»Hey, du wirst hier nicht für's Schlafen bezahlt«, schnauzte mein Chef Gábor Caspari mich erbost an.
Erschrocken drehte ich mich zu ihm um und ließ den Teller, den ich seit fünf Minuten trocknete, fallen. Scheppernd zerbrach er auf dem Laminat.
»Ähm, ich...ich räume das gleich weg«, stotterte ich schüchtern.
Verlegen kratzte ich mich mit der rechten Hand im Nacken. Eine Gewohnheit, die ich mir vor Jahren einmal angewöhnt hatte und nun fast dauernd tat, wenn ich in der Klemme steckte.
»Wenn du weiter so schlecht arbeitest und ständig mein Geschirr zerstörst, werde ich dich hochkant rausschmeißen«, rief mein Boss wütend, »Da kannst du mich dann noch so sehr anbetteln und mir was von deinen Geldsorgen erzählen, Jégkunyhó.«
Jégkunyhó, wie sehr ich diesen Spitznamen hasste. Es war eine Anspielung auf meine weißen Haare, die wegen eines unbekannten Gendefektes keine Farbpigmente entwickeln konnten. Kein Haarfärbemittel hielt, sogar Acrylfarbe perlte einfach ab. Früher in Ecuador hatte niemand ein Problem damit, aber seit ich mit meiner Familie nach Ungarn gezogen war, brachten sie mich ständig in Schwierigkeiten.
»Ja, Señor. Es wir nicht wieder vorkommen!«
Meine Stimme klang ängstlich und zitterte unsicher. Gábor grinste hämisch, trat von der Theke zurück und stieß dabei eine Flasche mit Zitronenlimonade um.
»Ups, das kannst du gleich mit wegwischen. Los, die nächsten Kunden kommen und wollen bedient werden! Und danach schaffst du noch den Müll raus. TEMPO!«
Mit raumgreifenden Schritten verließ er seine Arany Város-Bar in Richtung Büro, um sich dort auf die nächste Bürgermeisterwahl zu konzentrieren, die er unbedingt gewinnen wollte.
Schnell kehrte ich die Scherben auf, wischte den Limonadenfleck weg und hetzte zu dem Tisch der neuen Kunden.
»Hallo und Herzlich Willkommen in der Arany Város-Bar. Was kann ich für Sie tun?«, fragte ich die beiden jungen Frauen höflich.
»Erstmal könnten Sie wieder zu Atem kommen, sonst kippen Sie noch um«, grinste die eine mich an.
Ich musterte nur kurz ihre blau gefärbten Haare, die einen Kontrast zu ihren freundlichen, rostbraunen Augen und der blassen Haut darstellten.
»Und dann würden wir zwei Cappuccino nehmen«, fügte die andere lächelnd hinzu.
Ich nickte knapp, eilte zur Theke zurück und stellte die Kaffeemaschine an. Während diese ratternd ihre Arbeit verrichtete, schnappte ich mir die überfüllten Müllbeutel. Keuchend stieß ich die zerkratzte Hintertür auf und flitzte zu den großen Mülltonnen, die noch vom letzten Mal offen standen. Mit drei kräftigen Würfen landeten die Mülltüten in den stinkenden Behältern.
Als ich in die Bar zurückkam, piepste die Kaffeemaschine leise. Eine Kollegin von mir lud gerade die Kaffeetassen auf ein Tablett, das sie mir schließlich in die Hände drückte. Geschickt balancierte ich dieses zum Tisch der jungen Frauen, die sich gerade etwas an einem Laptop anhörten.
Geräuschlos stellte ich die Tassen auf dem Tisch ab, um die beiden nicht zu stören. Die Linkssitzende sah auf und bedeutete mir, sich neben sie zu setzen. Ich überlegte nur kurz, dann zeigte ich auf die Theke und schüttelte bedauernd den Kopf. Sie nickte verständnisvoll und wandte sich wieder dem Bildschirm zu.
Ich bekam nicht einmal mit, wann die beiden Frauen gingen, da meine Kollegin sie abkassierte.Je später es wurde, desto häufiger sah ich auf die Uhr. 18:32 Uhr....18:59 Uhr....19:16 Uhr....19:28 Uhr....dann war es endlich 19:45 Uhr. Ein polnischer Hilfsarbeiter übernahm heute meine Aufgaben und ich konnte endlich nach Hause gehen. Nachdem ich aus der Arany Város-Bar getreten war, bog ich nach rechts ab, um zu den Plattenbauten im Osten von Miskolc zu kommen.
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Arany Város - Einsam in der Goldstadt
General Fiction================== Gute Freunde sind wie Sterne: Man sieht sie nicht immer, aber man weiß, dass sie immer für einen da sind. ================== Der 19-jährige Sebastián vermisst seine Heimat Ecuador. Seit er mit seiner Familie vor 5 Jahren nach Misk...