Kapitel 2 - "Es tut mir Leid!"

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Blitzschnell kommt Kaja angeflitzt. "Los, wir müssen ihr helfen!" Und schon ist sie im Meer. Sofort springe ich ihr hinterher. "Da ist Molly! Ein Glück, sie lebt", blubbere ich hervor. Sie kämpft um ihr Leben. Die Strömung droht sie zu ertränken. So gut es geht schwimmen wir durch das wütende Nass bis zu meiner Schwester. Gemeinsam zerren wir sie an Land und legen ihr anschließend ein Handtuch um. Kreischend und stöhnend liegt sie da. Sie hat sich am Knie verletzt und blutet dort stark. Vielleicht ist es sogar gebrochen. So kann sie jedenfalls nicht aufstehen. Unwillig rufe ich Papa mit dem Handy an. Was anderes bleibt uns schließlich nicht übrig. Kurze Zeit später kommt er herangeeilt. Kaja verabschiedet sich noch und hastet dann zum Bus. Besorgt trägt Vater seine verletze Tochter zu unserem Haus, während ich ihm bedrückt hinterher trotte. Ich habe mein Versprechen erneut gebrochen.

Zuhause legt er Molly in ihr Bett. Sie schreit immer noch. Papa holt einen nassen Lappen. Unruhig reiße ich ihm diesen aus der Hand: "Ich mach das schon!" Während ich ihre Wunde abtupfe, greift er zum Hörer. Vorsichtig taste ihr Knie ab. Es ist wirklich gebrochen. Das ist deutlich spürbar. Ich wünschte, ich könnte es rückgängig machen. Meine Schwester hat starke Schmerzen, nur weil ich nicht auf sie aufgepasst habe. Vater wird mir nie verzeihen, dass ich seine Tochter fast umgebracht habe. Ich habe einfach alle enttäuscht.

Doch siehe da. Die Wunde beginnt sich in Sekundenschnelle zu verschließen! Aufgeschreckt reiße ich meine Hand von ihr. Träume ich etwa? Die Verletzung ist noch erkennbar, aber sie ist eindeutig kleiner geworden. Nein, es ist wirklich passiert! Ich berühre die zerfetzte Haut erneut. Tatsächlich regeneriert sie sich wieder vollständig. Molly hat aufgehört zu weinen. Fassungslos starrt sie auf ihr Knie: "Wie hast du das gemacht? Ich hatte Horror Schmerzen und jetzt sind sie weg. Bisher hast du dich doch nur selbst heilen können." Sie meint damit meine Heilkräfte, die ich schon habe, seit ich denken kann. So schnell ich mir einen Kratzer zugezogen hatte, verschwand er auch wieder. Heute habe ich mir so sehr gewünscht, es rückgängig machen zu können, dass es zum ersten Mal bei jemand anderem funktioniert hat. Erleichterung zeichnet sich in meinem Gesicht ab: "Papi komm mal!" Überrascht fasst er sich an den Schnurrbart. Er sieht Molly herumspringen, wie wenn nichts gewesen wäre. Sprachlos verlässt er den Raum und sagt per Telefon den Krankenwagen ab. Lange umarme ich meine Kleine und streiche ihr durch das zerzauste Haar. Wie froh ich doch bin sie zu haben. Mir ist heute wieder richtig bewusst geworden, wie sehr ich sie liebe. Sie hätte im Meer sterben können! Tränen der Freude rinnen uns über die Wangen. Mit Papa werde ich morgen sprechen, wenn wir uns alle beruhigt haben. Ich räume noch alle blutigen Sachen weg. Das ist das Mindeste, was ich tun kann. Dann fallen wir beide bereits um halb neun Uhr abends müde ins Bett.

Mehrere Stunden lag ich in der Nacht wach im Bett. Ich fürchtete mich davor, am nächsten Tag Papa gegenüber zu treten und seine Enttäuschung zu sehen. Deshalb rief ich schon in aller Frühe meine Freundin Kaja an und erzählte ihr alles genauestens. Verständnisvoll machte Kaja mir Mut. Sie meinte, dass ich einfach mit Papa reden sollte und er es verstehen würde. Dass meine kleine Schwester wieder völlig gesund ist, wollte sie erst glauben, wenn sie es mit ihren eigenen Augen sah. Molly strich mir beruhigend über den Rücken. Sie sagte, dass sie gleich beim Frühstücken mit unserem Papa sprechen würde und ich mir keine Sorgen machen solle. Sie meinte sie sei alt genug und hätte auf sich selbst aufpassen müssen.

Nun sitze ich alleine auf meinem Bett. Mein Gesicht in den Händen vergraben. Die Sache mit dem Unfall ist nicht das Einzigste, was ich falsch gemacht habe. Ab jetzt würde ich alles anders machen und nie wieder jemanden enttäuschen. Das schwöre ich mir. An jedem Schultag selbstständig aufstehen, immer für meine Schwester da sein und vor allem nie wieder Papa wegen seiner lebensgefährlichen Arbeit als Jäger anschreien. Denn die Zeit mit ihm ist etwas Besonderes, die ich nicht streitend mit ihm verbringen möchte.

Ein Geräusch reißt mich schlagartig aus meinen Gedanken. Irritiert starre ich auf die Tür. Jemand hat geklopft, wer mag das wohl sein um diese Uhrzeit? Mein Papa betritt das Zimmer. Mit ihm hatte ich ganz und gar nicht gerechnet. Ich hätte gedacht er schweigt mich an, wie er es immer tat, wenn er sauer auf mich ist. Stattdessen steht er vor mir und fährt sich unsicher durch die Haare. "Papa es tut mir Leid!", beginne ich. "Nein, mir tut es Leid!", widerspricht er mir. "Ist schon gut, meine Kleine. Das was gestern passiert ist, war ein Unfall und es ist ja nochmal gut gegangen." Ungläubig reiße ich meine Augen auf. Das Gegenteil von dem, was ich erwartet hatte ist eingetreten. "Was sagst du da? Molly ist wegen mir fast gestorben und du sagst nur ist schon gut! Wäre es dir etwa egal, wenn Molly nicht mehr hier wäre? Und was bitte tut dir Leid?", fahre ich ihn lauthals an. Papa ruft Molly zu uns. Beide setzen sich nun zu mir auf das Bett. Er hat schwitzige Hände und ist ziemlich nervös. Normalerweise ist er doch die Ruhe in Person. So habe ich ihn noch nie erlebt. "Ich liebe euch beide sehr, das wisst ihr doch", beginnt er und legt eine kurze Pause ein. Dann räuspert er sich, legt seine Stirn in Falten und spricht weiter: "Ich muss euch etwas sagen. Eure Mutter ist nicht bei der Geburt von Molly gestorben. Ich habe euch angelogen. Lillian, außerdem habe ich dir immer verschwiegen, warum du anders aussiehst und warum du Heilkräfte hast. Das hätte ich nicht tun dürfen. Ich wollte doch nur, dass ihr ein ganz normales Leben führen könnt."

Waldgeister - Der DämonWo Geschichten leben. Entdecke jetzt