Wiedersehen

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Okay, cool bleiben, den Creep hast du überstanden, sagte sie sich in Gedanken, bevor sie ihr Parfum aus der Tasche holte, es großzügig verteilte, aus Sorge, sie könnte noch nach diesem Mief aus dem Taxi riechen und schließlich Anstalten machte loszugehen. Die hohen Absätze ihrer Stöckelschuhe klackerten über den Asphalt; gewohnt war sie das Laufen in diesen Schuhen definitiv nicht, weswegen sie sichtlich darum bemüht war, nicht darin umzuknicken und hinzufallen. Immer wieder kamen ihr Gruppen von Menschen entgegen und einige sichtlich betrunkene Typen pfiffen ihr nach oder riefen ihr teils sehr unverschämte Einladungen hinterher, woraufhin sie schnaufend die Augen verdrehte.

Idioten, dachte sie kopfschüttelnd.

Doch umso mehr wuchs ihre Vorfreude auf den Abend in kultivierteren Kreisen, wenn sie John doch nur finden würde; sie hatten sich genau an diesem Platz verabredet, weil sie ihn darum bat, ihr auf dem Weg zum Restaurant noch etwas die Stadt zu zeigen. Sie lebte zwar schon knapp zwei Jahre hier aber diesen Teil der Stadt kannte sie nicht – jedenfalls bis heute.

„Anna!", hörte sie plötzlich jemanden hinter sich aus diesem Schwall an Wortfetzen der Menschen um sie herum, rufen. Es war diese männliche, charismatische Stimme, die ihr sofort die Knie weich werden ließ. Tausende Gedanken schossen ihr auf einmal durch den Kopf, bevor sie sich noch einmal schnell mit den Fingern durch die Haare fuhr, um möglichst perfekt auszusehen. Aber würde sie ihm trotzdem gefallen? Würde er es ihr ansehen, dass sie sonst nicht in denselben Kreisen wie er verkehrte? Oder mochte er sie wirklich? Sie drehte sich blitzartig um und da war er vor ihr.

Er stand da, in einem schwarzen Anzug, schwarzem Hemd und einer weinroten Krawatte, seine Schuhe reflektierten das Straßenlicht, so poliert waren sie. An seinem Handgelenk schimmerte eine silberne, dicke Armbanduhr; aber nur halb so sehr wie seine stahlblauen Augen es taten. Die hellbraunen Haare hatte er sich locker zurückgekämmt und einige Strähnen seines Haars hingen ihm elegant über die Stirn. Sein markantes Gesicht wirkte wie geschnitzt und sein gepflegter und definierter Drei-Tage-Bart, der so gar nicht an die verwilderte Visage dieses Taxifahrers erinnerte, gab seinem ganzen Äußeren noch einen besonders anziehenden Touch.

„John!", rief sie mit hörbarer Aufregung in der Stimme, als sie auf ihn zukam und dabei versuchte, nicht zu laufen; ein einziges Umknicken mit diesen Folterinstrumenten von Schuhen hätte schließlich den Abend völlig ruiniert, so dachte sie.

Er kam ebenfalls auf sie zu, bevor sie ihm um den Hals fiel, während er einen Arm um sie legte und mit seinen großen Händen ihren nackten Rücken berührte, bevor sie sich links und rechts auf die Wangen küssten. Ein warmes und prickelndes Gefühl machte sich in ihr breit, als sein Bart sanft ihre Haut streifte und sie sein unwiderstehliches, kraftvolles Parfum wahrnahm.

Sie stand vor ihrer, trotz ihrer High Heels mindestens noch einen Kopf größeren Begleitung und strahlte ihn mit Funkeln in den Augen an.

„Es freut mich so dich endlich zu sehen!", sagte sie grinsend, mit deutlich erregter Stimme.

„Und mich erst!", antwortete John, etwas gelassener als sie.

„Heute wird unser großer Abend."

Er wandte sich mit hochgezogenem Ellbogen um, um ihr zu deuten, dass sie sich, ganz im Stile der feinen Gesellschaft, während ihres Spaziergangs bis zum Carna bei ihm einhaken könne, bevor sie losgingen; ein Angebot, das sie freudig annahm.

„Hast du auch gut hergefunden?", fragte er, als sie durch die Menschenmengen des Platzes schlenderten. Den Straßenlärm und die Geräusche des Nachtlebens in der Stadt konnte sie schon beinahe gar nicht mehr wahrnehmen.

„Ja, natürlich! Außer...", setze sie an, woraufhin er seinen Blick stirnrunzelnd auf sie richtete.

„Außer?"

Ein Abend in feiner GesellschaftWo Geschichten leben. Entdecke jetzt