Kapitel 16 - ER

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Ich fand niemanden vor, als ich die Eingangshalle betrat und auch nicht, als ich unzählige Gänge und Treppen später vor dem Verhandlungszimmer stand. Mit gerunzelter Stirn klopfte ich an die Tür, doch erhielt ich keine Antwort.

Es war einige Zeit vergangen, der Drache verstaut und meine Wunde am Hals versorgt. Dennoch hatte es nicht so lange gedauert, dass Lailas Ankündigung vergessen wäre...

"Viggo?" erklang in diesem Moment eine sanfte Stimme hinter mir und ich drehte mich um, woraufhin ich in die tief grünen Augen von Eistla Riggoth blickte. Sie lächelte fürsorglich, die Ähnlichkeit zu ihrer Tochter war kaum zu übersehen. "Ich verstehe, dass das für euch beide schwer sein muss," fing sie vorsichtig an, "und ich möchte euch ohne große Worte sagen, ihr habt hier alle Zeit, die ihr braucht, keiner sollte sich in so einer Situation um irgendwelche Verhandlungen sorgen", erklärte sie und ich lächelte dankbar.

"Ich danke Euch, aber ich fürchte wir können das nicht annehmen, ich würde gerne zurück segeln, falls ihr versteht", antwortete ich ohne große Umschweife und sie blinzelte überrascht.

"Sicher," antwortete sie zögerlich, "Ruben hat meinen Mann und mich bereits darüber informiert, dass du auf dem Weg hierher seist, er ist unten in der Galerie." - "Moment, Ruben war hier? Wo -" hackte ich nach und sie nickte. "Laila ist in der Händlersiedlung bei ihrer Freundin Lydia geblieben, kein Grund zur Sorge." Ihre Augen blitzten auf, bevor sie sich der nächstgelegenen Treppe zu wand und ich ihr eilig folgte.

"Weißt du, Adelaila hat es früher hier oben gefallen, sie war ein fröhliches, aufgewecktes Kind", begann sie zu erzählen, während sie vor mir die Stufen hinabstieg, "sie hat diese fröhliche Art immer beibehalten, selbst als sie ruhigere, höflichere Züge angenommen hat. Als meine Nichte allerdings von dieser Reise durch das Inselreich zurückkehrte und ihr von all den Erlebnissen erzählte, war sie wie ausgewechselt. Sie hat den Drang entwickelt, jedem helfen zu wollen und begonnen ihre eigene Lebensweise zu verachten. Wo sie zu Beginn zwar gerne Zeit in der Siedlung verbracht hatte war sie nun beinahe immer dort."

Ich blinzelte mehrfach, ohne eine passende Antwort zu finden. Ihre Mutter wusste von all den Beweggründen ihrer Tochter und das vermutlich ohne dass sie jemals darüber gesprochen hatten. Laila war eine selbstreflektierte Person und willig gut gemeinte Ratschläge anzunehmen, hätte ein derartiges Gespräch stattgefunden, würde sie sicherlich anders handeln. Schlagartig wurde mir auch wahrhaftig klar, warum sie sich mir gegenüber derartig abweisend verhalten hatte, sie hatte in mir einen dieser Menschen gesehen, die sie für ihr reiches Leben nicht leiden konnte. Sie müsste mich wohl für wahnnsinnig eingebildet gehalten haben, zwischen Stolz und Arroganz war meist nur ein schmaler Pfad.

Meine Gedanken überschlugen sich regelrecht, bis sie von Eistla unterbrochen wurden. "Woran denkst du?" fragte sie mich und ich kniff nachdenklich die Augen zusammen, angesichts ihrer leuchtenden Augen. Diesen Ausdruck kannte ich bereits von ihrer Tochter. "Ihr wusstet, dass ich -" fragte ich, doch bestand ihre Antwort nur aus einem undefinierbaren Lächeln und ich schüttelte ungläubig den Kopf, mein Respekt für diese Frau war soeben um einiges gewachsen.

"Meine Tochter blüht in deiner Anwesenheit regelrecht auf, ich hoffe sie lernt die ein oder andere Sache von dir, auch wenn euch der Abschied bestimmt schwer fallen wird", sie warf mir einen traurigen Blick zu, gerade als wir in den nächsten Gang kamen. "Ja... das wird es in der Tat", antwortete ich langsam. Bisher hatte ich gar nicht daran gedacht, dass ich auch diesen blonden Wirbelwind hinter mir lassen würde, an deren Anwesenheit ich mich bereits so gewöhnt hatte.

In meine Gedanken vertieft sprachen wir nicht weiter, bis wir vor der Tür zur Galerie angekommen waren und ich die Hand erhob, um zu klopfen. Eistlas wachsamer Blick lag auf mir, wir beide wussten, dass das die Entscheidung sein würde, mit der ich die Handelsinseln hinter mir lassen würde.

Der Stolz der Familie Grimborn  Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt