Gespannt hören Molly und ich Vater zu. So oft hatte ich ihn angebettelt, mir etwas über meine Fähigkeiten zu erzählen. Nun würde ich es erfahren. Eigentlich müsste ich mich darüber freuen. Da ich mir sicher bin, dass ich nicht seine Tochter bin, macht sich aber eher unbehagen in mir breit. Vielleicht wäre es ja besser, manche Dinge nicht zu wissen?
Papa spricht weiter: "Lillian, alles begann bei deiner Geburt. Du wurdest von deiner Mutter Marie Tod geboren. Marie und ich beschlossen in unserer Trauer in den Urwald zu fahren und das verlorene Leben der Natur zu schenken. Wir legten dich dort in einen See und hielten dich weiterhin fest. Der Abschied fiel uns schwer. Auf einmal sahen wir am anderen Ende des kleinen Sees einen Waldgeist im Wasser stehen. Wir wollten schon aufstehen und wegrennen, da wir Angst vor dem Geist hatten. Doch da fingen deine Haare an sich zu verfärben und deine Haut wurde weiß. Wie durch ein Wunder öffneten sich deine Augen und du warst am Leben! Deine Mutter und ich vermuteten, dass der Waldgeist dir dein Leben schenkte."
Mit offenem Mund starren meine Schwester und ich nun Papa an. Das was er von sich gab, ist unglaublich. Nein, es gleicht eher einem Märchen. Aber so etwas kann er sich nicht ausgedacht haben. Wenn das, was Papa gesagt hat, war ist, würde es erklären warum ich so anders bin und es würde bedeuten, dass Papa und Mama wirklich meine leiblichen Eltern sind! "Was sind denn Waldgeister?", frage ich.
"Waldgeister können Pflanzen wachsen lassen. Vor vielen Jahren taten sie dies in unserer Stadt. Alles war voller Grünzeug. Die Bäume in den Gärten wurden größer und drangen durch die Fenster in das Hausinnere ein. Dadurch wurden viele Häuser zerstört und Menschen die darin wohnten starben. Sogar die Zimmer Pflanzen wuchsen rasant und bedeckten schon bald die Fußböden. Deshalb werden noch heute alle Pflanzen in der Stadt und der näheren Umgebung verbrannt. Sie sind zu gefährliche Waffen der Waldgeister. Der Rest der Welt vernichtet auch alles. Damit die Geister dort nicht auch noch durch ihr üppiges Pflanzenwachstum alles zerstören" , antwortet Papa.
"Und was ist dann mit Mama passiert?", fragt Molly. "Genau das ist es, was ich nicht verstehe. Obwohl ein Waldgeist Lillian das Leben geschenkt hat, hat ein anderer eure Mutter getötet! Ich jage die Waldgeister dafür, dass sie eure Mutter getötet haben!", sagt mein Vater mit lauter Stimme. Bei seinen letzten zwei Sätzen ist er sehr wütend geworden.
"Warum hast du mir überhaupt die Wahrheit verschwiegen? Ein normales Leben hatte ich sowieso nie! Und wie kannst du uns nur so eine Lüge über Mamas Tod erzählen?", schreie ich ihn an.
Molly verlässt mein Zimmer, sie geht jedem Streit zwischen Papa und mir aus dem Weg. Kopfschüttelnd verlasse ich mein Zimmer und renne die Treppen herunter zur Haustüre. Dann ziehe ich meine Schuhe an. Das alles ist so verwirrend. Ich muss jetzt nach draußen. Ein Streit würde nichts bringen. Papa ruft mir noch hinterher: Lillian, bleib hier! Wo willst du denn hin?" Ich beachte ihn nicht und knalle die Türe zu.
Ich will endlich allein sein und in Ruhe über alles nachdenken. Aber wohin sollte ich denn gehen? Im Süden ist der Strand mit den Menschenmassen, im Norden und im Osten die Stadt mit den Zügen und den abgehetzten Leuten. Ich schaue in Richtung Westen, der Urwald. Leise Stimmen die aus den Wald kommen, rufen mich zu sich: "Lillian, komm zu uns! Hilf uns!" Es ruft jemand um Hilfe! Warum kann ich es hören? Ich bin doch noch mindestens zwei Kilometer vom Wald entfernt. Und dieser jemand kennt meinen Namen! Meine Neugier treibt mich voran, obwohl ich Angst habe vor dem großen, dunklen Wald. Je näher ich den Bäumen komme, desto langsamer werde ich. Von nahem sieht der Wald viel größer und bedrohlicher aus. Eigentlich dürfte ich gar nicht hier sein. Wahrscheinlich achtet sowieso keiner darauf, da sich niemand auch nur in die Nähe des Waldes wagt.
Vorsichtig mache ich den ersten Schritt auf den Waldboden. An einen der ersten Bäume lehne ich mich an. Ich spähe in den tiefen Wald. Große Bäume und Pflanzen so weit das Auge reicht. Über mir verdecken die Baumkronen den Himmel. Wenig Sonnenstrahlen durchdringen sie. Unheimlich sieht es hier aus. Obwohl ich ein mulmiges Gefühl habe, zwingt mich meine Neugier weiter zu gehen. Je tiefer ich mich in den Wald wage, desto stiller wird es. Es ist nur noch angenehmes Vogel Gezwitscher zu hören. Endlich, zum ersten Mal in meinem Leben, bin ich für mich ganz allein. Auch diese frische Luft ist sehr angenehm. Eigentlich finde ich es schön hier, was sollte hier schon gefährlich sein. Die Waldgeister werden mich schon nicht gleich mit ihren Pflanzen angreifen. Immerhin habe ich gar nichts getan, was sie stören könnte. Glücklich schlendere ich über den Waldboden. Es ist, wie wenn alle Sorgen von mir abfallen würden.
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Waldgeister - Der Dämon
FantasyDie 17-jährige Lillian wächst in einer Welt auf, in der es kaum noch Pflanzen gibt. Sie hat eigentlich ein ganz normales Leben, bis sie etwas über ihre Heilkräfte und die dunkle Vergangenheit der Menschheit erfährt. Seitdem ist einfach nichts mehr s...