Absacker

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In dem Gang zu den Duschen hinter der Küche herrschte reges Treiben. Alle Anwesenden entledigten sich ihrer blutdurchtränkten Schürzen in einem Eimer, legten ihre gute Kleidung ab und duschten sich.

Andere, die bereits damit fertig waren, saßen in dem Gästeraum an der großen Bar und nahmen einen Absacker in Form von kleinen Schnäpsen zu sich. Eine Frau hatte ein halbvolles Whiskyglas vor sich stehen. Die metallischen Abdeckungen der hohen Fenster waren bereits wieder zur Seite geklappt und die ersten Sonnenstrahlen an diesem Morgen drang in den offenen Gästeraum, der nun wieder sehr viel freundlicher wirkte.

Die ersten Angestellten kamen in diesem Moment zu ihrer Frühschicht und räumten die umgeworfenen Stühle und Tische auf, die Anna bei ihrer Flucht vor Goldberg hinterlassen hatte, während einer begann, hinter der Bar aufzuwischen. Immer mehr der Anwesenden in dieser Nacht sammelten sich nach der Dusche an der Bar und redeten miteinander.

„Das war wirklich hervorragend", sagte Caputo zu dem alten Herrn, der im Keller die Ansprache gehalten hatte.

„Vielen Dank, das freut uns zu hören", antwortete dieser mit ruhiger Stimme, bevor er zu John rüberging, der mit einem Glas Whisky an der Bar lehnte und mit stoischem Gesichtsausdruck auf den Tisch starrte, an dem Anna und er bis vor ein paar Stunden gesessen und Wein getrunken hatten.

„John Lambrick", sagte er und umarmte ihn einmal sehr geschäftsmäßig, „dein Fang der heutigen Nacht war einfach exzellent. Wirklich."

„Danke, Vincent", antwortete dieser etwas geistesabwesend, den Tisch weiterhin mit den Augen fixierend.

„Hier", sagte der alte Herr namens Vincent und schob ihm auf dem Bartresen ein Kuvert entgegen, „obwohl dein erster Fang uns einige Probleme bereitete, hast du dir das hier verdient."

Langsam senkte er den Kopf nach unten auf den Tresen und nahm das Kuvert in die Hand, bevor er es mit zitternden Händen öffnete.

Etliche Hundert-Dollar-Scheine blitzen daraus hervor. Er hob den Blick daraufhin und schloss dieses wortlos wieder.

Noch einige Zeit saß die Runde nun an freien Tischen, sie kippten noch einige Gläser und unterhielten sich über die aufregende, letzte Nacht, während das Personal, das diese Worte bewusst zu überhören schien, das Restaurant für die ersten Gäste vorbereitete.

„Nun denn, liebe Freunde", leitete Vincent die letzte Ansprache ein, „es war mir ein wirkliches Vergnügen Sie begrüßen zu dürfen. Unser regulärer Betrieb beginnt in zehn Minuten, deswegen schlage ich vor, dass wir uns nun zerstreuen."

„Allerdings, ich bin bereits spät dran", sagte einer der jungen Männer in der Runde und kippte den Rest seines Whiskys herunter, „ich hab eine Pressekonferenz durchzustammeln."

„Nun, als angehender Politiker hat man es nicht leicht, nicht wahr?", lachte eine der älteren Damen.

Der junge Mann stand auf.

„Nein! Viel mehr: Angehender Master Of The Universe!", lachte er in bester Laune mit hoch erhobenem Zeigefinger, bevor er sich sein Sakko um die Schulter schwang und gefolgt von den meisten anderen in Richtung der Eingangstür ging.

Der Gastgeber des Abends verabschiedete jeden seiner Gäste an der Tür noch einmal, während John an den Tischen sitzen blieb und zusah, wie die Kellner emotionslos die stehengelassenen Gläser der Runde einsammelten und wegräumten.

Langsam wandte er seinen Blick wieder dem Tisch zu, an dem er zuvor mit Anna gesessen, mit ihr getrunken und gelacht hatte.

Nun lagen nur noch wenige Teile von ihr in einem der Kellergewölbe, hauptsächlich Knochen, darauf wartend, dass das spezielle Personal sie abholte und entsorgte, während der Großteil von ihr zusammen mit Rotkrautsalat, Wein und Whisky in den Mägen der Anwesenden zersetzt wurde.

Er rieb mit dem Daumen über die Lasche des Kuverts, das sich in seiner Sakkotasche befand. Er hatte damit nicht nur die letzten drei ausstehenden Mieten seiner Ein-Zimmer-Wohnung in Chinatown in der Tasche, die er mit seiner Waisenrente kaum bezahlen konnte, sondern konnte sich auch wieder etwas zu essen leisten. Einige Zeit saß er nun so da, bis er im Hintergrund hörte wie die ersten Gäste eintrudelten, die einen Tisch zum Frühstücken reserviert hatten. Er legte die Hand um sein Glas und kippte nun auch den letzten Schluck Whisky, bevor er einmal tief durchatmete und langsam in Richtung des Ausgangs schlurfte.

„Wir sehen uns, John, gute Arbeit!", sagte Vincent, der immer noch am Eingang stand und einige seiner frühen Gäste persönlich begrüßte.

„Und nächstes Mal solltest du mitessen, dein Bauchgrummeln ist unerträglich!", rief er ihm lachend nach.

John nickte nur aber sagte nichts. Er schlurfte gedankenlos durch die Straßen in Richtung der U-Bahn des Zentrums, das sich langsam wieder mit Leben füllte; diesmal jedoch nicht mit Nachtschwärmern, sondern mit Menschen, die hektisch auf dem Weg zu ihrer Arbeit waren.

Und auch er hatte noch zu tun. Vor einigen Tagen lernte er diese Frau kennen. Sie war aus Süd-Korea. Und neu in der Stadt.

Ein Abend in feiner GesellschaftWo Geschichten leben. Entdecke jetzt