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Bei dem Buch, das sie gefunden hatte, handelte es sich um ein Fotoalbum. Direkt auf der ersten Seite klebte ein Foto, das einen jungen Mann zeigte, der, alle Extremitäten von sich gestreckt, auf einem Tisch festgebunden war. Dem Aussehen nach handelte es sich um einen Ostasiaten, etwa Mitte 20. Im fehlte sein komplettes linkes Bein, sowie große Teile seines rechten Beins, aus dem ein Stück seines Oberschenkelknochens ragte. In seinem Bauch klaffte ein riesiges Loch und sein ganzer Körper war mit Blut überströmt; offenbar waren seine Organe entnommen worden.

Rund um den Tisch saßen rund zwei Dutzend Personen, deren Gesichter fast nicht zu erkennen waren, mit weißen, blutverschmierten Schürzen, vor ihnen Teller, auf denen Fleischstücke lagen, und Gläser, offenbar gefüllt mit Rotwein. Sie waren zu sehen wie sie aßen, während in ihrer Mitte die zerstückelten Überreste dieses Mannes lagen. Darüber stand der Text: „Communauté De Gourmets – Vietnamese Man, 23 – September 10, 1993".

Anna war mit den Nerven sichtlich am Ende. Sie hielt sich vor Entsetzen die Hände auf den Mund und starrte unentwegt, mit aufgerissenen Augen, das Foto dieses Mannes an; und auch die anderen Personen, die in aller Seelenruhe um ihn herumsaßen, speisten, tranken und sich offenbar bester Laune erfreuten.

Mit zitternden Händen griff sie nach der Seite und blätterte sie um, woraufhin sie das nächste Bild zu sehen bekam. Diesmal war es eine Frau. Sie war sehr hellhäutig und hatte lange, blonde Haare. Auch sie lag aufgebahrt auf einem Tisch, an dem Ihre Arme und Beine fixiert worden waren und der sich offensichtlich im selben Raum befand, wie der auf dem letzten Foto. Ihr gesamter Unterleib war schwer verstümmelt, so als hätte jemand sämtliche Organe daraus entnommen. Auch ihre Brüste waren abgetrennt worden. Und wieder saßen darum einige Personen in blutverschmierten, weißen Schürzen, die Teller vor sich hatten, lachten und aßen. Auf einem dieser Teller war deutlich eine abgetrennte Brust zu erkennen, von der einer der Männer am Tisch im Begriff war, ein Stück mit Messer und Gabel herauszutrennen. Über dieser Aufnahme stand der Text geschrieben: „Communauté De Gourmets – Norwegian Woman, 33 – July 15, 1994".

„Oh Gott! Das ist krank!"

Diese Worte waren das Einzige, was Anna mit ihrer zitternden, entsetzten Stimme noch hervorbringen konnte, als sie diese Aufnahmen zu Gesicht bekam.

Sie blätterte ein weiteres Mal um. Auf dem Bild der nächsten Seite sah man den Körper eines schwarzen Jungen, bestimmt noch keine 18 Jahre alt, dem der Kopf abgetrennt worden war. Seine Genitalien und sein linker Arm fehlten ebenfalls. Sein Brustkorb war weit geöffnet und einzelne Rippen ragten hervor. Auch hier saßen wieder Personen in Schürzen um den Tisch. Auf dem Teller einer älteren Frau, die auffällig viel Schmuck um den Hals trug, lag der abgetrennte Kopf des Jungen, dessen restlicher Körper vor ihr war, neben einer Salatschüssel – so als wäre es das Normalste auf der Welt; als hätte sie einfach ein Stück Steak vor sich liegen. In dem Schädel klaffte ein großes Loch und seine angeschwollene Gehirnmasse trat deutlich daraus hervor. Beschriftet war das Foto mit: „Communauté De Gourmets – Ghanaian Boy, 15 – December 22, 1995".

Anna warf einen deutlicheren Blick auf die Frau, die den abgetrennten Kopf vor sich auf dem Teller liegen hatte. Bei genauerer Betrachtung erkannte sie darin eine landesweit bekannte Politikerin, die erst vor wenigen Jahren verstorben und unter großer öffentlicher Anteilnahme beigesetzt worden war.

Sie schmiss das Buch auf den Tisch und zuckte erschrocken zurück.

„Oh mein Gott. Oh – mein – Gott!", flüsterte sie leise mit bibbernder Stimme und ihr lief ein eiskalter Schauer und kalter Schweiß den Rücken herab.

„Das – das darf alles nicht wahr sein. Das ist nicht wahr", stotterte sie entsetzt, „diese Frau – diese Frau isst den Kopf eines Jungen und feiert zwei Tage später mit ihrer Familie Weihnachten, als ob nichts wäre oder wie!? Oh Gott..."

Ein Abend in feiner GesellschaftWo Geschichten leben. Entdecke jetzt