Kapitel 2.6

98 22 12
                                    

~Yama-Schlossgarten~

An diesem Abend sollte nicht nur Shioni einem Mann begegnen, der ihr Leben veränderte.

Aber in diesem Moment, in dem Nemesis auf Shioni traf, genoss Makoto die Einsamkeit des privaten Schlossgartens und betrachtete die Seerosen, die vom Wind leicht hin und her getrieben wurden und das Wasser für wenige Sekunden aufwirbelte.

Alles wirkte wie leergefegt und so gut wie jeder, der im Schloss arbeitete, war draußen auf dem Marktplatz. Selbst die Wachen, die sonst das Schloss schützten, waren nicht anwesend. Es wäre ein Kinderspiel hier hinein zu kommen und eigentlich hätte Makoto diese Chance nutzen sollen, doch sie sah keinen Sinn darin ein Schloss zu übernehmen, kam sie doch nicht an die Königin heran. Diese war geschützt, als wäre sie ein Juwel, das niemand aus der Hand gegeben wollte.

Makoto schnaubte und fischte eine der Seerosen, die am Rand schwamm, aus dem Wasser. Tropfen rannen über ihre Hand und sie sah zu wie diese wieder in den See fielen. Es war so idyllisch, dass sie sich hätte wieder beruhigen sollen, doch stattdessen wurde die Wut jeden Moment größer.

Sie mochte es nicht ruhig, oder idyllisch. Das hier war ihr zu viel Frieden und Langeweile! Es sollte nicht Shioni sein, die an der Macht war, sondern sie!

Ein Wassertropfen gefror und fiel in den See. An dieser Stelle breitete sich eine kleine Schicht Reif über dem Wasser aus, die jedoch gleich wieder zerfiel. Die Seerose in Makotos Hand hingegen wurde immer mehr mit Eis überzogen, ehe die Schwarzhaarige ihre Hand fest darum schloss und die Pflanze wie eine Eisskulptur zersplitterte.

Makoto gab sich ihrer Wut hin, doch bevor sie den See komplett zufrieren ließ, spürte sie eine Gegenwart an den Schilden, mit denen sie diesen Ort geschützt hatte. Ganz einfache und nicht zu spürende Sicherheitsmaßnahmen, die nicht dafür sorgten, dass jemand draußen blieb, sondern sie lediglich warnten, dass jemand ihren Bereich betrat.

Mit einigen Atemzügen versuchte sie ihre Wut zu unterdrücken und sich wieder zu beruhigen. Sie wusste, dass es nicht gut war, wenn jemand diese Wut spürte. Das würde nur dafür sorgen, dass man sie näher im Auge behielt und das konnte sie nicht gebrauchen. Shionis Gefolge war ihr gegenüber sowieso schon sehr feindselig eingestellt. Eigentlich war sie nur geduldet, weil sie eben die Schwester der Königin war. Doch sollte der Hofstaat glauben sie wäre eine tatsächliche Gefahr, wäre sie schneller weg vom Hof, als ihr lieb war. Damit würde sie auch ihre Informationsquellen und ihren Einfluss verlieren.

Makoto biss fest die Zähne zusammen und erhob sich, ehe sie elegant ihr Kleid glattstrich. Dann wandte sie sich um und ließ ihre azurfarbenen Augen die Umgebung absuchen. Doch sie entdeckte nicht sofort jemanden zwischen den Bäumen. Dennoch spürte sie eine Anwesenheit und nahm einen Geruch wahr, der hier so nichts zu suchen hatte. Weder die Aura, die sie spürte, noch den Geruch, den sie wahrnahm, konnte sie jemanden zuordnen.

Hatte doch jemand die Chance der Krönung genutzt, um in den Palast vorzudringen?

Makoto zog den Sternenstaub aus ihrer Umgebung zu sich heran, um diesen im Notfall für einen magischen Angriff nutzen zu können, während sie mit den Augen weiterhin die Umgebung absuchte.

Eine Bewegung im Augenwinkel ließ sie herumwirbeln, doch da war nichts.

Ihr Herz begann zu klopfen. Es war definitiv kein Anfänger, der sich hierhergewagt hatte.

Erneut nahm sie eine Bewegung wahr und drehte sich, ehe sie plötzlich kalten Stahl an ihrem Hals und einen warmen, muskulösen Körper an ihrem Rücken spürte.

Eine Aura umfing sie, die ihren Kopf zu vernebeln schien und so dauerte es ein paar Sekunden, ehe sie den Geruch richtig einordnen konnte.

Ein Lycaner.

Werwölfe, die nicht mehr vom Vollmond abhängig waren und mit den Itaris auf einer Stufe standen, wenn es um Alter und Macht der Rasse ging.

Man konnte nicht sagen, dass die beiden Rassen im Krieg lagen, doch wirklich Freunde waren sie auch nicht. Was wohl daran lag, dass die meisten Lycaner für die geruchsempfindlichen Itaris einfach nicht sonderlich angenehm rochen. Es gab sogar Leute, die beide Rassen wie Hund und Katze verglichen. Was besser passte, als die meisten wussten, da über die Hälfte der Itaris sich durch katzenhafte Gene auszeichnete.

"Wer seid Ihr", brachte Makoto kalt hervor. Trotz der Klinge an ihrem Hals blieb sie selbstbewusst und ruhig. Hätte der Fremde sie töten wollen, hätte die Klinge ihren Hals längst zerschnitten. Doch scheinbar wollte dieser sie noch nicht aus der Welt schaffen. Nicht, dass das so einfach gewesen wäre.

"Das braucht Euch nicht zu interessieren", antwortete der Fremde. Von den Worten her zwar höflich, doch seine Stimme hatte einen herablassenden Tonfall. Als sähe er keinen Grund jemanden wie Makoto so etwas zu sagen. "Aber ich weiß, wer Ihr seid."

Makoto schnaubte. "Das ist auch nicht sonderlich schwer", meinte sie fast schon verärgert, während sie ihre Kräfte nutzte, um ein Auge aus dem Reif zu bilden, der noch immer auf dem See lag.

Das Bild war zwar nicht sonderlich scharf, aber vor ihrem inneren Auge tauchte ein Mann in weißen Mantel auf, der für die Lycaner so typisch war.

Sein langes, silberfarbenes Haar war nur locker zu einem Zopf gebunden und allgemein hatte er die Ausstrahlung eines Kriegers. Doch Makoto spürte in seiner Aura, dass da noch mehr war. Seine Klasse war die eines Kriegers, doch die Art wie er sprach und dastand verriet Makoto, dass er als Adliger geboren war.

Auch wenn es unter den Lycanern ganz selten Königinnen gab, so waren diese doch in der lycanischen Gesellschaft nicht die Herrscher. Im Gegenteil. Sie wurden sogar von ihrem Heimatplaneten vertrieben, weil die Fürsten herrschten. Keine Herrschaft durch Geburtsrecht.

Makoto wusste nicht mehr genau warum, aber Lycaner kamen Königinnen nur ungern zu nahe. Was sie sich fragen ließ, warum dieser Mann hier war.

"Was also wollt Ihr von mir?", fragte sie und war versucht ihren Körper in Schnee zerfallen zu lassen.

Krieger waren so leicht hinters Licht zu führen, weil sie die Magie nicht auf diese Art nutzen konnten. Zumindest die meisten nicht. Doch noch gab es keinen Grund. Zuerst wollte sie wissen, was er hier zu suchen hatte. Daher würde sie noch eine Weile mitspielen.

Sein Atem strich an ihrem Nacken vorbei und erreichte ihr Ohr. Ein Schauer durchlief sie, als der Mann den Mund aufmachte und ihr etwas zuflüsterte, das ihr ein Lächeln auf die Lippen zauberte. Das war ein Angebot nach ihrem Geschmack, das sie sich durchaus durch den Kopf gehen lassen würde.

Im Bann der Unsterblichkeit ~Shionis Geschichte~Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt