Ich habe das Gefühl, dass mein Bauch immer noch voll ist vom ganzen Essen an Thanksgiving. Die Familie Hellington – bestehend aus Natan, seiner Schwester, Vater Wyren und Mutter Judith – hat meinen Vater und mich gestern zum Essen zu sich nach Hause eingeladen. Ich war schon lange nicht mehr bei Natan Zuhause gewesen und es war ein komisches Gefühl.
Aber ich mag Natans Eltern. Wyren sehe ich sowieso oft, da er auch im Rudel meines Vaters ist. Er ist eine ruhige Person und für einen Wolf relativ ausgeglichen. Judith ist dagegen ein lauter Sonnenschein und es ist deutlich, woher Natan seinen Drang zum Reden und den Optimismus herhat.
Nach dem Essen sind Natan und ich noch auf sein Zimmer gegangen. Er hat mir erzählt, dass er meinem Vater bisher noch nichts von meinem kleinen Gefühlstief gesagt hat. Erst wenn mein Vater ihn explizit fragen würde, wäre Natan aufgrund der Alphaverbundenheit gezwungen, die Wahrheit zu sagen. Danach haben wir noch ein wenig mit seiner PlayStation gespielt und für einen Moment hat sich alles wie früher angefühlt.
Doch die Tatsache, dass ich gerade im Bus sitze, um nach Salem zum Club Eclipse zu fahren, verrät mir, dass nichts mehr wie früher ist. Nervös kaue ich auf meinen Fingernägeln rum und werfe immer wieder ein Blick auf mein Handy.
Durch den Black Friday ist es sehr voll im Bus. Ich quetsche mich ans Fenster, um so viel Abstand wie möglich zu der Frau neben mir zu haben, die gar nicht weiß, wohin mit ihren ganzen Einkaufstüten.
Es ist mittlerweile dunkel draußen und ein Blick auf den Mond verrät mir, dass er in wenigen Stunden im Zenit stehen wird. Es hat mich ganz schön viel Arbeit gekostet, meinen Vater zu überreden, dass ich mich alleine mit einem Jungen zum „Billardspielen" treffen darf. Schließlich hat er mit sehr schwerem Herzen nachgegeben unter der Bedingung, dass ich ihm jede halbe Stunde schreibe und vor Mitternacht Zuhause bin.
Von Pacoha Bay bis nach Salem dauert es circa eine Stunde. Als ich schließlich mit einem großen Schwarm an Menschen aussteige, begrüßt mich die kühle Luft und ich ziehe die Jacke enger an mich. Mit Oliver habe ich ausgemacht, dass wir uns an der Bushaltestation treffen, um dann zusammen zum Club zu gehen.
Ich lasse suchend den Blick schweifen und treffe schließlich im Schatten des Laternenlichts auf zwei braune Augen, die mich anschauen. Oliver hat seine Kapuze über den Kopf gestülpt, aber das dunkle Haar hängt ihm zerzaust in der Stirn.
Nur zögernd tritt er aus dem Schatten und ich komme ihm entgegen.
„Hi", begrüße ich ihn mit einem etwas gezwungen Lächeln.
„Hey", gibt er ebenso seltsam zurück.
Wir schauen uns unschlüssig an.
„Also...", beginnt Oliver und räuspert sich. „Wir gehen in einen Club, wo es nur so vor Hexen, Wölfen und Vampiren wimmelt. Dieser Club gehört einem Hexenmeister, welcher ironischerweise genau in der Stadt den Club eröffnet hat, die für ihre Hexenprozesse bekannt ist. Er muss einen tollen Humor haben."
Ich lächele schief. „Genauso ist es."
„Klingt nach Spaß."
Wir machen uns auf den Weg zum Eclipse, welches circa eine halbe Meile entfernt liegt und ich beschließe, Oliver zu verraten, weshalb ich dorthin will. Ich habe sowieso nicht wirklich viel mit ihm zu tun und vielleicht ist es ganz gut, sich auch mal die Meinung eines mehr oder weniger Außenstehenden anzuhören. Ich bin mir sowieso nicht ganz sicher, wie viele Details Roxy ihm genannt hat.
„Warum glaubst du, dass sich die Hexe geirrt hat?", fragt er schließlich, als ich ihm von meinem Clubbesuch letzter Woche erzählt habe.
„Weil sie noch jung ist. Sie hat das Ganze bestimmt falsch interpretiert", erwidere ich und vergrabe meine Hände tiefer in den Jackentaschen. „Es ist einfach unmöglich, dass ich mich in einen Wolf verwandle."
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Gejagt
FantasyIhr ganzes Leben lang hat Aria geglaubt, sie wäre eine Normaltsterbliche - bis ihr eines Tages eine Hexe offenbart, dass sie das Werwolfsgen besitzt. In einer Zeit, in welcher Wölfinnen nur noch eine Rarität sind, findet sich Aria plötzlich in einem...