"Lillian aufstehen! Du musst gleich in die Schule!" Das war die Stimme meines Vaters. Verschlafen schaue ich zur Zimmertüre. Mit verschränkten Armen und einem finsteren Blick steht er dort. Ich habe schon wieder verschlafen, obwohl ich ihm versprochen hatte, dass das nicht mehr vorkommt. Immerhin bin ich schon 17 Jahre alt. Sogar meine drei Jahre jüngere Schwester Molly schafft es selbstständig aufzustehen. Ein Glück, dass sie so nett ist und mich morgens aufweckt, wenn es nötig ist. Ohne sie würde ich mindestens alle zwei Wochen den Zug in die Schule verpassen. Meistens schläft Papa nämlich tagsüber wegen seiner nächtlichen Arbeit.
Nachdem Molly und ich uns angezogen und gegessen haben, verlassen wir das Haus. Nach kurzem Warten am Bahnhof kommt der Zug. Wir setzen uns auf zwei der vorderen Plätze. Ausgelassen erzählt Molly: "Endlich der letzte Schultag! Wird aber auch mal Zeit. Es ist so heiß. Ich freue mich schon richtig an nichts mehr denken zu müssen. Nur noch mit Freunden abhängen, im Meer baden ...und natürlich was mit dir machen." "Oh ja, das wird super, ganze drei Monate Ferien!", freue ich mich: "Können wir in der Pause kurz in die Schulbibliothek? Ich möchte mir unbedingt noch ein Buch ausleihen." Meine Schwester wirft mir einen neckischen Blick zu: "Aber klar doch du Leseratte."
Beim nächsten Halt steigt der gutaussehende Carson zu. Mit einer hämischen Bemerkung geht er an uns vorbei: "Hallo Käsegesicht, immer noch nicht von den Toten zurück gekehrt?"
Damit meint er mich. Hier, wo es oft sonnig ist und auch im Winter warm, haben alle eine dunkle Haarfarbe und braune Haut mit einer Ausnahme: Ich. Meine Haut ist beinahe weiß und meine Haare sind hellblond. Deshalb sehe ich neben anderen aus wie ein Geist. Von meinen Mitschülern werde ich oft Geist oder Käsegesicht genannt. Aber vor allem hat es Carson auf mich abgesehen. Manchmal habe ich das Gefühl, dass er alle gegen mich aufhetzt.
Wütend faucht Kaja, die nach ihm eingestiegen war: "Sei still Carson! Musst du ausgerechnet am letzen Schultag Lilly ärgern?" Daraufhin kommt Carson ihr näher und fasst in ihre langen, schwarzen Haare: "Warum gibst du dich nur mit so einer ab? Du bist doch viel zu hübsch für sie." Kaja jedoch blockt seinen Flirtversuch mit einem kräftigen Schlag auf die Hand ab. Ein Glück, dass wir in dieselbe Klasse gehen. Sie war mir bisher immer eine treue Freundin. Ihr ist es egal wie ich aussehe. Manchmal macht sie mich aber total eifersüchtig, weil viele Jungen auf sie stehen und auf mich eben nicht.
Heute bin ich im Unterricht nicht besonders aufmerksam, aber das ist bestimmt keiner. Nun bin ich fest entschlossen in den Ferien herauszufinden, warum mein Aussehen so anders ist. Ist es eine Krankheit oder wurde es vererbt?
In der Pause stürme ich sofort zur Bibliothek mit Kaja und meiner Schwester Molly im Schlepptau. Ich sehe mir ein Buch über Albinos an. Sehr zur Verwunderung der beiden. "Seit wann interessierst du dich denn für Albinos?", fragt meine Schwester. "Also dein Bücher-Geschmack hat sich ja ganz schön verschlechtert", meint Kaja: "Ah, verstehe, es geht um deine Hautfarbe. Du denkst aber jetzt nicht, dass du ein Albino bist oder? Solche Leute bekommen sehr leicht einen Sonnenbrand, aber den hattest du ja noch nie!" "Ja hätte ich gedacht, aber stimmt, du hast Recht und braune Augen haben sie auch nicht", antworte ich ihr. "Ach Lillian, du siehst toll aus. Das passt zu dir. Du bist eben einzigartig", versichert mir meine Freundin Kaja. "Es geht doch nicht darum wie ich aussehe, damit bin ich zufrieden. Ich möchte wissen warum ich so aussehe", erkläre ich Kaja. Naja eigentlich hasse ich es oft, wie ich bin. Warum musste es ausgerechnet mich treffen? Keiner, mit Ausnahme meiner Familie und meiner Freundin, mag mich. Manche haben sogar Angst vor mir und starren mich an, wie wenn ich sie gleich umbringen würde. "Ok, Schwesterchen, wir können ja in den Ferien mal in Bibliotheken in der Stadt nachsehen", schlägt Molly vor. "Ja das machen wir! Vater weiß anscheinend nicht, warum ich ihm kaum ähnle. Ist er vielleicht gar nicht mein leiblicher Vater?", frage ich mich. Sogar meine Schwester hat dunkelbraune Haare.
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Waldgeister - Der Dämon
ФэнтезиDie 17-jährige Lillian wächst in einer Welt auf, in der es kaum noch Pflanzen gibt. Sie hat eigentlich ein ganz normales Leben, bis sie etwas über ihre Heilkräfte und die dunkle Vergangenheit der Menschheit erfährt. Seitdem ist einfach nichts mehr s...