THIRTEEN

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Er liebte mich. Corbyn Besson, besser bekannt als der Game Master, liebte mich. Zumindest behauptete er das. Ich konnte mir nicht vorstellen, dass jemand, der gerade noch rücksichtslos Menschen getötet hatte, so etwas wie Liebe empfinden könnte.

Ich runzelte die Stirn und taumelte einige Schritte zurück. Das war einfach zu viel für mich. Ein Liebesgeständnis zwischen Leichen und leblosen Augen und Blut. Meine Augen suchten den Boden ab, ich versuchte die Puzzleteile in meinem Gehirn zusammenzusetzen. Es machte alles keinen Sinn.

Corbyn ging auf mich zu und hob mein Kinn an. Ich spürte seinen Blick auf mir, doch ich konnte ihm nicht in die Augen sehen. Mein Blick war noch immer fest auf den Boden gerichtet. Aus dem Augenwinkel sah ich, dass er seine linke Hand anhob und schnipste.

Mit einem Male verschwand das Blut, dass den Boden bedeckte. Stattdessen stand ich jetzt auf einer Wiese, wilde Blumen schmiegten sich an meine Beine. Sie dufteten wunderbar. Ich war barfuß, ich spürte den feuchten Rasen zwischen meinen Zehen. Wärme durchströmte meinen Körper und meine Nase kitzelte, so als würde die Sonne auf mich scheinen. Endlich sah ich auf.

Corbyn trug keine Zwangsjacke und sein Hals war nicht mehr von der klaffenden Wunde bedeckt. Er hatte ein lockeres, hellblaues Hemd an, welches genau dieselbe Farbe hatte wie seine Augen. Sein blondes Haar schimmerte golden im Sonnenlicht, seine Haut wirkte leicht gebräunt. Auf seinen Lippen war ein zartes Lächeln.

Ich war fasziniert von seiner Schönheit.

,,Wo sind wir hier?", murmelte ich und schaute mich um. In der Ferne konnte ich einen Wald erkennen, sonst gab es nur Gras und Blumen. Es war wunderschön.

,,Ich komme oft hier her, wenn mir alles zu viel wird. Dieser Ort beruhigt mich und hilft mir dabei, nicht komplett wahnsinnig zu werden", erwiderte er. ,,Gefällt es dir?"

Ich nickte. Es war so friedlich, dass ich alles Andere vergaß.

,,Marlee, es tut mir leid wenn ich dich gerade mit meinem Geständis überrumpelt habe. Aber es stimmt. Ich liebe dich."

Meine Knie wurden wackelig. Er sah so schön aus und seine Worte klangen so echt. Irgendetwas in mir wollte ihm glauben.

Dann küsste er mich. Seine Lippen waren voll und weich, sie bewegten sich sanft auf meinen. Ich erwiderte den Kuss, meine Hände wanderten beinahe automatisch auf seine Brust, er legte seine an meine Hüfte. Sein heißer Atem prickelte auf meiner Haut.

Wir schienen zu verschmelzen. Es gab nur ihn und mich. Und es fühlte sich richtig an.

Irgendwann lösten wir uns aus dem Kuss und sahen uns einfach nur in die Augen. Mein Herz schlug wie wild in meiner Brust und ich konnte nicht aufhören zu lächeln.

Corbyns Lächeln verzog sich zu einem Grinsen. Auf einmal löste sich die Welt, in der wir uns befanden, wieder auf. Dunkelheit umhüllte mich, die hohen Betonmauern engten mich ein, der metallische Geruch von Blut ließ mich würgen.

Corbyn steckte wieder in seiner Zwangsjacke, auf seinem Hals befand sich wieder seine klaffende Wunde. Seine Haut war gespenstisch blass, seine Haare verfilzt und in alle Richtungen abstehend. Er hatte keine Ähnlichkeit mehr mit dem Jungen, den ich gerade noch geküsst hatte.

In dieser Traumwelt, in der Corbyn ein normaler 19-jähriger Junge war, konnte ich seine Gefühle vielleicht erwidern. Doch das hier war die Realität. Corbyn musste inzwischen über 50 Jahre alt sein und hatte zahlreiche Menschenleben auf dem Gewissen. So jemanden könnte ich niemals lieben.

Tränen stiegen in meine Augen. Ich hasste es hier. Es war so kalt und still und verlassen, dass ich mich hier in keiner Sekunde wohlfühlen konnte. Außerdem bekam ich die Bilder von all den Getöteten nicht mehr aus meinem Kopf.

Diese Momente auf der Wiese haben mir gezeigt, dass es für mich einen anderen Weg gibt. Etwas Anderes als diese Heilanstalt.

Ich bin nicht tot. Ich bin nicht an diesen Ort gefesselt. Ich bin am Leben.

Ich dachte an mein Zuhause, an die Schule, an mein Lieblingscafé. All diese Dinge, die eigentlich einen so großen Teil in meinem Leben spielten. Ich wollte dieses Leben zurück.

,,Du musst mich gehen lassen, Corbyn", erklärte ich ihm stumpf.

Seine Augen weiteten sich und er legte den Kopf schief. Er sah verwirrt aus, er schien mich nicht zu verstehen. ,,Wieso? Ich sagte dir doch, dass ich dich liebe. Ich kann dich nicht gehen lassen.."

,,Wenn du das wirklich tust, dann musst du mich gehen lassen. Ich will mein Leben zurück."

,,Du kannst doch auch hier leben. Mit mir."

,,Machst du Witze? Du kannst mich nicht versorgen. Ich würde innerhalb weniger Tage verdursten, wenn ich hier bleiben würde. Außerdem muss ich wieder zur Schule u-.."

Der Andere unterbrach mich. Seine Stimme war sehr tief und kratzig, so als würde sie aus der hintersten Ecke hervorkommen. ,,Sie will uns verlassen."

Ich machte einige Schritte zurück und hob schützend die Hände. Ich hatte keine Ahnung, was gleich passieren würde, weswegen ich mich innerlich auf jedes Szenario vorbereitete.

Corbyn hielt sich seine Hände an den Kopf und schloss gequält die Augen. ,,Verschwinde!", forderte er ihn bedrohlich auf. ,,Du hast hier nichts verloren."

,,Marlee hat Angst vor uns, siehst du das etwa nicht? Sie liebt uns nicht und wird es auch niemals tun. Sie verabscheut uns. Sie will gehen, weil sie unsere Anwesenheit nicht länger ertragen kann!", keifte der Andere wütend.

Corbyn krümmte sich zusammen. Er schlug sich mit der Hand immer wieder gegen den Kopf, wahrscheinlich um den Anderen loszuwerden. Sie unterhielten sich jetzt in einer anderen Sprache, sie waren dabei mal leiser, mal lauter. Corbyns Gesichtsausdrücke wechselten schnell und spiegelten jegliche Emotionen wieder. Sie schrien sich gegenseitig an, so laut, dass ich mir die Ohren zuhalten musste.

Irgendwann kauerte Corbyn auf dem Boden. Er hatte seine Arme um sich geschlungen und seine Knie an die Brust gezogen. Sein Brustkorb hob und senkte sich, obwohl er wahrscheinlich nicht atmete.

,,Corbyn?", fragte ich zögerlich, als ich einige Schritte auf ihn zuging.

Mit einem Male stand er auf. Dann drehte er sich zu mir um, seine Augen pechschwarz und sein Grinsen bis zu den Augenwinkeln hochgezogen.

,,Corbyn existiert nicht mehr."

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Aloha :)

Ich melde mich mal wieder mit einem Kapitel. Im Moment schreibe ich an einer Weihnachtsgeschichte für eine Freundin, die bis zu einem gewissen Datum abgeschlossen sein muss. Deswegen konzentriere ich mich gerade auf diese Geschichte anstatt auf ASYLUM oder just a little bit of your heart.

QOTD: Was habt ihr zum Nikolaus bekommen? (Wenn ihr sowas nicht feiert: Was ist euer Lieblingsbuch?)

AOTD: Geld und Schokolade ❤🍫

Bis ganz bald, eure Anna :)

ASYLUM | corbyn bessonWo Geschichten leben. Entdecke jetzt