2. Kapitel

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Blau. Die Sehnsucht nach den azurblauen Untiefen, den tanzenden Lichtstrahlen, die immer weiter verblassten je tiefer man tauchte. Das endlose Dunkel, die Stille, das ruhige Gluckern in den Ohren. Kühles, salziges Wasser, das die Lungen flutete und die fiebrige Hitze aus ihrem Kopf verbannte.

Ozeanblau war der Drink, den der Kapitän der Piraten in seiner Hand hielt. In seinem Arm lag eine leicht bekleidete Tänzerin, die sich an ihn schmiegte. Mavi biss die Zähne zusammen. Sie würde jedem die Augen auskratzen, der ihr zu nah trat.

„Hallo, die Damen! Kommt ruhig näher, ihr braucht keine Angst zu haben. Niemand hier wird euch ein Haar krümmen oder irgendetwas tun, was euch zuwider wäre. Setzt euch doch, nehmt euch etwas zu Trinken und zu essen!", verkündigte der Kapitän mit einem Lächeln und deutete auf Sitzkissen, umgedrehte Kisten und Fässer, auf denen Brot, Käse oder Trauben lagen. In einer Hängematte, die zwischen zwei Säulen befestigt war, faulenzte ein rothaariger junger Mann mit Sommersprossen, der die Gruppe neugierig beäugte.

„Harten Alkohol gibt's auch, falls ihr die Visage von Käpt'n Tayon nicht ertragen könnt!", rief er von seiner Position aus. Die Piraten lachten alle und Tayon rollte mit den Augen.

„Wenigstens du findest mich schön, oder Sumiré?"

Die Tänzerin kicherte und löste sich von ihm, um sich selbst ein Getränk zu holen.

„Ihr könnt euch ruhig setzen, die Jungs tun euch nichts!", sagte Sumiré im Vorbeigehen und ließ sich auf einem Sitzkissen nieder. Die Perlenketten um ihre Hüften klimperten bei der Bewegung. Mavi entdeckte eine ihrer eigenen Schmuckkreationen am Handgelenk der schönen Tänzerin. Zögerlich setzten sich Mavi und die anderen Frauen ebenfalls, doch niemand wagte, etwas von dem Essen oder Trinken anzurühren. Mavi kniete sich hin, um ihre roten Füße zu verbergen und nicht ständig in Versuchung zu geraten an der Haut zu kratzen und zu zupfen. Die Sehnsucht nach dem Meer wurde immer stärker. Um ihren Durst nach Wasser zu beruhigen, nahm sich Mavi ein Herz und nahm etwas von dem Wein, nachdem sie Sumiré ebenfalls davon trinken sah.

„Was wollt ihr von uns?", fragte eines der Mädchen schüchtern. Tayon grinste und kam näher. Sofort wichen alle ein Stückchen zurück und er hob beschwichtigend die Hände. Er war groß, muskulös. Seine dunkle Haut, die dunklen Augen, die Narben und Tätowierungen auf seinen Armen verliehen ihm etwas Raubeiniges, Hartes. Obwohl seine Gesichtszüge weich und freundlich waren. In die langen Filzlocken, die er zu einem Zopf gebunden hatte, waren an manchen Stellen Perlen, Münzen oder kleine Knöchelchen eingeflochten. Kapitän Tayon war durchaus ansehnlich und er sah gepflegter aus als man es von einem Seefahrer erwarten würde. Er hatte strahlend weiße Zähne und noch alle Finger und Zehen. Vorsichtig ließ er sich vor der Frauengruppe nieder und schob ihnen ein paar Teller mit Früchten und Brot. Er selbst nahm ebenfalls zu Essen und zu trinken, wohl um zu zeigen, dass keinerlei Gift oder Drogen beigemischt worden waren.

„Ich möchte euch ein Angebot machen! Mein neues Piratenschiff ist groß und wir brauchen jede helfende Hand, die wir kriegen können. Ihr seht alle aus - verzeiht meine Direktheit - wie einfache, tüchtige Frauen. Vielleicht leidet ihr unter einem strengen Lehrmeister, einem aufdringlichen Ehemann oder den Zwängen in euren kleinen Dörfern. Daher lade ich euch ein: Wer auch immer möchte, der kann an Bord meines Schiffes kommen. Egal, was ihr könnt. Wir finden eine Arbeit und einen Platz für euch", erklärte er. Seine Augen leuchteten und er lehnte sich vor, als er fortfuhr, „Abenteuer! Unbekannte Länder! Schätze! Alles, was in Büchern steht, könnt ihr selbst hautnah erleben. Ihr wärt keine Sklavinnen, keine Dienerinnen, nicht irgendjemandes Frau. Nein! Ihr hättet einen Namen. Und dieselben Rechte wie jeder andere auf dem Schiff. Ihr würdet euren Anteil der Beute erhalten. Und ihr könnt gehen, wann immer ihr wollt. Freiheit. Freiheit ist mir das höchste Gut. Deswegen heißt mein Schiff: Ominira."

Der Horizont hinter den WellenWo Geschichten leben. Entdecke jetzt