Taxifahrt

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„Können Sie nicht etwas schneller fahren?", fragte Anna mit einem leichten Anflug von Nervosität in der Stimme, während sie in steifer Körperhaltung auf dem Rücksitz saß, die Finger um ihre mit schwarzen Nylonstrümpfen bedeckten Knie geschlungen und den Blick stur geradeaus gerichtet.

Der Taxifahrer warf einen verstohlenen Blick in den Rückspiegel, musterte seinen Fahrgast eine Sekunde und grinste. Er war um die Mitte Vierzig, übergewichtig, mit schütterem gräulichen Haar, ungepflegtem Drei-Tage-Bart und saß in einem schmuddeligen, vergilbten Hemd, das stark nach Schweiß und Zigarettenrauch miefte, im durchgesessenen Fahrersitz des Wagens. Die kahle Stelle auf seinem Kopf spiegelte immer wieder die Lichter der vorbeiziehenden Straßenlaternen wider.

„Keine Sorge, ich kenne die Straßen hier, Sie werden rechtzeitig zu Ihrer Verabredung kommen", antwortete er in einer wuchtigen, von jahrelangem Tabakkonsum gezeichneten, kratzigen Stimme.

„Hoffentlich...", entgegnete sie, bevor sie sich etwas entspannter in ihren Sitz sinken ließ und aus dem Seitenfenster des Wagens sah; vor ihren Augen spielte sich das lebendigste Nachtleben ab, das sie je zuvor gesehen hatte. Die Bürgersteige waren voller aktiver Menschen, die in bester Laune schienen, viele in legerer Alltagskleidung, andere fein herausgeputzt, und es herrschte immer noch massiger Verkehr auf den breiten Straßen des Zentrums, weswegen es nur ein schleppendes Durchkommen in diesem Konvoi von Taxis war. Hupgeräusche, rote Bremslichter, Neonreklamen an den Fassaden und unverständliche Wortfetzen von größeren Personengruppen, die vor Bars standen und rauchten oder umherzogen und sich unterhielten, dominierten das Bild und Geräuschkulisse der Stadt. Hier reihte sich buchstäblich ein Lokal an das andere; egal, ob es sich um einen schummrigen Irish-Pub mit altmodisch-gemütlichem Flair oder um noble High-Society-Etablissements handelte, in denen man gewöhnliche Vorspeisen prätentiös als „Horsd'oeuvre" bezeichnete und in denen es wohl eigene Wein-Sommeliers gab.

Doch es war genau dieses Leben am Puls des Geschehens und der Zeit, was sie anzog und letztendlich dafür ausschlaggebend war, dass sie sich mit ihren 25 Jahren, als eigentlich in einfacheren Verhältnissen aufgewachsenes Mädchen vom Lande, plötzlich in einer der größten und belebtesten Metropolen der Welt wiederfand. Das und natürlich er. Er, mit dem sie sich heute verabredet hatte und jetzt Gefahr lief, sich gleich beim ersten Date zu verspäten.

„Darf man denn fragen, was Sie denn heute noch vorhaben", fragte der Taxifahrer und durchbrach damit urplötzlich die Stille und damit auch den Schwall an Gedanken, der ihr die letzten zehn Minuten des Schweigens durch den Kopf ging, „obwohl ich die Antwort darauf bestimmt schon kenne, was eine junge Frau so aufgedonnert in der Stadt vor hat", fügt er lachend und anschließend hustend hinzu, noch bevor Anna eine Chance hatten auf die Frage einzugehen.

„Ähm-", begann sie, sichtlich bemüht darum, wieder in die Realität zu finden, „ich bin heute mit jemandem verabredet."

„Verstehe", antwortete der Fahrer hörbar grinsend, „das hätte ich nicht erwartet. Ich hatte eher angenommen, Sie würden auch mit Ihren Freunden um die Häuser ziehen."

Oh Gott, sehe ich wirklich so aus als würde ich durch die Clubs ziehen wollen? Vielleicht bin ich doch etwas zu overdressed für den Abend? Sehe ich vielleicht sogar nuttig aus oder leicht zu haben? Scheiße, dachte sie sich nach den Worten des Fahrers, die ihre Unsicherheit wieder größer werden ließen. Sie sah an sich herunter und streifte mit ihren Händen ihr Abendkleid zurecht. Tatsächlich war es das einzige, das sie hatte, um in der Gesellschaft, in der sie heute zu verkehren vorhatte, nicht wie ein bunter Hund aufzufallen. Eigentlich war ihr Stil bisher immer leger und lässig gewesen; selten trug sie etwas, das ihre Weiblichkeit so sehr betonte.

„Nein, ich treffe mich heute mit einem Mann. Er will mich in eines der nobelsten Restaurants der Stadt ausführen, das Carna", sagte Anna nach einigen Minuten, merkbar bemüht darum, souverän dabei zu klingen, so als wäre es das Normalste auf der Welt für sie, so etwas zu tun und nicht, wie es tatsächlich war, ihr erster Abstecher in die Welt der Hautevolee.

Ein Abend in feiner GesellschaftWo Geschichten leben. Entdecke jetzt