Kapitel 1

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“Aah!" Mein Schrei zerriss abrupt die Stille der Nacht. Ich saß im Bett, die Dunkelheit verbarg jegliche Konturen vor mir. Auch wenn ich die vertraute Bettwärme spürte, wurde mir kalt bis auf die Knochen. Ein Schauder durchfuhr mich und ließ jeden einzelnen Muskel meines Körpers zusammenzucken. Hastig griff ich nach meiner Decke und schlang sie um mich, doch ich spürte sie kaum, genauso wenig wie das weiche Laken unter mir. Ich schaute mich nochmals um, aber ich konnte nichts ausmachen, nicht einmal die eigene Hand vor Augen wäre durch die Dunkelheit der Nacht gedrungen.
   Doch da... Dort, wo mein Schrank stand und seitlich eine Lücke zur Wand bildete, da war etwas. Als ich es fixierte verschwand es auch schon wieder, nur ein rötlicher Schleier blieb, von wo aus es mich beobachtete.
   "Ich habe keine Angst vor Monstern", sagte ich mir und richtete mich auf. Trotzdem konnte ich die Träne nicht zurückhalten, die mir über die Wange kullerte. "Die können mir nichts tun."
   Die alte Treppe knarzte laut, Schritte waren zu hören und nur wenige Augenblicke später flutete Licht mein Zimmer. "Ist alles in Ordnung, meine Kleine?"
   "Ja, Mommy", antwortete ich und kniff die Augen zusammen, um sie gegen das Licht zu schützen. Letztendlich schirmte ich das Licht noch mit meinen Händen über den Augen ab.
   "Hattest du schon wieder einen Albtraum?", fragte sie fürsorglich, ich konnte kaum ihren besorgten Gesichtsausdruck erkennen. Ich nickte zur Bestätigung und riskierte einen vorsichtigen Blick in die Ecke neben dem Schrank, aber wie erwartet lugten nur meine langen, hölzernen Stelzen dahinter hervor. Daddy hatte sie mir letzten Sommer gebaut und ich hatte viele Stunden damit verbracht, auf ihnen laufen zu lernen.
   Mommy kam auf mich zu und setzte sich auf mein Bett. Vorsichtig griff sie nach meiner Hand und sagte: "Wollen wir kurz in die Küche gehen und reden?" Wieder nickte ich, ich wusste, wie es lief. "Na dann, komm mit." Sie griff nach meiner Hand und umschloss sie fest und doch so sanft mit ihrer. Wir standen auf und wandten uns zur Tür, mit einem liebevollen Lächeln sah sie mich von oben herab an. Jedes Mal wenn ich neben ihr stand, bewunderte ich sie für ihr Größe. Ob ich jemals so groß werden würde wie sie?
   Sie führte mich in die Küche und hob mich auf den Stuhl, der so hoch war, dass ich sonst immer hochspringen muss. Mommy öffnete den Kühlschrank und eine kühle Brise ließ mich schaudern. Sie füllte zwei Gläser mit Wasser, stellte eines davon vor mich und setzte sich auf den Stuhl neben meinem. "Also wieder ein Albtraum?", fragte sie ohne wirklich eine Antwort zu erwarten.
   "Ja."
   "Ist es denn wie der, den du schon öfter hattest?" Sie lächelte, aber ich spürte, dass sie sich Sorgen um mich machte. Mein Herz wurde schwer, aber ich wollte sie nicht zu sehr belasten, deshalb versuchte ich zu lächeln und hielt die Tränen zurück, die die Erinnerung an den Traum in mir hervorriefen.
   "Es ist alles gut, Mommy. Ich habe mich schon fast daran gewöhnt", entgegnete ich tapfer.
   "Aber so sollte es nicht sein", gab sie zu bedenken.
   "Das sind alles nur Träume, auch wenn sie gruselig sind. Es gibt aber keine Monster, deswegen brauche ich auch keine Angst zu haben." Ich sagte das zwar, wusste nur nicht, ob ich es auch wirklich so meinte.
   "Trotzdem bist du zu jung, um von bösen Monstern zu träumen." Zaghaft streichelte sie meine Wange. "Meine Kleine." Das war ihr Spitzname für mich, sie nannte mich ständig so. Wieso man Menschen Namen gibt und sie doch anders nennt, wusste ich allerdings nicht. Jedenfalls wusste ich zumindest, woher der Spitzname kam, ich musste mich einfach nur ansehen. Ich bin ziemlich klein, und ich glaube, deshalb will sie mich immer beschützen.
   "Mommy, ich bin schon sechs", erwiderte ich streng, konnte mir ein Kichern aber nicht verkneifen.
   "Das weiß ich doch." Ein Moment der Stille trat ein, bevor sie weitersprach. "Erzähl mir von deinem Traum, mein großes, unerschrockenes Mädchen." Sie nahm wieder meine Hand, umschloss sie warm mit ihren und legte sie dann auf den Tisch.
   "Es ist genau das gleiche wie jedes Mal, du weißt das doch schon. Diese schwarzen Schatten waren da und haben mich verfolgt. Dann bin ich aufgewacht."
   "Und sonst war da nichts?"
   "Nein."
   "Wirklich?"
   "Nein, das habe ich dir eben gesagt."
   Nachdenklich blickte sie mich an. "Also nur die Schatten, die dich verfolgten?"
   "Genau so war es." Mit der freien Hand griff ich nach dem Glas und trank die Hälfte aus.
   "Hast du irgendetwas von der Umgebung gesehen? Oder etwas genaueres zu den Schatten?"
   Ich seufzte. "Es war alles so nebelig dunkel, und die Schatten waren halt schwarz. Mehr weiß ich nicht."
   "Ist gut, meine Kleine. Aber du weißt ja..."
   "... Monster gibt es gar nicht", beendete ich ihren Satz. Das brachte sie zum schmunzeln.
   "Genau so. Und jetzt, trinke dein Wasser aus und dann geh wieder ins Bett." Ich nickte eifrig, schluckte den Rest des Wassers, Mommy tat das auch und wir gingen wieder hinauf zu meinem Zimmer. Die Treppe knarzte laut.
   "Ist alles in Ordnung bei euch?" Daddy saß auf der obersten Treppenstufe und sah uns verschlafen an. Ich nickte schnell, bevor er weiter fragen konnte.
   "Komm", sagte Mommy und begleitete mich in mein Zimmer. Vorsichtig wickelte sie mich in meine Bettdecke ein, nachdem sie mein Kissen aufschüttelte. Dann gab sie mir noch einen Kuss auf die Stirn. "Es gibt nichts, dass dir hier etwas anhaben kann, Charlotte. Schlaf schön."
   "Gute Nacht, Mommy." Daraufhin verließ sie mein Zimmer und schloss leise die Tür. Ich nahm meinen Teddybären fest in den Arm.
   Doch ans Einschlafen war nicht zu denken, ich lag hellwach im Bett und starrte an die Decke.
   "... ist nicht gut für sie", vernahm ich Mommys Stimme aus dem Flur. Sie hörte sich besorgt an.
   "Sie schafft das schon", antwortete Daddy. "Sie ist alt genug und sie weiß, dass es keine Monster gibt."
   "Trotzdem, sie ist erst sechs." Ihr Ton wurde ernster.
   "Sie ist schon sechs, mein Schatz. Ich bin mir sicher, dass sie damit weniger Probleme hat, als wir denken. Lass sie einfach mal machen."
   "Da bin ich mir nicht so sicher. Sie träumt das zu oft. Woher hat sie das?"
   "Was siehst du mich da so an?" Ich konnte mir Mommys vorwurfsvollen Gesichtsausdruck gut vorstellen. "Denkst du, ich hätte was damit zu tun?"
   "Hat sie vielleicht mal was gesehen, was sie nicht hätte sehen sollen? Einen Film oder etwas von einer Serie?"
   "Nein, natürlich nicht!", gab Daddy empört zurück.
   "Tut mir leid", sagte Mommy dann besänftigt. "Das ist es bestimmt nicht. Aber ich mache mir Sorgen um sie, verstehst du?"
   "Ich weiß." Einen Augenblick blieb es still. "Ich glaube, wir sollten auch noch ein bisschen schlafen, findest du nicht?"
   "Ja", antwortete sie fast unhörbar. Danach hörte ich die Schlafzimmertür zugehen und die Stimmen verstummten.
   Es war wieder komplett schwarz in meinem Zimmer, die Dunkelheit ließ nicht einmal erahnen, dass Licht überhaupt existiert. Ich zog die Decke bis fast über den Kopf, doch irgendetwas stimmte nicht, nur fiel mir erst nicht ein, was es war. Aber dann, fast schon von selbst, richtete ich mich auf und schaute mich um. Mein Blick wanderte dorthin, wo mein Schrank stand und eine Lücke zur Wand bildete. Ich wusste nicht genau, was es war, aber ich bekam eine Gänsehaut, die mir von den Füßen bis in den Nacken kroch. Langsam beugte ich mich vor und versuchte etwas zu erahnen, aber ich sah nichts. Natürlich sah ich nichts, es war stockdunkel. Ich wendete meinen Blick ab und legte mich wieder hin, zog meine Decke hoch. Als ich meine Augen schloss schien es fast, als würde etwas in meinen Gedanken noch rötlich nachglühen, aber ich schlief beinahe sofort wieder ein, bevor ich noch weiter darüber nachdenken konnte.
   Es sind nur Träume, diese Monster gibt es nicht.

NightmareWo Geschichten leben. Entdecke jetzt