Kapitel eins, neu geboren (2/3)

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>>Da haben Sie recht, danke<< entgegnete ich mit einem zögerlichen Lächeln. Zwar war mir mein Aussehen momentan überhaupt nicht wichtig, aber diese Uniform war tatsächlich besonders abscheulich. Sie ähnelte der einer Krankenpflegerin, jedoch hatte sie eine hellorangene Farbe. Ich frage mich, woher die Uniform war und warum Ryan, Dave und ich sie trugen.

>>Übrigens hätte ich möglicherweise auch etwas für euch beide<< sagte Natty zu den Jungen und fing an in ihrem Kleiderschrank zu kramen. Schließlich warf sie ihnen ein paar Hosen und Shirts zu.

>>Die waren von meinem Bruder. Er war immer der Meinung, ich hätte genügend viel Platz, um seine alten Klamotten zu lagern. Es war ihm immer zu schade, sie wegzuwerfen. Einmal habe ich es für ihn getan, darauf war er ewig beleidigt<< sie lachte kurz über die Erinnerung. Die Jungs hoben die Kleidungsstücke hoch und betrachteten sie kurz. Es gab eine Jeans, zwei schwarze Hosen, ein schwarzes, ein weißes und ein khakigrünes T-Shirt mit Bildern drauf. Bei den Bildern handelte es sich um Bandlogos, an die ich mich noch erinnern konnte.

>>Er hat sogar im Abfallcontainer nach seinem unterschriebenen Band-T-Shirt gesucht, obwohl es bereits gelöchert und ausgeleiert war. Es war diese Band<< sagte sie und zeigte auf das Shirt, welches Dave gerade in der Hand hielt.

Er riss die Augen auf. >>Hast du das T-Shirt noch? << fragte er. Natty lachte wieder kurz auf. Ihr Bruder und Dave schienen denselben Musikgeschmack zu haben. >>Tut mir Leid, als er es schließlich gefunden hatte, hat er es gewaschen und wieder nach Hause genommen. Er meinte, er hätte es mir aus Versehen geschickt. Naja, wie dem auch sei<< Natty machte eine wegwerfende Handgestik >>Schaut mal, ob die Sachen euch passen<<

Die beiden Jungen gingen durch die Tür gegenüber dem Schlafzimmer, wahrscheinlich in das Wohnzimmer, um sich umzuziehen. In der Zeit stöberte ich im Kleiderschrank. Die Frau hat einen interessanten Modegeschmack. Ich habe noch nie zuvor, soweit ich mich erinnern kann, so viele Pailletten auf einmal gesehen. Die Hälfte der Oberteile war pink oder rosa und fast jede Hose hatte Verzierungen, wie Nieten, Perlen oder Ähnliches. Nach einer Weile fand ich eine schlichte, schwarze Hose und einen hellblauen Pullover aus Angorawolle. Als ich mich umgezogen habe, kamen Ryan und Dave in ihren neuen Outfits wieder. Die Kleidung war beiden viel zu groß. Die Nahten der Ärmel waren mitten an den Oberarmen, die Shirts hängten bis zu den Oberschenkeln und die Hosen mussten sie überschlagen. Ich konnte mir ein Grinsen nicht unterdrücken, obwohl ich selbst in Nattys Pullover wahrscheinlich zweimal reinpassen würde.

>>Mein Bruder war ein sehr großer Mann<< meinte sie und grinste ebenfalls.

>>Cara, du siehst ja wunderschön aus<< sagte Ryan, lächelte und musterte mich von Kopf bis Fuß. Ich konnte spüren, wie sich meine Wangen röteten.

>>Ihr seht auch gut aus<< erwiderte ich und meinte es sogar ernst. Meiner Meinung nach standen ihnen die riesigen Kleidungsstücke. Ryan hat sich für das schwarze Shirt und die Jeans entschieden, Dave für das weiße Shirt und eine schwarze Hose.

>> Na dann geht mal zum Spiegel<< forderte uns Natty auf.

Auf Kommando bewegten wir uns Richtung Bad. Es war weiß gefliest mit türkisenen Dekorationen und einem rosafarbenen Teppich. An einer Wand hing ein hoher Spiegel.

>>Ladies first<< sagte Ryan und hielt mir die Tür auf. An mein Aussehen konnte ich mich auch nicht mehr erinnern, so betrachtete ich mich ganz genau im Spiegel. Zuerst löste ich den Dutt, zu welchem mein Haar gebunden war. Es war schwarz, lang und legte sich zu einem leicht seitlichen Scheitel. Meine Augen waren dunkelblau und meine Haut außergewöhnlich blass. Ich wusste nicht, ob sie immer so war, oder nur jetzt wegen der Krankheit. Zufälligerweise wählte ich ein sehr passendes Outfit zu meinem Aussehen.

Dave lehnte sich an den Türrahmen und lächelte mich an.

>>Früher hast du immer dein Gesicht verzogen, als du in den Spiegel schautest<< sagte er

>>Zu Unrecht<< murmelte Ryan.

>>Danke<< sagte ich eingeschüchtert, lächelte zögerlich zurück und ging aus dem Bad an ihnen vorbei, worauf Dave es betrat.

>>Ach du meine Güte<< sagte er lachend, als er sich im Spiegel sah >>und das gefällt dir? << fragte er ungläubig.

Ich nickte grinsend. Es freute mich, dass er trotz meiner Amnesie noch lachen konnte. Ich stellte es mir schmerzhaft vor, wenn ein Freund oder Verwandter von mir mich endgültig vergessen würde, wenn alle seine Erinnerungen an mich ausgelöscht worden wären. Nun trat Ryan zum Spiegel und hätte auch beinahe gelacht. Er schien betroffener von der Sache zu sein.

Natty legte ihre Hand an meinen Rücken. Ich versteifte reflexartig >>Komm, ich zeige dir den Rest der Wohnung<< sagte sie.

>>Okay<<

Zuerst führte sie mich zur Küche. Sie war, wie das Bad, weiß gefliest und mit pastellfarbenen Details versehen. Auf dem kleinen Esstisch befand sich ein Teller mit Nudeln in Tomatensoße. Bei dem Anblick merkte ich, dass ich sehr hungrig war, denn mein Bauch grummelte lautstark. Natty hörte es und forderte mich zum Essen auf: >>Schlag ruhig zu. Ryan hat es extra für dich vorbereitet<< Das tat ich auch. Ich aß es kalt, weil ich nicht warten wollte, bis es aufgewärmt worden war. Es schmeckte trotzdem köstlich.

Als ich fertig war, gingen wir in das Wohnzimmer. Es war farblich ähnlich eingerichtet, wie das Schlafzimmer. Die Couch war beige, der Sitzsack türkisfarben und die Wände weiß. Erstaunlich, dass sich Natty so ausgefallen kleidete, aber ihre Wohnung ziemlich minimalistisch eingerichtet hatte. Die zwei-Zimmer-Wohnung war völlig ausreichend für eine Person, aber etwas eng für uns vier. Mir fiel auf, dass dadurch dass ich im Bett schlief, jemand auf der Couch und jemand auf dem Sitzsack, Ryan offenbar keinen vernünftigen Platz zum Schlafen hatte, was seine Augenringe begründete. Dabei hätten wir uns locker das Bett teilen können. Möglicherweise weigerte er sich, damit ich mich nicht erschreckte, wenn ich nachts aufwachen würde oder er wollte sich von mir fernhalten. Der Gedanke gab mir einen Stich, merkwürdig, dabei kannte ich ihn gar nicht.

 Ich fragte mich, warum sich nicht beispielsweise er und Natty das Bett teilten. Wieder bekam ich ein schlechtes Gewissen.

Schließlich versammelten wir uns alle im Wohnzimmer. >>Ich bin mir sicher, du hast noch viele offene Fragen<< sagte Ryan >>leg los<<

Amnesie - (un)vergessliche MomenteWo Geschichten leben. Entdecke jetzt