Prolog

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Lange, taupebrune Strähnen, die durch schlichte schwarze Over-Ear-Kopfhörer ein Zaum gehalten wurden, umwehten in seichten Wellen ein bleiches ausdrucksloses Antlitz. Scharfe graue Augen beäugten das bunt erleuchtete Nachtleben Shizume Citys. Die helle Haut erleuchtete unter den neonfarbenen Reklamen des verrufenen Stadtbezirks in einem knalligen Rotton und hinterließ schmerzliche Erinnerungen, an die etlichen allmählich verblassenden Wundmale die sich unter ihren alternativen oversized Streetstyle verbarg. Dies ist das Gesicht von Rin Kanashii, eine neunzehnjährige Abiturientin. Das rot eingebrannten Insigne des verrufenen roten Clans knapp unterhalb ihres rechten Schlüsselbeins differenzierte sie jedoch von der dahinströmenden Masse und den im Schatten lauernden Silhouetten.

Rin Kanashii ist ein eine 19-jährige Teilzeit Barista, deren Leben sich seitdem viel zu frühen Tod ihrer Mutter hauptsächlich in Obhut eines oftmals aggressiven Gewohnheitstrinkers oder auf den unsicheren Straßen Shizume Citys abspielte, getrennt von ihren beiden Brüdern. Chi Kanashii war acht Jahre zuvor bei einem tragischen Unfall ums Leben gekommen, nachdem sie sich bei einem Sturz die Treppe hinunter das Genick brach. Vor den Augen Außenstehender wurde dabei allerding verhüllt, dass das junge Mädchen damals mit ansah, wie Hidoi Kanashii angesichts der ihm vorgelegten Scheidungspapiere seine Lebensgefährtin im Rausch vom Treppenabsatz stieß. Die schwerwiegenden Anschuldigungen seiner Tochter von sich, auf einen kürzlich angeschauten Horrorfilm und durch den erlittenen Verlust schiebend, lullte Hidoi die ermittelnden Beamten mittels seinen narzisstischen Lügen vollkommen ein. Gerüchte, die das junge Mädchen eines undankbaren manipulativen Narzissten besichtigen, kursierten bereits nach wenigen Tagen in der umliegende Nachbarschaft und den vollen Schulfluren, weswegen die Eltern ihren Kindern nach und nach verbaten mit dem taupebraunhaarigen Mädchen zu interagieren. Den Ruf als streitsuchende Lügnerin aufgedrückt ließ die elfjährige die einsamen Schultage und gehässigen Kommentare an sich vorbei ziehen. Ihr einziger Rückzugsort eine Schülerin, die sich ein Jahr später in diese Schule hat, versetzten lassen und die sich nicht von den verbreiteten Gehässigkeiten abschrecken ließ. Und als Hidoi seine sechzehnjährige Tochter ein paar Jahre später zu allmöglichen Nebenverdiensten, mit welchen er sich sein gewohnheitstrinken finanzieren konnte, drängte erweiterte sich der chaotische Kreis um Rin. Die beiden Brüder der verrufenen Schülerin seit dem Tod ihrer geliebten Mutter auf weitentfernte exklusiven Schulen mit integrierten Wohnheimen versetz, für dessen Schulgeld Hidoi seine einzige Tochter ebenfalls etwas von ihrem monatlichen Gehalt dazu steuern ließ.

Selbstvergessend die unebenen Vernarbungen unterhalb ihrer ausgefransten Ärmel entlangfahrend, nahm die Teilzeit Barista die sich torkelnd nähernde Silhouette nicht wahr. Nicht eingestellt auf den plötzlich hervorschnellenden haarigen Herrenarm und den intensiv stechenden Alkoholatem, verkrampfte sich der gesamte Korpus der neunzehnjährige. Das deutliche Unbehagen der spärlich angeleuchteten Barista nicht ansatzweiße registrieren ergriff der angetrunkene Unbekannte mit seinen fettigen Fingern die eiskalte Hand des taupebraunhaarigen Mädchens. Einen erzwungenen Kuss auf Rins Handrücken pressend, säuselte der alkoholisierte Unbekannte: „Hey, Sexchy...du siescht umschwerfend in diesem Outfit ausch. Isch wette, du würdescht ohne noch bescher aus-auschehen..." Den Worten des Fremden keine Beachtung schenkend schien anscheinend nicht der gewünschten Reaktion zu entsprechen und so zerrte der unbekannte Kerl der neunzehnjährigen die schützenden Over-Ear-Kopfhörer vom Kopf, wobei er angefressen keifte: „Asch komm schon, warum willscht du denn nischt mit mir re-reden? I-isch masch dir doch nur ein Kompliment...Na komm, isch bin ein sehr netter Kerl, habe einen sehr groschen Schwanz. Wasch meinst du, bekomm isch also deine Nummer?" Bevor, die sich sichtlich unbehaglich fühlende, Rin ihm irgendetwas entgegenbringen konnte entnahm ein weiterer Herrenarm dem angeheiterten Fremden die schwarzen Kopfhörer und platzierten sie wieder über den Ohren des weiblichen Homra-Mitglieds. Sich zwischen die neunzehnjährige und den Trunkenbold drängend vermeldete eine Rin vertraut erscheinende männliche Stimme brüsk: „Ich würde sie bitten sich zurückzuziehen und die junge Dame nicht weiter zu belästigen. Sie sehen doch, dass sie ganz offensichtlich kein Interesse an einer weiteren Bekanntschaft hat." Sich verächtlich schnaubend abwendend zischte der notorische Trinker gedämpft: „Wie unfreundlisch. Isch hab ihr dosch nur ein Kompliment maschen wollen...Schau dosch ob du esch ihr besscher be-besorgen kannscht." Halblaut seufzend vergewisserte der dazu getretene Brillenträger sich, dass der torkelnde Unbekannte von den schrillen Beschilderungen der Straße verschluckt wurde, ehe er sich zu dem taupebraunhaarigen Mädchen herum drehte. Seine kräftigen, von den langen blauen Ärmeln verhüllten Arme verschränkend fragte der dunkelblauhaarige Brillenträger trocken: „Das ist kein sonderlich angemessener Ort für eine junge Frau, um allein herumzulungern, vor allem nicht nach Einbruch der Dämmerung. Denkst du nicht auch?...Also was machst du hier so vollkommen allein, Rin?" Ihre grauen Augen bei den Worten des Brillenträgers verdrehend erwiderte Angesprochene kühl, während sie sich eine frische Kippe an: „Entspann dich...Ich hatte alles unter Kontrolle und gerade du solltest wissen, dass ich durchaus in der Lage bin auf mich selbst achtzugeben, Scepter-4 Initiator Munakata Reisi...Falls du es unbedingt wissen musst, ich warte auf jemanden. Aber was suchst du viel eher ausgerechnet in diesem Stadtbezirk?" Ihr keine Rückmeldung gebend entnahm der angesprochene blaue König den schlanken Gliedern der Brünette die glimmende Zigarette und führte sie sich selbst an die Lippen, während er sich neben ihr an der kühle Backsteinmauer lehnte. Ihre Zunge empört schnalzend steckte Rin sich eine erneute Zigarette an und genehmigte sich einen kräftigen Zug, während ein Schleier der Stille und Behaglichkeit sich über die beiden legte.

Minuten verstrichen, Minuten, die sich in eine Dreiviertelstunde zogen, Minuten in denen Rin sich bereits etliche Male über den Verbleib der auf sich warten lassenden Person erkundigte. Die vierte aufgerauchte Kippe zu seinen Füßen zertretend brummte der blaue König seufzend: „Ich glaube nicht, dass die Person noch weiter auf sich warten lässt...Na komm, ich geleite dich zurück. Nicht dass dir auf dem Rückweg noch was zustößt und dein König es sich zur Aufgabe macht mich diesbezüglich aufzusuchen." Damit streifte er sich seinen langen blauen Mantel ab und legte ihn der Teilzeit Barista um, ehe er sich langsam ohne ein weiteres Wort in Bewegung setzte. Abermals ihr billiges gebraucht Smartphone hervorziehend, besah die Brünette die jüngst erhaltenen Benachrichtigungen auf ihrem dunkelgehaltenen aesthetic Sperrbildschirm. Und tatsächlich, neben den etlichen spamartigen Nachrichten Yatas und Kusanagis vereinzelten Anrufen, befand sich ebenfalls eine weitere, längst überfällige Benachrichtigung auf dem erleuchteten Display. Den dazugehörigen Chatroom anklickend überflog die Teilzeit Barista die knappe erhaltene Meldung.


👑 Drama Queen 👑:

Kann doch nicht (22:17 Uhr)

Muss noch lernen. (22:19 Uhr)

Wann anders vielleicht (22:27 Uhr)


Das Handy leise seufzend wieder zurück in ihre Hosentasche gleiten lassen und den seicht wehenden Mantel enger um ihre fröstelnde Statur ziehend, holte Rin schließlich zu dem watenden blauen König auf. Ohne die Brünette auf die gelesene Nachricht anzusprechen, platzierte der 24-jährige blaue König für einige Sekunden seine warme Hand auf den weichen taupebraunen Strähnen, ehe er seinen Weg mit der schweigsamen Rin im Schlepptau fortsetzte.


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