Loslassen

Teil 1

Dass irgendetwas nicht stimmte, merkte sie im ersten Moment. Sie öffnete die Tür und schaute irrsinnigerweise erst nach rechts, um zu gucken, ob ihr Freund dort stand. Das war blöd von ihr, findet sie im Nachhinein. Es war eine Art witziger Running Gag zwischen den beiden gewesen. Seit als sie sich einmal verabredeten, sie ihren Freund total erschreckte, weil sie neben der Tür stand, aus der er stürmte, und als er sie erkannte, mussten die beiden lachen. Und danach standen die beiden oft, wenn sie sich wieder an einem Treffpunkt verabredeten, hinter einer Ecke, oder einem Mauervorsprung, nur um sich beim Erkennen lachend in die Arme zu fallen. Es war schön sich bei jedem der darauf folgende Begrüßungsküsse an den Tag zu erinnern, an dem er und sie aneinander vorbei rannten, in dem Eifer ihrer jungen Liebe, sich wieder zu sehen. Aber er stand nicht rechts von der Tür, sondern etwas abseits, vor hier. Allein das hätte verdächtig sein müssen. Aber sie ahnte nichts. Erst als sie ein paar Schritte auf ihn zu ging, um ihn willkommen zu heißen, wie sie es jedesmal tat, wenn sie sich sahen, und er zusammen zuckte, hatte sie so eine Idee. Die sich bestärkte, als das Händehalten nicht liebevoll von ihm kam, sondern pflichtbewusst. Sie redeten nicht wirklich. Sie führten Smalltalk, was sie ankotzte. Bescheid wusste sie sofort, nachdem er meinte, er müsse ihr was sagen. Und dann begannen sie zu schweigen, während jeder seinen Gedanken nach hing. Ihr Hirn dagegen sträubte, diesen Gedanken anzunehmen. Still schlenderten sie los. Er brach das Schweigen. "Das ist auf jeden Fall ein schöner Ort.". Dieses auf jeden Fall. Sie verfluchte es. Knapp eine Stunde später würde sie alles verfluchen. Ihn. Sich. Ihre Treffen. Ihr Verhalten. Das Shirt, was sie an diesem Tag trug. Die Tatsache, dass sie ihren allerersten Kuss von ihm hatte. Und auch die Bank, auf der sie saßen, als er Schluss machte.