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Ich stöpsle mir meine Kopfhörer ins Ohr und mache Musik an. An der Schule angekommen, steige ich in die Bahn um, die mich direkt nach Hause bringt. Ich setzte mich in einen Vierer in Fahrtrichtung und schaue aus dem Fenster. Da setzt sich plötzlich Tobias vor mich. Schnell ziehe ich mir einen Kopfhörer aus dem Ohr und stelle die Musik leiser. „Helloo" „Hi, na wie war der Vortrag" Tobias hat heute seine GFS in Physik gehalten. Wochenlang vorher hatte er damit angefangen und etliche Bücher aus der Bibliothek ausgeliehen, um sich „einzulesen". Ich bewunderte ihn für sein Engagement, sein Ziel war es immer gewesen, in Oxford zu studieren, und allein von seinen Noten her halte ich es nicht für ausgeschlossen, dass er das auch schafft. „Ja, war glaub ich schon okay. Ich konnte die Fragen alle beantworten."  „Na dann stehen deinen 15 Punkten ja nichts mehr im Weg oder nicht?" „Wir werden es sehen." Danach unterhalten wir uns noch über die bald bevorstehende Gemeinschaftskunde-Klausur. Den Kurs belegen wir zusammen, und unsere Lehrerin erwartet ziemlich viel. Für Tobias kein Problem, im Gegensatz zu mir. Deswegen haben wir uns fürs Wochenende zum Lernen verabredet. Aber generell kann man mit Tobias auch super einfach bloß Quatsch machen. Er ist echt witzig, auch wenn man das, wenn man ihn kennen lernt gar nicht vermuten würde. Ich mag ihn sehr gerne. „Und gibt es was Neues bei dir?"fragt er mich. „Nicht wirklich, mein Bruder ist letzte Woche ausgezogen." „Nach Berlin ist er gegangen oder?" „Yep, genau" „Was will Peter nochmal studieren?"„Geschichte und Latein auf Lehramt, mal sehen ob das klappt. Mein Vater meinte, wenn er das so realisieren möchte muss er mehr investieren als bei seinem Abi. Aber ich glaub an ihn, dass schafft er schon. Vielleicht muss er auch nur mal auf die Schnauze fallen, bevor er so richtig durchstarten kann." „Das hoffe ich für ihn" „Ja, er hat sich ziemlich heftig mit Papa gestritten, aber das ist ja nichts wirklich Neues." Ich zucke mit den Schultern. Darüber haben Tobias und ich echt schon oft geredet. Mein Bruder liegt quasi im Dauerstreit mit meinem Vater, ständig regt sich Papa über ihn auf, weil er sich anscheinend zu sehr gehen lässt und mal etwas mehr Ehrgeiz an den Tag legen sollte. Zum Teil versteh ich, was er meint, trotzdem steh ich da eher auf Peters Seite, das ist bei uns einfach so ein Geschwisterding glaub ich. Wir gegen Eltern, das war auch früher schon so. Ich bin wirklich glücklich, Geschwister zu haben, sie haben mir aus schon echt vielen Lagen geholfen und wir sind wirklich immer füreinander da. Umso merkwürdiger, dass ich plötzlich allein mit meinen Eltern zuhause wohne. Denn meine Schwester Mia ist auch schon seit einem halben Jahr aus dem Haus. Sie studiert in Heidelberg Medizin. Und wie man sich bei der Information schon denken kann, ja, sie war sehr gut in der Schule und ist mit nem Schnitt von 1.0 runtergekommen. Peter und ich haben sie anfangs wirklich ziemlich vermisst,aber da Heidelberg nicht unendlich weit weg ist, haben wir sie wenigstens an den Wochenenden gesehen. Berlin ist da nochmal eine ganz andere Nummer. Ich habe im Moment nur so viel anderes zu tun, weshalb ich sowieso nicht mehr solange zuhause bin, aber ich kann mir schon vorstellen, dass es in den Ferien schlimm wird. Das Haus kommt mir jetzt schon so leer vor. „Hey Jean bist du noch da?" Tobias schnipst vor meinem Gesicht. „Was? Ach so ja klar, war nur in Gedanken." „Lass es dir nicht so ans Herz gehen, ihr seid so ein eingespieltes Team ihr drei, das bekommt ihr schon hin" Er hat mal wieder voll ins Schwarze getroffen mit seiner Aussage. „Ich versuchs ja, ist bloß nicht so einfach." Er lächelt mich aufmunternd an. Wir sind mittlerweile an seiner Haltestelle angekommen. Wir verabschieden uns, er steht auf, schultert seine Tasche und steigt schließlich aus.

Ich stecke mir wieder den zweiten Kopfhörer ins Ohr und lasse den heutigen Tag Revue passieren. Was das mit Flin ist, verstehe ich selbst nicht wirklich, in ihrer Nähe fühl ich mich irgendwie anders. Und ich habe Probleme sie bei den einfachsten Dingen anzusprechen, und wenn es nur etwas Schulisches betrifft. Bei sowas bin ich normalerweise ziemlich offen. Das ist bei mir echt komisch, vielleicht bin ich ein Freak, aber sobald ich über jemanden länger nachgedacht habe oder die Person einfach bloß interessant finde, ist da wie so ne Blockade in meinem Kopf. So nach dem Motto „Pass jetzt bloß auf was du sagst, es spiegelt deine komplette Persönlichkeit wieder." Ich weiß ja eigentlich, dass da Quatsch ist und ich bin auch ein geselliger Mensch und komm mit den Meisten klar, deswegen kann ich mir das selbst nicht so recht erklären. Aber es bringt ja nichts. Nach einigen Minuten bin ich an meiner Haltestelle angekommen, ich lebe in einem Vorort, eigentlich n gutes Mittelding. Wir haben ne super Infrastruktur aber auch Wald-nähe. Perfekt für jemanden wie mich. Ich atme einmal auf, als ich aus der Bahn trete. Ein Blick auf die Uhr verrät mir, dass wir mittlerweile 16:15 Uhr haben. Ich schlendere zu mir nach Hause. Ich habs nicht wirklich eilig.

Als ich schließlich zuhause angekommen bin, schließe ich die Tür auf. „Hallooo" schreie ich einmal, bevor ich die Treppe nach oben gehe, meine Tasche neben den Schreibtischstuhl schmeiße und mich auf besagten pflanze. „Hey Schatz, na wie war dein Tag, gibt's was Neues, hast du eine Klausur zurück bekommen?" meine Mutter kommt in mein Zimmer und gibt mir einen Kuss auf die Wange. „Nicht wirklich und Nein. Bei dir? Musstest du dich wieder über diesen Jörg aufregen?" Jörg ist ein Kollege meiner Mutter, den sie absolut nicht leiden kann. Sie ist Ärztin und dieser Typ wäre wohl am besten mit arrogantes Arschloch zu beschreiben. „Zum Glück nicht, er hat Gott sei Dank gerade Urlaub." Ich grinse „Wo ist Papa?" Er ist noch in der Schule, du weißt ja, er hat im Moment viel um die Ohren." Oh ja, das weiß ich. Mein Vater ist Schulleiter eines Gymnasiums, allerdings erst seit diesem Jahr. Zuvor war er einfach nur Chemie und Sportlehrer auf einer anderen Schule. Auch er ist, seit er den neuen Posten hat, oft nicht da und ziemlich gestresst. „Wie auch immer, ich muss noch Tante Lisa anrufen, wir sehen uns später noch mal." Sie geht wieder raus und ich wende mich meinem Schreibtisch zu. Ich mache mir eine To-Do Liste mit den Dingen, die ich heute noch erledigen möchte und starte dann mit meinen Hausaufgaben. Nachdem ich mich endlich durch die Matheaufgaben gequält habe übe ich eine Stunde Gitarre. Das entspannt mich immer. Ich spiele Gitarre jetzt schon so circa 8 Jahre und es ist wirklich meine Leidenschaft. Mein Kopf ist dabei immer völlig ruhig, es ist fast wie meditieren für mich. Ab und zu mag ich es, dazu zu singen und gerade studiere ich „Leiser" von Lea ein. Den Song liebe ich momentan. Als ich gerade zum Chorus komme klingelt mein Handy. Ich blicke aufs Display. Es ist Manu, einer meiner besten Freunde. „Hallöchen" melde ich mich. „Heyyy, was geht gurl" „Nicht viel, wo bist du, was machst du?" Manu verbringt das Jahr im Ausland, er macht einen Schüleraustausch in Kanada. „Vor deinem Haus." „Funny wie immer" Er lacht auf. „Komm schon runter!" „Du verarschst mich doch" „Find's heraus" „Wenn ich mich jetzt wegen dir vor mir selbst blamiere hasse ich dich". Doch von einer spontanen Neugier gepackt stehe ich auf und laufe runter. Als ich unsere Haustür öffne kann ich nicht glauben was ich sehe.

Flin x JeanWhere stories live. Discover now