Hm, ich hatte ihn also zu mir eingeladen. Unser erstes Treffen fand bei mir zu Hause statt. Im Haus meiner Eltern. Während meine Eltern nicht da waren. Nur wir zwei. Wir zwei ganz allein in dem Haus, in dem ich mit meinen Eltern zusammenwohne. Verdammt!
Was zur Hölle hatte mich geritten, ihn gleich einzuladen? Du wolltest ihn wiedersehen. Ja schon, aber warum gleich zu mir heim? Weil du dich dort am wohlsten fühlst. Das stimmt, aber ich lasse ihn gleich in meine tiefste Privatsphäre hinein? Ja, weil du ihm vertraust.
Meine Gedanken kreisten. Ich wollte Jakob wiedersehen und hatte mich gefreut, als er mich nach einem Treffen fragte, aber ihn gleich zu mir nach Hause einzuladen schien mir schon etwas voreilig. Es bestand noch der minimale Rest einer Chance, dass er vielleicht doch ein Psychopath war. Zwar minimal, aber immer noch existent.
Und was, wenn er glaubte, dass das eine intime Einladung war? Dann hätte er niemals zugesagt. Aber wenn er...? So ist er nicht. Aber wenn...? So seid IHR nicht. Aber...? Du denkst zu viel.
Nachdem meine Eltern früh am Morgen das Haus verlassen hatten, weil sie für drei Tage eine Weinwanderung machten - Ja, sie machten eine Weinwanderung. Zur Erklärung: Bei einer Weinwanderung handelt es sich um ein gesellschaftliches Ereignis, bei dem eine Gruppe von Mittvierzigern - in diesem Fall meine Eltern und die Nachbarn - mehrere Tage lang in einer an eine spanische Finca erinnernden Schaluppe im nächstgelegenen Weinbaugebiet übernachten, jeden Tag in Summe siebenundvierzig Minuten wandern und sich den Rest der Zeit unter dem Deckmantel des kulturträchtigen Gourmet-Kurzurlaubs mit Merlot und Chardonnay für die absolvierte anstrengende Wanderung belohnen.
Nachdem meine Eltern also früh am Morgen das Haus verlassen hatten, weil sie für drei Tage eine Weinwanderung machten, sauste ich durch alle Zimmer und bemühte mich darum, zumindest oberflächlich Ordnung und Sauberkeit herzustellen. Seit meinem vollendeten sechzehnten Lebensjahr haben mich meine Eltern nämlich als gleichberechtigtes Familienmitglied anerkannt, was so viel bedeutet, wie, dass ich mittlerweile mehr ihre Mitbewohnerin als ihre Tochter bin. Eine unweigerliche Folge dessen war die - ihrer Meinung nach faire - Arbeitsteilung im Haushalt. Mein Zimmer war meine Verpflichtung und der Rest des Hauses wurde zum kollektiven Verantwortungsbereich erklärt. Und weil meine Eltern zum Anbruch des Sommers für gewöhnlich von der Hitze träge wurden und sich dank des neuen Pools unser Familienleben von Juni bis Anfang September nach draußen verlagert hatte... sah es im Haus drinnen auch dementsprechend aus.
Nachdem dies Jakobs erster Besuch war, wollte ich ihm mein Zuhause zumindest halbwegs ansehnlich präsentieren, obwohl ich eigentlich vorhatte, den Tag im Garten zu verbringen, denn die Sonne schien, es war ein schön heißer Sommertag und wir hatten keine Klimaanlage...
Ich fegte und wischte und schrubbte mir meinen Weg durch alle Räume und war wieder einmal fasziniert davon, wie schnell und einfach alles ging, wenn man nur ein bisschen unter Druck stand. Wir sollten wirklich öfter Besuch bekommen.
Meine Mutter hatte vor der Abreise zu mir gesagt, dass im Kühlschrank noch ein Nudelauflauf von gestern stand. Ich war also versorgt. Zumindest für heute. An den anderen beiden Tagen konnte ich selbst kochen. Ich war schließlich ein gleichberechtigtes Mitglied dieses Haushalts oder so ähnlich...
Zirka um halb zwei stand dann Jakob vor der Tür. Ich öffnete das Gartentor und wir sahen uns kurz ein bisschen verdutzt an.
"Hi", sagte ich.
"Auch hi", entgegnete er.
Ich grinste verlegen. Was jetzt? Sollten wir uns umarmen oder so? Als wir uns peinlich schweigend darüber geeinigt hatten, dass wir das nicht tun würden, folgte er mir einfach ins Haus. "Schuhe bitte im Vorraum ausziehen", sagte ich. "Okay", meinte er nur und fädelte seine Füße im Gehen aus den Flipflops heraus. Ich grinste. Wie auf Abruf stand auch schon das Begrüßungskomitee bereit: Meine getigerte Katze kreiste in Achterschleifen sich anschmiegend und laut schnurrend um Jakobs Beine herum. Er bückte sich zu ihr hinunter und kraulte sie hinter den Ohren. „Na, du Hübsche? Wer bist du denn?"
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Sowas gibt's!
HumorJakob (16), Schlagzeuger, steht nicht auf Star Wars, mag Pommes nur mit Mayonnaise und ohne Ketchup, würde am liebsten fließend Finnisch sprechen können und hat vor kurzem erfahren, dass bei einem Barcode nicht die schwarzen, sondern die weißen Stri...