-01- Eclipse

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„Denk daran: Immer bei mir bleiben!"

Chandler legt einen Arm um meine Schultern und zieht mich durch die zappelnde Menschenmenge. Ich rieche Schweiß, Parfüm und den penetranten Geruch des Nebelscheinwerfers. Es ist ziemlich dunkel im Club. Dunkler als es in einer Diskothek üblich ist. Nur hin und wieder blitzt es mal auf und ich kann einen Blick auf die Leute erhaschen.

Man könnte meinen, dass dies ein Club wie jeder andere ist.

Die Musik dröhnt so laut, dass man sich kaum unterhalten kann. Torkelnde Menschen schleppen sich zur Bar, um sich noch zwei weitere Tequila zu bestellen. Die Tanzfläche ist gefüllt mit Leuten, die nicht tanzen können und überall spürt man die Blicke der anderen – fragende, gierige, lüsterne oder feindliche Blicke. Auch, wenn ich nicht viel sehen kann: Die Blicke bemerke ich sofort.

Ich weiß, dass die meisten der Partygäste kein Licht brauchen, um sich in diesem dunklen Club zu orientieren. Ihr Sehvermögen ist besser als das einer Nachtsichtkamera. Aber ich gehöre zu der Minderheit. Ich gehöre zu den Normalsterblichen.

„Wohin gehen wir?", frage ich Chandler.

„Zur Bar. Wohin sonst?", erwidert er belustigt.

Er zieht mich am Rand der Tanzfläche entlang, aber trotzdem werde ich hin und wieder von jemanden angerempelt. Als ich ausversehen auf den Fuß einer großen, schlanken Frau trete, wirbelt diese zu mir herum und stößt ein Zischen aus. Es zuckt ein Lichtblitz aus dem Stroboskop, so dass ich das blasse Gesicht der Frau erkenne. Sie ist schön und anmutig. Aber sie wirkt sehr verärgert. Ihre hellen Augen sind zu schmalen Schlitzen verengt. Im nächsten Moment beugt sie sich zu mir runter und zeigt mir ihre weißen, aber gefährlich spitzen Schneidezähne.

Erschrocken weiche ich zurück und sofort stellt sich Chandler schützend vor mich. Ich weiß, dass er und die Frau sich ein giftiges Blickduell liefern, denn ich kann die Anspannung fühlen. Keiner der beiden sagt etwas und ich spüre mein wildklopfendes Herz in meiner Brust. Wahrscheinlich kann jeder es in diesem Raum hören – obwohl die Electro-Musik so fürchterlich laut ist.

Die Leute um uns herum hören auf zu tanzen und werfen Chandler und der Frau aufmerksame Blicke zu. Jeder weiß, dass es in diesem Club strengstens verboten ist einen Kampf zu starten oder gar Blut zu vergießen. Wer diese oberste Regel bricht, darf sich auf lebenslangen Hausverbot freuen – oder gar mit einem gemeinen Fluch rechnen.

Nach sekundenlangem Anstarren wendet sich die Frau schließlich mit einem Zischen von Chandler ab und tanzt weiter, als wäre nie etwas geschehen. Auch die umliegenden Partygäste drehen sich weg.

Chandler stößt die Luft aus und nimmt mich schließlich am Handgelenk, um mich schnell weiterzuziehen.

„Genau deswegen vermeide ich eigentlich diesen Teil des Clubs!", ruft mir Chandler über die laute Musik entgegen. Sein Schritt ist nun energischer geworden. „Diese hässlichen Blutsauger sorgen dafür, dass sich meine Nackenhaare aufstellen."

Unweigerlich muss ich schmunzeln.

Wir erreichen die Bar und Chandler bestellt sofort zwei Bier. Ich mag zwar kein Bier, aber wenn Chandler mir schon etwas ausgibt, dann sage ich auch nicht Nein.

„Du hast mir aber versprochen, dass ich mitkommen darf", erinnere ich ihn und lehne mich an die Theke. Ich schaue in seine Richtung, kann aber nicht genau erkennen, ob er mich anschaut oder nicht. Dafür ist es zu dunkel.

„Und ich habe mein Versprechen eingehalten", erwidert er. Er drückt mir ein Glas in die Hand. Im nächsten Moment stößt er mit seinem Bierglas gegen meines. „Auf deinen ersten Besuch im Eclipse!"

GejagtWhere stories live. Discover now