„Lucky"

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Dear Dad;

Ich erinnere mich an den Tag zurück, als meine Tante, deine Schwester, mich voller Angst angerufen hat. Obwohl ich zu dem Zeitpunkt noch nicht mit ihr über das Thema geredet hatte, schien sie schon etwas geahnt zu haben.

Jedenfalls meinte sie, dass du eigentlich längst bei Ihnen sein solltest. Das das schon ewig ausgemacht war und du aber nicht aufgetaucht bist.

Obwohl sie es auch schon hundert mal versucht hat, habe ich dich auch noch tausendmal angerufen. Angerufen. Aufgelegt. Angerufen, aufgelegt. Ich hatte so Angst.. so Angst. Weil man so oft hört, dass Alkoholiker ersticken, doof fallen..

Dann habe ich meinen Hund genommen und bin zu dir gelaufen; immer noch mit klopfendem Herzen und der größten Angst, was passieren würde, wenn ich jetzt an deiner Wohnung auftauche. Ob ich zu spät komme. Was ich vorfinden würde. Die Notrufnummer schon bereit.

Als ich dann bei dir ankam, habe ich Sturm geklingelt, weil ich keinen Schlüssel für deine Wohnung hatte. Du hast auch nach zehn Minuten noch nicht aufgemacht und meine Angst wurde immer schlimmer, ich war fast am weinen. Meine Tante hat immer wieder gefragt, ob ich dich jetzt schon erreicht hätte und das sie die Nachrichten nach Unfällen durchsehen, aber ich konnte Entwarnung geben, da dein Auto noch dort stand.

Als ich dann bei deinem Vermieter geklingelt habe, kamst du doch tatsächlich runter. Du hast „verschlafen" und „das Handy nicht gehört."

Weist du was? Fick dich dafür. Fick dich, weil ich so Angst hatte. Fick dich, weil du wieder nach abgestandenem Alkohol gerochen hast. Fick dich, weil ich mir bereits vorgestellt habe, wie ich dich Tot in deiner Wohnung auffinde.

Ich hätte wirklich fast geweint in diesem Moment und ich weiß nicht, welches Gefühl es war. Erleichterung, Angst, Trauer.. so vieles. Du hast versucht mich zu beruhigen, aber ich war nicht zu beruhigen. Nicht nach dem, was du dort gerade den Menschen angetan hast, die dich lieben.

Während ich das schreibe, zittern meine Hände wieder, weil ich mich daran zurück erinnere, was ich gefühlt habe. Wie ich gefühlt habe. Ich möchte nie wieder so eine Angst fühlen und doch, tue ich es eigentlich jeden Tag. Weil ich immer daran denke, dass du vielleicht an irgendeinem Tag nicht mehr aufwachen könntest.

Ich sollte diese Angst noch nicht haben müssen. Aber eigentlich, könntest auch leidlich du es verhindern.

Dear Dad Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt