Mein Alltag

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Es ist ein frischer, sonniger Frühlingsmorgen. Der Tau glitzert süß auf dem Gras, wie ein Perlenmeer, die Vögel zwitschern lieblich ihre Ständchen, Hummeln und andere Insekten summen vor sich hin.
Die Sonne scheint wärmend durch das Fenster auf mein Bett, die warmen, weichen Sonnenstrahlen kitzeln mein Gesicht und wecken mich sanft. Ich liege noch mit Manaki, meinem großen, flauschigen und warmen Wolf im Bett und döse vor mich hin.
Ihr solltet vielleicht wissen wer ich bin. Ich bin Ajona, ich bin sechzehn Jahre alt, habe braun-rote lange glatte Haare und kastanienfarbene Augen. Wie ihr gemerkt habt, habe ich einen Wolf. Er ist meine einzige Familie.
Meine Eltern starben vor zwölf Jahren. Ich weiß von daher nichts über meine Vergangenheit. Sie starben bei einem Angriff von Kingus. Kingus sind böse, magische Wesen, die sich der dunklen Magie bemächtigen. Sie sind unglaublich schnell, stark und sehen sehr scharf. Keiner weiß wirklich was sie sind.

Sie leben in Morona einem sehr großen Land, in dem es nicht viel mehr, als Vulkane gibt. Es ist ein verteufeltes, boshaftes, vergiftetes Land, alles Gute ist schon vor vielen tausenden von Jahren verschwunden. Morona ist sonderbar öde, ohne Farbe, alles voller Ruß, Asche und Lava. Eine kalte, uneinladende, gefährliche, raue Aura herrscht dort, genau wie die der Kingus. Sie griffen damals beunruhigend oft an, bis sie fast vollständig ausgerottet wurden. Sie wurden von den majestätischen Drachen und ihren Ranakas, ihren Reitern, wie scheußliche Kakerlaken gejagt und bekämpft.
Die Ranakas sind sehr mächtig, sie haben unglaubliche, unmenschliche Kräfte. Es heißt sie können so scharf sehen wie die Drachen, die sie reiten und genauso gut hören. Sie beherrschen Zauberkräfte die je nach Ausprägung so stark sein können, dass sie ein Lebewesen mit bloßer Gedankenkraft töten können oder nur für kleine Zaubereien reicht.

Dank ihnen herrscht nun seit zwölf Jahren Frieden in Samaron, dennoch gab es viele, gar unzählige, schreckliche Tode zu beklagen. Es gab Monate lange Trauerfeiern, das ganze Land lag seither still und in Trauer. Dies war eine sehr dunkle, traurige und vor allem stille Zeit. Niemand sprach mehr auf den Straßen, keine Kinder spielten mehr auf den Seitenstraßen, es gab kein fröhliches Gekicher, Gelächter und auch kein munteres Getümmel auf den Marktplätzen. Es war sonderbar und erdrückend, aber es ließ die zahlreichen Wunden offensichtlich heilen.
Es tat gut zu wissen, dass man nicht alleine war. Dennoch waren die letzten zwölf Jahre sehr schwerfür mich. Ich hatte nämlich niemanden außer meinem starken und liebevollen Feuerteufel. Denn Manaki ist kein normaler Wolf. In Samaron gibt es sehr viele magische Wesen, wie Einhörner, Meerjungfrauen, Feen, Elfen und viele mehr. Es gibt aber auch normale Lebewesen wie Menschen, Hunde und so. Manaki ist eines dieser magischen Wesen. Er ist etwas Besonderes, wie jedes Lebewesen in Samaron. Da ich schon damals ein großes Herz hatte und dazu neigt Tieren in Not zu helfen, rettete ich ihn vor einem Puma. Ich sah wie der Puma auf einem Felsen dem kleinen Racker auflauerte und ihn angreifen wollte. Ich rannte so schnell ich konnte aus dem Gebüsch, packte ihn und versteckte mich mit diesem kleinen Welplein in einer Felsspalte wo wir vor dem wütenden Puma geschützt waren.

Er kratzte mit seinen mächtigen Klauen an dem Gestein herum, bis er nach einiger Zeit aufgab und wieder im Wald verschwand. Ich wusste nicht ob er eine Familie hat und wo sie ist also konnte ich ihn nicht alleine in diesem gefährlichen Wald lassen und nahm ihn mit. Ich lief etwas unbeholfen und ohne zuhause im Wald herum bis wir unsere Scheune fanden. Seither leben wir eng zusammen. Ein Feuerteufel ist ein feuerfarbener Wolf, der Feuerspucke hat und dessen Augen je nach Stimmung in einer anderen Farbe funkeln. Er kann raffinierter weise seine Körpertemperatur individuell ändern, was manchmal, wie in eiskalten Wintertagen, sehr praktisch ist. Sie werden viele hundert Jahre alt und sind sehr treu. Was gut ist, er kann sehr laut bellen. Lauter als normale Wölfe, es klingt wie ein starkes, unheilvolles Donnergrollen bei dem einem das Blut in den Adern stockt. Manchmal denkt man, man könne sogar Blitze in seiner Stimme hören.

Er beschützt mich und ich ihn, wir halten immer zusammen. Wir jagen, leben, schlafen und essen zusammen. Wir machen alles zusammen! Wir sind ein Rudel und das seit fast zwölf Jahren. Ich liebe es mit Manaki jagen zu gehen, es ist jedes Mal ein Abenteuer. Man spürt das Adrenalin, das durch das Herz und durch den ganzen Körper gepumpt wird. Es ist ein berauschendes Gefühl. Wir rennen mitten in der Natur herum und pirschen uns an unsere Opfer an. Es ist fantastisch. Man bewegt sich und wir toben uns aus, aber es geht dabei auch ums Überleben. Ohne die Jagd mit ihm würden wir beide irgendwann verhungern. Wir leben sehr praktisch für die Jagd. Wir leben in einer verlassenen Scheune mitten im Wald, wie ich bereits erzählt habe, abseits des Dorfes Huvarn. Ich bin hier aufgewachsen und kenne mich hier aus. Ich weiß nicht wie ich all die Jahre überlebt habe.

Aber ich bin über die Jahre, in denen ich hier lebe eine richtige Überlebenskünstlerin geworden. Ich klettere schneller als ein Eichhörnchen, jage besser als ein Luchs, sehe so gut wie ein Adler und höre besser als ein Wolf.
Trotzdem ist das Leben ziemlich hart, da ich nur zehn Guin am Tag verdiene, was erbärmlich wenig Geld ist. Aber ich wollte auch keine andere Arbeit verrichten als meine. Ich verdiene zwar nur sehr wenig, aber dafür liebe ich meine Arbeit wirklich über alles. Ich putze und koche fast täglich bei einer alten, verrückten Frau. Sie ist eine kleine, wohlgeformte und verworrene Frau, mit zerzaustem, grauem Haar, mit einzelnen strohblonden Strähnen. Sie sind zu einem hohen, verschlungenen Knoten gebunden und ein braunes Band hält an der Stirn einzelne heraushängende Strähnlein aus ihrem Gesicht. Die Haare gleichen einem Gebilde, in dem kleine, zarte Ästchen mit Blättern und einige Blümchen stecken, sogar Pinsel, Stifte und vieles mehr stecken darin.

Sie heißt Jobana, sie ist wie eine Großmutter für mich. Sie hat dutzende fantastischer und faszinierender Bücher über Drachen, ihre Reiter und magische Wesen. Sie hat mir dadurch das Lesen und Schreiben beigebracht, allerdings finde ich es rätselhaft, weshalb sie diese Bücher hat. Es ist fantastisch und dieser rauchige, schummrige und modrige Geruch nach altem Papier, modrigen Ledereinbänden und Feuer. Es ist wie eine Droge, es zu riechen gibt mir seltsamerweise ein Gefühl von Heimat. Es macht mich süchtig. Sie ist eine unglaublich hilfsbereite Frau, sie gibt mir netterweise Essen, das übrigbleibt mit, alte Kleidung von sich, Decken und vieles mehr. Sie neigt dazu spannende Geschichten über Drachen und ihre Ranakas zu erzählen.

Wir sitzen dann auf den ausgesessenen Ledersesseln vor ihrem Kamin, trinken leckeren, heißen Tee und essen frisch gebackene Kekse, während sie mit sanfter Stimme, verträumten Unterton und einem träumerischen, abwesenden funkeln in ihren Augen erzählt. Es sind die schönsten, kämpferischsten, interessantesten und fantastischsten Geschichten der Welt. Ich liebe das am meisten, wenn ich bei ihr bin. Sie erzählt es so real, so ernsthaft, dass man glauben könnte, sie wäre selber Reiterin und dabei gewesen. Wenn sie von ihnen erzählt verschwinden alle Falten aus ihrem Gesicht und alles verrückte verwandelt sich in etwas ruhiges, wie ein stürmiger Ozean, welcher ruhig wird. Dann wird sie zahm und weich, wie ein Weidenkätzchen. Freude erstrahlt in ihr, wie eine kleine Flamme die immer heller erstrahlt und zu einer kleinen Sonne wird. Es tut ihr gut, dass sie jemanden wie mich hat, dem sie all das erzählen kann.

Ich staune immer über die Geschichten und höre gespannt zu. Wenn sie erzählt kommt es mir so vor, als wenn ich selbst dabei wäre. Ich sehe es dann regelrecht vor mir. Sie erzählt es mit Herz und Seele. Sie schwärmt wie unbeschreiblich toll die Zeit der Drachen und ihrer Ranakas war. Sie sagt es war die Blütezeit von Samaron, sie war auch die prachtvollste, trotz der Kämpfe mit den Kingus. Sie weiß scheinbar nur zu gut wovon sie redet. Aber nun höre ich auf zu erzählen, ihr werdet sie ja gleich wunderbarerweise kennenlernen. In der Zwischenzeit machen Manaki und ich uns fertig und frühstücken. Manaki geht immer mit zu Jobana, sie sind inzwischen sehr gute Freunde. Er liebt es genauso wie ich, wenn sie uns Geschichten erzählt. Er freut sich wieder unglaublich darauf sie wiederzusehen.

Samaron und die eisblaue RetterinWo Geschichten leben. Entdecke jetzt