppen können.
Sofort setzte Kyle ein mitfühlendes Gesicht auf.
>> Nein, so meinte ich das nicht ... <<, versuchte ich mich heraus zu reden. Ich mochte es nicht, wenn er aufhörte zu lächeln. >> Klar bin ich irgendwie traurig, aber ich weiß ja, dass ich nichts daran ändern kann. Und du brauchst auch nicht so zu gucken. <<, ich zwang mich zu einem Grinsen. >> Schließlich kannst du am wenigsten dafür, dass ich hier festsitze. <<
Er rollte die Augen. >> Du sitzt hier nicht fest. Ich hab dir doch gesagt, dass wir auch mal ausgehen können. Aber du darfst nicht alleine raus. Wir müssen nun mal sicher gehen, dass du- <<
>> Nichts ausplauderst. Ich weiß, ich weiß. <<, beendete ich seinen Satz genervt.
>> Genau. Aber sobald du irgendwo hin willst brauchst du mich bloß anzusprechen. <<, seine Augen sahen mich mehr als einladend an.
Ich hielt einen Moment inne. Jetzt, wo er mir die Wahl überließ fiel mir gar nichts ein, was man hätte machen können. Wohin konnte man mit einem Schutzengel ? Da setzte ich mich ruckartig auf.
>> Kyle ? Was machst du eigentlich den ganzen lieben Tag lang ? Schwirrst du so rum und passt auf, dass niemand zu Schaden kommt, oder wie läuft das bei euch Schutzengeln so ab ? <<
Seine Miene wurde etwas ernster, jedoch nicht zu ernst. >> Nun ja ... das ist so. Normalerweise bekommt jeder Schutzengel ein Lebewesen, welches er beschützen muss. Das heißt, dass jedes Lebewesen einen persönlichen Schutzengel hat. Pflanzen ausgeschlossen. Kennst du jemanden, der besonders hilfsbereit ist ? Dieser Jemand wird nach seinem Tod ein Schutzengel. <<, er beendete seine Erklärung schon fast mit Stolz.
>> Aber ... <<, rechnete ich eins mit eins zusammen. >> dann muss ja ein Todesengel- <<
>> Nicht ganz. <<, fiel er mir schnell ins Wort. >> Nur weil jemand ein Todesengel ist, heißt das nicht sofort, dass dieser Jemand ein Mörder oder ähnliches in seinem irdischen Leben gewesen sein muss. Es ist wirklich nur eine hauchdünne Grenze, was eigentlich nicht grade schlau gewählt ist. Sieh, es ist so : Schon wenn ein Mensch ein Tier vor dem Verhungern rettet, scheint er Potential für einen Schutzengel zu haben. Und genau anderes herum ist es für einen Todesengel. Schon allein, wenn jemand, selbst wenn es nur aus Vergessenheit ist, ein Tier zum Verhungern bringt, scheint er Potential zum Todesengel zu haben. <<
>> Und wer entscheidet das ? Gott ? <<, hackte ich weiter nach.
Er stieß einen amüsierten Schnaufer aus. >> Süße, glaubst du mir, wenn ich dir sage, dass es keinen Gott gibt ? Ich war bereits tot und du kannst mir vertrauen, da gibt es nichts weiter als eine Reihe von Engeloberhäupten, welche entscheiden, ob du ein Schutz- oder Todesengel wirst. Individuen, bei denen kein Potential für irgendeines der beiden Engelsarten festgestellt wird, werden einfach komplett ausgelöscht und ihr Galaxienstaub wird genutzt, um einen neuen Stern zu erschaffen. So einfach. <<
Diese neue Information musste ich erstmal verarbeiten. Er sah mir die Verwirrung an und lächelte tröstend.
>> Keine Sorge, du scheinst Potential für meine Art zu haben. <<
Eine Frage blieb mir aber immer noch im Gedächtnis : >> Und was hat Shannon getan ? <<
Kyle verstummte kurz. >> Naja ... er hat jemanden getötet ... <<, seine Stimme wurde ruhiger und gedämpfter. Ob er wohl Angst hatte, dass sein Kumpel gleich wieder runter kommt um ihn anzuschnauzen ?
Ehrlich gesagt konnte ich mir nicht ausmalen, wieso Kyle mit Shannon lebte. Sie waren so gegensätzlich, wie konnte das überhaupt funktionieren ?
>> Kyle ? Können wir ein bisschen nach draußen ? <<, meine Stimme klang ebenfalls ruhiger als vorher.
Er nickte lächelnd.
Ich war froh, dass ich mir feste Schuhe mitgenommen hatte. Hinter der Villa befand sich nämlich ein Bruchwald, in dem ein kleiner See ruhte, sodass wir uns entschlossen hatten, einmal um den See zu spazieren, um frische Luft zu schnappen. Nach all dem, was Kyle mir vor einer dreiviertel Stunde erzählt hatte, brauchte ich unbedingt einen klaren Kopf. Nun gut, ich war nie besonders gläubig gewesen, aber ich wäre lieber von Gott gerichtet worden, als von einer Hand voll Schlaumeiern. Doch das war nicht der Hauptgrund für den Spaziergang. Ich wollte ein ernsthaftes Gespräch mit Kyle führen. Ohne einen ungewollten Lauscher an der Wand.
>> Du ... ? <<
>> Ja, Melissa ? <<, er hatte sich die Hände in die Hosentaschen gesteckt und pfiff fröhlich vor sich her.
>> Wer ist mein Schutzengel ? Und wo ist er grade ? <<
Er stellte sein Pfeifen ab und senkte den Blick grinsend auf den Boden. >> Ach, dieser Typ hat sofort die Biege gemacht, als er Shannon das erste Mal gesehen hat. Shannon hat mir, als du noch am Schlafen warst, alles erzählt. <<
Ich sah ihn sofort an. >> Wie, alles erzählt ? Wieso hatte er denn Angst vor Shannon ? Wieso war Shannon überhaupt auf meiner neuen Schule ? <<, ich wollte ihm noch mehr Fragen stellen, doch er erhob die Hand.
>> Weißt du, das kannst du Shannon auch persönlich fragen. Er ist eigentlich gar nicht so ein schlechter Typ. Okay, ich gebe zu, du musst jetzt ein schlechtes Bild von ihm haben, nachdem er so unfreundlich zu dir war und du jetzt auch noch weißt, dass er einen Menschen umgebracht hat. Aber glaub mir, er ist nicht um sonst schon jahrzehntelang mein Mitbewohner. Er hat nur grade sehr viel um die Ohren, was ihn ... etwas aufhält. Sobald sich das aber legt wirst du ihn ganz neu kennenlernen, da bin ich mir sicher. Und bis dahin werde ich ja bei dir sein. <<
Ich nickte etwas vorsichtig und ließ meinen Blick über den See schweifen. >> Du bist echt die netteste Person ich kenne. <<
Meine unüberlegte Aussage erschuf unwillkürlich eine erdrückende Stille zwischen uns beiden. Doch ich meinte das ernst. Selbst Mira hatte ich nicht so schnell in mein Herz geschlossen wie ihn. Doch die Stille gefiel mir gar nicht. Wieso antwortete er mir nicht ? Ich sah ihn an, doch erblickte bloß seinen Hinterkopf.
>> Also ich meine das ernst. Schade, dass du nicht mein Schutzengel geworden bist. Hätten wir uns dann eigentlich irgendwann getroffen ? <<, fragte ich, um ihn zum reden zu bringen.
>> Nein. <<, kam die prompte Antwort.
Er schien angespannt zu sein. Hatte ich was falsches gesagt ? Was ist denn jetzt mit ihm passiert ?
>> Kyle ? Alles okay ? <<, fragte ich vorsichtig.
>> Ach, nur so Engelsachen. Lass uns wieder nach Hause. <<
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Poena
Romansa- Wie weit würdest du gehen ? - Melissa ist ein 16 jähriges, tollpatschiges Mädchen, das nichts weiter wollte, als ihr Abitur mit einem mittelmäßigem Durchschnitt zu überstehen. Vielleicht hätte sie auch eine Chance gehabt, wenn da nicht diese schr...