Kapitel 6

13 1 0
                                    


Die nächsten Tage vergingen nur schleichend. Ich konnte an nichts anderes mehr denken, als, dass ich meinen Vater nicht wiedererkannte. Und er mich anscheinend genauso wenig. Hielt er mich etwa für das Hausmädchen?

Es war wieder einmal ein Montagmorgen und die Parkplätze waren alle voll. Innerlich verfluchte ich jedes einzelne Auto, welches vor unserem Laden stand und dachte einen kurzen Moment nach. Sollte ich mich nun vor die Konditorei stellen, oder auf einen kostenpflichtigen Parkplatz? Immerhin war der Ball und die Proben noch nicht vorbei, also durfte ich eigentlich noch nicht dort stehen. Und da sich Lukas das letzte Mal so sehr beschwert hatte, konnte ich wahrlich darauf verzichten, dass mich heute sein Vater im Laden besuchen kam.

Seufzend stellte ich mich in die blaue Zone, richtete meine Parkuhr und stieg aus meinem Auto aus. Eine halbe Stunde dufte man gratis parken, deswegen auch die Parkuhr. Aber der Rest musste bezahlt werden, und da ich mein Auto vor Mittag nicht umstellen konnte, hatte ich einiges zu bezahlen. 

"Guten Morgen Marie.", begrüßte mich meine Chefin, als ich den Laden betrat. "Wo hast du dich denn heute hingestellt? Dein Wagen steht gar nicht vor der Konditorei."

"Ich habe woanders geparkt.", meinte ich nur. Sie musste ja nicht wissen, dass ich extra Geld dafür ausgegeben hatte.

"Ich werde mich darum kümmern, ich verspreche es."

"Ja, ich weiß. Danke." Aber wie gesagt, ich wusste es besser. Bis sie sich endlich einmal darum kümmerte, gab es Schnee im August.

"Stell dir vor, wir haben neunzehn Bestellungen. Neunzehn!" Fast schon jubelte sie. Das Geschäft ging in den kalten Monaten immer besser, da die Menschen hier mehr an das Stricken und Basteln dachten, als an den heißen Tagen. Da dachten sie eher ans Schwimmengehen.

Während meine Chefin irgendwelche Büroarbeiten machte, kümmerte ich mich um die Bestellungen. Es gab sogar jemanden, der Bastelsachen für über zweihundert Euro bestellt hatte. Ich freute mich riesig, so eine große Bestellung zusammenrichten zu dürfen. Dabei malte ich mir wieder einmal aus, für wen das alles war und was sie damit wohl basteln würden. Dann gab es eine andere Bestellung, wo nur Bücher angeschafft wurden. Wir boten nämlich sehr viele, sehr gute Bastelbücher an. Genauso wie Strick- und Häkelbücher, usw. In meiner freien Zeit, wo ich im Laden nichts zu tun hatte, blätterte ich öfter mal durch die Seiten, um mir die Ideen anzuschauen. Erst als ich hier Angestellte war, lernte ich das Stricken. Und zwar durch eines dieser Bücher. Es lag zuhause, genauso wie meine Wolle und die Stricknadeln, die ich allerdings schon seit längerer Zeit nicht mehr angefasst hatte.

An der Tür klingelte es, und einige Senioren kamen herein. Darunter war auf Frau Edlinger, welche sofort auf mich zusteuerte. 

"Guten Tag!", begrüßte ich sie freundlich.

"Guten Tag, mein Kindchen. Habt ihr noch diese blaue Wolle, die ich vorige Woche bei euch gekauft habe?", stellte sie mir die Frage, wie jedes Mal.

Ich nickte. "Natürlich. Ich gehe sie nur schnell holen." Jede Woche, auch wenn kein Seniorentreffen war, kam sie in unseren Laden und holte sich neue Wolle.

Als die Senioren gegangen waren, widmete ich mich abermals den Bestellungen. Kaum war ich mit den neunzehn von heute Vormittag fertig, trudelte auch schon die nächste ein. Diese eine würde ich noch machen, bevor ich in meine Mittagsause ging.

Noch bevor ich mit der Bestellung anfangen konnte, klingelte das kleine Glöckchen an der Tür.

"Guten Tag!" Doch es handelte sich nicht um einen Kunden, sondern um Lukas in seiner Arbeitskleidung. "Ach, du bist es. Ich stehe heute gar nicht auf euren Parkplätzen.", verteidigte ich mich, noch ehe er seinen Mund aufmachen konnte.

"Ich weiß." Er lächelte mich an. "Deswegen bin ich ja hier. Ich habe gesehen, wo du dein Auto geparkt hast, und frage mich, warum? Wir hatten doch ausgemacht, dass ich dich in Ruhe lassen würde. Heißt das, du willst mir beim Tanzen nicht mehr helfen?", fragte er. Aus seinem Gesichtsausdruck konnte ich keine Emotion herauslesen. War er wütend? Enttäuscht? Glücklich? Ich wusste es nicht.

"Natürlich helfe ich dir noch, das habe ich dir doch schon gesagt. Aber ich dachte, dass unsere Abmachung erst nach dem Ball gilt."

"Sie galt ab dem Zeitpunkt, als du mir zugestimmt hast." Er kam auf mich zu und zog einen Fünfeuroschein aus seiner Hosentasche. Er wollte es mir reichen, doch ich wich einen Schritt zurück.

"Warum sollte ich dein Geld annehmen?" Ich schüttelte den Kopf.

"Das ist dafür, weil du fürs Parken etwas zahlen musst, obwohl du bei uns stehen könntest. Also, bitte nimm es."

"Nein. Es war meine Entscheidung, dass ich dort stehe."

"Nimm es einfach."

Doch ich schüttelte weiterhin den Kopf.

"Hm ... Warst du schon Mittag?", fragte er mich nun, woraufhin ich abermals den Kopf schüttelte. "Ist deine Chefin da?" Dieses mal nickte ich. "Gut.", er lächelte.

"Frau Haberneck!", rief Lukas durch den Laden. Am liebsten hätte ich ihn dafür geohrfeigt. Meine Chefin kam sogar bald darauf aus ihrem Büro heraus.

"Tut mir Leid, er hat keine Manieren.", wollte ich ihr klarmachen, doch sie grinste nur.

"Wäre es für Sie in Ordnung, wenn Marie jetzt gleich Mittag gehen würde?"

"Ja natürlich.", sagte sie. Während ich gleichzeitig: "Was?" fragte.

"Super, danke. Komm Marie." Er nahm mich an der Hand und führte mich aus dem Laden.

"Was soll das?", wollte ich von ihm wissen. "Du kannst nicht einfach bestimmen wann ich Mittag gehe und wann nicht."

"Du wolltest das Geld ja nicht annehmen, deswegen lade ich dich jetzt zum Essen ein. Was magst du lieber? Pizza oder Chinesisch?"

"Lukas, hörst du mir überhaupt zu?"

"Natürlich. Aber antworte lieber schnell auf meine Frage, bevor deine Mittagspause um ist."

"Du bist unmöglich.", fauchte ich, doch konnte mir dabei ein Grinsen nicht verkneifen. "Pizza."

"Zufällig kenne ich die beste Pizzeria in dem Kaff.", meinte Lukas verschwörerisch.

"Naja, sie ist ja auch die einzige."

"Das du alles immer so klein reden musst.", lachte Lukas und ging mit mir tatsächlich in die Pizzeria. Ihn schien es nicht zu stören, dass er noch seine Arbeitskleidung trug. "Also Marie, erzähl mir was von dir."

"Was willst du denn wissen?", fragte ich, während ich die Speisekarte überflog. Ich wusste ohnehin schon, was ich bestellen würde.

"Wie kommt es, dass jemand wie du, noch nie getanzt hat?"

"Es hat sich einfach nie ergeben." Ich zuckte mit den Schultern.

"Gehst du denn nie fort?"

"Mit wem denn?", lachte ich auf. Bis mir auffiel, dass ich ihm soeben preisgegeben hatte, dass ich einsam und alleine war und niemanden hatte, mit dem ich mich traf. Ich war ja so intelligent.

"Aber es freut mich, dass du trotzdem mittanzt.", meinte er, ohne auf meine Bemerkung einzugehen, und schien es ehrlich zu meinen. "Wenn du möchtest, kann ich dich morgen mitnehmen, dann müssen wir nicht mit zwei Autos fahren.", schlug er mir vor. Und da ich dieses Angebot für gut empfand, willigte ich ein.


-----------------------------

Hallo :)

Mich würde nach dem 6. Kapitel mal interessieren, wie euch die Geschichte gefällt? Und ob ihr meinen Schreibstil gut und angenehm findet? Oder ob ihr irgendwelche Verbesserungsvorschläge habt?

Vielen Dank fürs Lesen und weiterhin noch viel Spaß mit Marie und Lukas :)

Eure, Violet Crow

You are my lifesaverWo Geschichten leben. Entdecke jetzt