- Die erste Sprechstunde -

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Die Türen öffneten sich mit einem Quietschen und eine ältere Frau die sich die Nägel lackierte saß am Empfang.
Was zur Hölle ist das? Die ist doch schon mindestens 170...

Dachte ich und lächelte kurz. Kurz sah sie mich an und blickte dann auf meine Arme, die von den Ärmeln meines Pullovers verdeckt wurden.
"Du bist also die Neue, heh? Nun gut. Deine Zimmer Nummer ist 65, deine Sachen sind schon da. Aber bevor du dahin darfst, hast du deine erste Sprechstunde im Zimmer 12."

Ihre Stimme war kratzig und ich merkte wie genervt sie war. Ich zog meine Ärmel noch etwas weiter runter und blickte mich um. Die Psychatrie war so aufgebaut wie ein Krankenhaus, alles war so schlicht, grau und sauber. An dem großen Raum, in dem ich stand,  glänzten verschiedene Gänge. Langsam ging ich zur ersten Tür und las das Schild: Zimmer 1-15. Hier musste ich hin. In einem hohen Tempo lief ich die Türen ab bis ich endlich zu Zimmer 13 gelang. Vorsichtig klopfte ich und kurz danach hörte ich eine Stimme.
"Kommen sie herein."

Kurz pustete ich mir noch eine Strähne von meinen roten Haaren, aus dem Gesicht und betrat dann das Zimmer. Es sah aus wie ein Krankenzimmer beim Doktor. An der Wand stand eine Liege, in der Mitte des Raumes der Schreibtisch mit zwei Stühlen und natürlich dem Psychiater. Er sah mich an und ich erkannte das er nicht wirklich älter war als ich, höchstens 26. Er hatte schwarze kurze Haare, dunkel braune Augen und trug einen schwarzen Anzug mit einer roten Krawatte. Irgendwie passte der Anzug nicht zu ihm.
"Setzen Sie sich doch bitte."

Ich setzte mich auf einen der vorderen Sessel und ging mir mit der Hand durch die Haare.
"Darf ich Sie mit Du ansprechen? Frau Spectracum."

Mein Nachname hörte sich bei jedem, der ihn sagte merkwürdig an, aber das war er ja auch, merkwürdig.
"Ich bin Lucie, Frau Spectracum hört sich schrecklich an. Natürlich dürfen sie mich duzen."

Ich kannte seinen Namen garnicht.
"Nun gut. Lucie... wieso bist du hier? Ich will das du mir einfach eine kurze Zusammenfassung erzählst, über die Details reden wir später..."

Sollte ich ihm jetzt alles erzählen? Einfach so? Tief atmete ich ein und dachte nach.
Ich kann einem Fremden Mann, den ich seid 10 Minuten kenne, doch keine Kurzfassung von meinen Problemen erzählen... obwohl... Ich hab alles verloren... Schlimmer kann es nicht werden... also... Es kann ja nicht schaden.

"Ich bin jetzt 19 Jahre alt... Vor 8 Jahren fing alles an.
Als ich 11 war, vergewaltigte mich mein Vater das erste mal
In meinem 13 Lebensjahr begang meine Mutter Selbstmord
In meiner Klasse wurde ich gemobbt
Mit 14 fing ich an zu rauchen
Mit 15 fing ich an zu trinken
Mit 16 fand ich meine große Liebe, die mich verarschte und mir das Herz brach
Kurz danach fing ich an mich zu ritzen
Mit 17 hatte ich meinen ersten Selbstmordversuch
Heute fand mich die Polizei in meiner Wohnung am ausbluten.
Jetzt sitze ich hier und muss mit ihnen über meine Probleme reden."

Er sah mich an und lächelte mir zu. Sein Lächeln heiterte mich auf und ich musste auf lächeln.
"Du bist sehr stark Lucie, weisst du das? Es ist gut das du hier bist, ich glaube wir werden uns sehr gut verstehen. Ich bin Florian Mundt."

Aufeinmal wirkte er für mich nicht mehr wie mein Psychiater sondern wie ein Kumpel. Ja, wie Freund. So eine Reaktion, wie die von ihm hatte ich vorher noch nie gesehen.  Als mir auffiel das ich ihm grade alles erzählt hatte kamen mir Tränen hoch, die ich nur knapp zurück halten konnte. Ich war glücklich das ich endlich vor jemanden alles zugeben konnte.
"Aber bevor wir die erste Sprechstunde beenden... Will ich noch deine Arme sehen. Es ist nicht grundlos das du einen Pullover trägst."
Verdammt! War ja klar das, dass kommt...

Ich stand auf und stellte mich mit dem Rücken zu ihm. Schnell zog ich mir den Pullover aus und zog mein weißes Top darunter richtig hin.
"Ich- ich hab sie verdient..."

Flüsterte ich und ballte die Hände zu Fäusten. Jetzt konnte ich die Tränen nicht mehr zurück halten. Ich begutachtete meine Narben, an meinen Untertarmen. Sie waren hässlich. Einige von ihnen waren noch frisch und hatten erst eine leichte Krüste gebildet, während andere nur noch als Narbe zusehen waren. Ich fing an zu schluchzen und fiel auf die Knie. Es kam alles aus mir raus. Laut schlug ich die Fäuste auf den Boden, als ich bemerkte wie die Tränen mir die Wangen hinunterliefen.
"Ich bin nicht stark... Ich schaff es ja noch nicht mal mich umzubringen." Hauchte ich gefühlslos und atmete tief ein.

Plötzlich spürte ich einen warmen Atmen auf Schulter und sofort drehte ich meinen Kopf nach rechts.
"Lucie... Das ist schrecklich."

Florian starrte entsetzt auf meine Arme und ging dann um mich herum, kniete sich vor mich und sah mir direkt in die Augen. "Ich werde sofort Bescheid sagen, das du jetzt meine Patientin wirst, Lucie. Ich kümmere mich um dich... Auch wenn das für mich eine schwere Aufgabe wird."

Er schluckte und sah wieder auf meine tiefen Wunden.
Ich bin bestimmt die erste mit so tiefen Narben, die er sieht.

Ich wischte mir die Tränen weg und währenddessen nahm er meine beiden Arme vorsichtig und strich über die Rillen.
"Verdammt. Lucie. Wir kriegen das wieder hin, okay?"

Unsicher nickte ich und stand wieder auf, zog meinen Pulli an und ging zur Tür.
"Wir sehen uns erst Übermorgen wieder... Ich will das du was anziehst was dir gefällt und dann treffen wir uns mit ein paar Freunden von mir und wir gehen zusammen einkaufen... Ich bezahl dir ein paar Sachen."

Überrascht starrte ich ihn.
Er will mich in sein Privatleben mitnehmen? Darf man das überhaupt?
"Ahm... Danke..."

Ich lächelte glücklich und wusste garnicht was ich sagen sollte...
Er ist wirklich ein... Sehr komische, aber auch mega lieber Psychiater. So hätte ich mir nie Psychiater vorgestellt...

Grade als ich rausgehen wollte, spürte ich seine Hand an meinem Handgelenk. Sofort drehte er mich zu sich um und umarmte mich feste. Ich glaube mein Schicksal, hatte ihn echt mitgenommen.
"Wir schaffen das zusammen."

Flüsterte er in mein Ohr.

Schnell drehte ich mich um, schloss die Tür und stand wieder im Flur. Langsam stolperte ich wieder in die große Halle. Erst jetzt viel mir auf das ich meinen Pulli vergessen hatte. Der war mir aber jetzt egal. Diese komische Tusse an dem Empfang starrte auf meine Narben und ihr Nagellack viel aus ihren Händen.
Die soll mal nicht so übertreiben.

Dachte ich mir und suchte mein Zimmer. Die letzte Tür hatte die Nummern 50-65. Ich hatte eiskalt das letzte Zimmer. Müde und erschöpft torkelte ich zum Zimmer und klopfte an. Niemand war drin und ein bisschen froh war ich darüber schon. Das Zimmer war recht groß mit zwei Betten, die jeweils einen kleinen Schrank besaßen.  In der Wand, gegenüber den Betten war der riesige Kleiderschrank. Dort stand auch mein Rucksack den ich nahm und hinein guckte. Viel war da nicht drin... Im Badezimmer lagen die normalen Waschsachen: Zahnbürsten, Zahnpaste, Bürsten... Schminke gab es nicht, fand ich nicht schlimm. Ich benutzte nie diese Pampe die man sich einfach ins Gesicht klatschte. Ich machte mich schnell bettfertig und suchte verzweifelt nach einem Pyjama.

Plötzlich öffnete sich die Tür und Florian stand da und starrte mich lachend an.
"Du hast deinen Pulli vergessen... Fehlt dir irgendwas?" Seine braunen Augen funkelten sorgenvoll, als er wieder auf meine Narben starrte.
"Ich brauche einen Schlafanzug..."

Sagte ich leise und erst jetzt bemerkte ich das er eine Kappe aufhatte. Leicht schmunzelnd musste ich lachen. Er sah mich fragend an, ging dann aber wieder raus.
Was wollte der jetzt hier? Meinen Pullover brauch ich nicht mal...

Sofort kam er wieder rein und diesmal kam er wirklich rein und schloss die Tür hinter sich.
"Eigentlich sind das meine Sachen, aber da ich sowieso hier nur eine Nacht gepennt hab, kannst du sie haben. Ich hatte sie eine Nacht angehabt, ich hoffe das stört dich nicht."

Er legte mir eine Boxershort und ein schwarzes Shirt von ihm hin und verschwand dann sofort wieder ohne ein Wort.
Er ist wirklich ein bisschen merkwürdig... Aber trotzdem nett! Mit Kappe sah er auch viel vernünftiger aus...

Ich zog mir seine Sachen an und roch dann an ihnen.  Sie rochen nach ihm und sein Duft war wirlich schön. Müde warf ich mich aufs Bett, kuschelte mich ein und schloss die Augen...

~ Mein Psychiater?! ~Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt