Kapitel 63

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über 1 Jahr später

In Gedanken an den Jungen vertieft, der es geschafft hatte mein Herz zu fangen, sah ich an die Decke. Die einzige Zeit, wo ich mir erlaubte so viel an ihn zu denken, war nachts. Meine Welt drehte sich selbst jetzt noch um ihn, wo ich ihn schon ein Jahr nicht mehr gesehen hatte. Meine Träume waren gefüllt von seinem Gesicht, seinen Händen und seinem sich langsam entfernenden Rücken. Gute, sexuelle und schlechte.

Wie er aus dem Raum gegangen war und ich begriff, dass es wirklich das Ende war. Namjoon hatte mir nie den Rücken zugekehrt, er war immer für mich da gewesen und hatte mich auf Händen getragen, sodass es unmöglich für mich gewesen war zu fallen, denn ich wurde schon längst von ihm gehalten.

Nur hatte es umso mehr weh getan, als ich gedacht hatte, dass ich nichts zu befürchten hätte. Nie hatte ich angezweifelt, dass er eines Tages nicht mehr neben mir sein könnte. Ich hatte ihn und all seine Gesten für selbstverständlich genommen und dabei hatte ich keine Sekunde lang einen Gedanken daran verschwendet, wie viel er für mich tat, wie viel er mir eigentlich bedeutete. Ich wusste nicht einmal, wann es geschehen war, wann ich angefangen hatte mich in seinen Armen so wohl zu fühlen. Wann hatte ich angefangen mich an ihn zu klammern? Wann war sein Griff um mich lockerer geworden?

Ich war immerzu davon überzeugt gewesen, dass ich jemanden Perfekten bekommen würde. Namjoon war der beste Freund, der immer für mich da war und der nie seine Aufmerksamkeit von mir nahm, mit dem ich spielen konnte, wie es mir beliebte. Es war schließlich nichts dabei, wir waren Freunde, wir standen uns einfach nur nahe und wir beide hatten immer gewusst, dass wir nie passen würden.

Wann hatte es angefangen mehr zu werden? Als dieser Knirps sich für ihn interessierte und sich an ihn rangemacht hatte? Ich war höllisch eifersüchtig gewesen. Namjoon gehörte mir! Niemand verdiente ihn. Aber er war immer noch nicht gut genug für mich gewesen. Wieso? Auf diese Frage wusste ich keine Antwort mehr. Ich war dumm gewesen. Gierig und oberflächlich. Ich hatte immer auf ihn herabgesehen. Auf meinen eigenen Freund. Aber jetzt wo er weg war? Ich bereute es so sehr.

Selbst als unsere Freundschaft Plus begann, hatte ich mir gesagt, es sei okay. Wir waren schließlich nicht richtig zusammen. Niemand wusste davon. Der perfekte Kim Seokjin mit seinem besten Freund und Begleiter Kim Namjoon, der nicht annähernd seinem Niveau entsprach. Namjoon hatte zu ein großes Herz, war zu nett, ein 'good boy', zu bodenständig, zu selbstlos, zu liebevoll, steckte zurück, wenn es sein musste. Er war nie mein Typ gewesen.

Doch immer öfter hatte ich begonnen mir vorzustellen wie es sein würde, wenn wir zusammen wären. Namjoon hatte meine Ansprüche und Vorstellungen gebrochen und sich in mein Herz geschlichen. Vielleicht lag es auch einfach nur daran, dass er mir meine Hochnäsigkeit und Eitelkeit aus dem Hirn gefickt hatte. Wenn wir miteinander geschlafen hatten, war es atemberaubend gewesen, wunderschön und sein Name hatte sich in mein Gedächtnis gebrannt. Er brach die Kontrolle, die ich über mich hatte, mit solch einer Leichtigkeit, es war beängstigend. Plötzlich wurde ich zu einem unsicheren, ängstlichen Jungen, der an sich selbst zweifelte, denn plötzlich fühlte sich Namjoon wie jemand an, der besser war als ich selbst, denn auf irgendeine Weise, aus irgendeinem unerklärlichen Grund hatte er die Kontrolle über mich erlangt. Mein Körper, mein Verstand, mein Herz. Wie?

Allmählich hatte ich es verstanden. Ich hatte mich in ihn verliebt, aber mein narzisstisches, wunderschönes Ich hatte es einfach nicht bemerkt. Schönheit kann auch behindern, hatte ich gelernt.

Selbst jetzt dachte ich noch an ihn. Ein Jahr später. Nach unserem Abschluss war Namjoon, wie er gesagt hatte, in die USA gegangen und hatte sich seitdem nicht mehr gemeldet. Dreimal hatte er mit uns am Anfang noch telefoniert. Suga war nach Daegu gegangen. Und ich? Wie geplant studierte ich Schauspiel an der Konkuk Universität in Seoul. Taehyung war nun seit neustem mein Mitbewohner, er hatte beschlossen das gleiche zu studieren wie ich. Mit seiner Anwesenheit dachte ich wenigstens nicht mehr so oft an Namjoon. Das war eine gute Sache...

...bis-

"Jin? Jin, ich hab gerade 'ne Mail von Yoongi bekommen! Er meint, Namjoon wäre herausgerutscht, dass er nach Seoul kommt." Sofort schoss ich aus dem Bett und sah ihn mit aufgerissen Augen an. "Ich- also- wir wollten dich nur... vorwarnen?" Tae klang plötzlich unsicher. Sie wussten nicht, was zwischen Namjoon und mir geschehen war. Eigentlich wussten wir kaum noch etwas voneinander. Selbst, dass Yoongi sich mal wieder meldete, war ein Wunder. Wahrscheinlich hatte er es nur getan um uns - oder besser gesagt mir - die Chance zu lassen, ob ich Namjoon wiedersehen wollte. Und ich wollte ihn wiedersehen, wie mein aufgeregt auf- und abspringendes Herz mir mitteilte.

"Wann?" Meine Stimme zitterte leicht. "Hat er schon einen Platz zum Bleiben?"

"Er wohnt wahrscheinlich während der Zeit hier bei seinen Eltern... deswegen ist er hier." Niedergeschlagen ließ ich mich wieder mit gesenktem Kopf aufs Bett fallen. Für seine Eltern. Er war nur wegen seinen Eltern hier. Ich bedeutete ihm schon lange nichts mehr. Hatte ich ihm je etwas bedeutet? War ich immer nur Sex für ihn gewesen? So wie ich ihn behandelt hatte, hatte ich es verdient.

"Er kommt also zu Besuch.", stellte ich erschöpft fest. "...Ich will ihn sehen." Die Sehnsucht in meiner Stimme war unüberhörbar.

Taehyung nickte verständnisvoll. "Dann werden wir ihm auch mal einen kleinen Besuch abstatten, wenn du willst. Du musst wirklich über ihn hinwegkommen." Ein mitfühlender Blick zog durch seine Augen. "Was für eine Ironie." Er ließ sich neben mir erschöpft aufs Bett fallen. "Genau das gleiche haben wir ihm auch jahrelang geraten." Ein nostalgisches Seufzen entfuhr ihm.

"Was meinst du?"

"Es steht mir nicht zu dir die ganze Geschichte zu erzählen. Er hat ziemlich darunter gelitten. Aber hat er dir nicht mal seine Gefühle gestanden? Wann war das nochmal... Vor sechs Jahren? Ich weiß es nicht mehr genau, aber er war am Boden zerstört."

Stirnrunzelnd versuchte ich mich zu erinnern. "Wirklich?"

"Ich liebe dich, Kim Seokjin. Bitte geh mit mir auf ein Date." 
"N-nein!" Entsetzt zog ich meine Hand aus seiner und sah ihn von oben herab an. "Ich mag dich nicht auf diese Weise, Namjoon! Du bist mein bester Freund und ich hab kein Problem damit, dass du Jungs magst ... a-aber bitte nicht mich." Ich verdiente hübschere Jungs als Namjoon! Namjoon war zwar mein bester freund, aber er war langweilig und schlaksig und sah nicht einmal gut aus. Er war ein Streber und ein netter Junge, aber niemand, den ich auf diese Weise mögen würde! Oh gott, was die anderen nur sagen würden, wenn ich ihn daten würde. Ich war hübscher als die meisten Mädchen an meiner Schule und dann Namjoon?

"W... wieso? Ich dachte, du magst auch-"

"Ich mag Jungs, aber nicht dich. Es tut mir wirklich leid, Namjoon! Mit dir ist nichts falsch, aber ich mag Ältere mit Muskeln, die zu meinem hübschen Aussehen passen. Du-du bist nur nicht mein Typ, tut mir leid! Ich-" -mag dich nicht im geringsten. Sorry...

Was sollte ich schon dagegen tun? Ein wenig tat er mir sogar leid.

"Schon gut, Jin." 

Er war wahrscheinlich nur genauso gebannt wie jeder andere auch von meinem Aussehen. Es war nichts überraschendes. Ich war besser als der Rest und kaum einer reichte an mein Niveau heran. Bei weitem nicht ungewöhnlich und keineswegs ernst zu nehmen. Er würde schon über meine kleine, harsche Zurückweisung hinwegkommen und jemand auf seinem Level finden.

Grausam.

Ich war grausam gewesen.

War das Karma?

Lachte sich das Schicksal gerade über mich schlapp, weil ich meiner einseitigen Liebe nachhing, die ich Jahre vorher gedankenlos zurückgewiesen hatte?

Oder hatte ich vielleicht noch eine Chance?

Wenn ich ich entschuldigen würde und meine Gefühle gestand, würden wir noch eine Chance haben?

"Gehen wir!"


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Ab jetzt ist Jin's POV, falls es noch nicht klar wurde ^^

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