Kapitel 4

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Lukas

Es war nun eine Woche vergangen, seitdem ich Marie das letzte Mal gesehen hatte. Heute Morgen rief sie mich an, dass die Bestellung endlich angekommen war. Dieses Mädchen brachte mich oft zur Weißglut, dennoch mochte ich sie. Irgendwie.

"Paps, ich mach die Cupcakes noch fertig, und dann muss ich rüber in den kleinen Bastelladen. Die Wolle für den Ball ist endlich angekommen.", rief ich durch die Küche.

"In Ordnung!", bekam ich als Antwort.

Es war gut, in einem Familienbetrieb zu arbeiten, weil ich so auch meine Freiheiten hatte. Natürlich musste ich viel büffeln, doch ich tat es gerne. Meine Mutter war anfangs nicht ganz damit einverstanden gewesen, dass ich dasselbe tat, wie mein Vater. Aber mittlerweile fand sie es toll, außerdem sah sie es gerne, dass ich mich nicht wie mein Vater gehen ließ. Denn mein Vater genoss das Leben als Konditoreiinhaber in vollen Zügen. Beinahe jeden Tag musste er alles durchkosten.

Gerade als ich mit dem letzten Cupcake fertig wurde, läutete mein Handy. Ich entfernte mir die Handschuhe und angelte mein Handy aus der Hosentasche.

"Rita, was gibt's?" Rita war meine Tanzpartnerin für den Ball, und unsere erste Probe fand heute Abend statt.

"Ich habe schlechte Neuigkeiten." Beinahe glaubte ich sie am anderen Ende der Leitung heulen zu hören.

"Was ist los?" Ich war besorgt. Rita klang sonst nie so verzweifelt.

"Du weißt ja, dass ich gestern und heute einen kleinen Schiurlaub gemacht habe." Eine kurze Pause entstand. Ich ahnte nichts Gutes. "Und ich bin bei der letzten Abfahrt blöd hingefallen und habe mir mein Bein gebrochen." Jetzt heulte sie wirklich ins Handy und ich musste es ein paar Zentimeter weiter vom Ohr weghalten.

"Das klingt gar nicht gut.", meinte ich. Das klang mehr als gar nicht gut. Das war scheiße.  Jetzt musste ich mir eine neue Tanzpartnerin suchen, noch dazu jemanden der heute Zeit hatte und nicht schon beim Tanz dabei war. 

"Ich weiß, und es tut mir auch so Leid. Aber mit Gips kann ich unmöglich tanzen."

"Rita, das verstehe ich natürlich. Schau, dass du wieder gesund und fit wirst. Das ist alles, um das du dich im Moment kümmern solltest.", derweil ich das sagte, ratterte es in meinem Kopf schon auf Hochtouren. Wen könnte ich fragen, der infrage kommen könnte?

Als unser Gespräch beendet war, kam mir Marie in den Sinn. Doch ich verwarf den Gedanken sogleich wieder. Marie. Ganz klar. Jetzt war ich verrückt geworden. Diese Henne würde ich niemals fragen, ob sie mit mir tanzen würde. Doch als ich unzählige Kontakte auf meinem Handy angerufen hatte, und mir jede auf eine andere Weise abgesagte, schien mir der Gedanke, Marie zu fragen, nicht mehr so abwegig. Immerhin war es für einen guten Zweck. Vielleicht tat sie ja mit. Fragen kostete nichts, außer ein paar dumme Bemerkungen ihrerseits.

Marie

Das Glöckchen klingelte und Lukas kam zum Vorschein. Heute trug er wieder seine Arbeitskleidung, mit der er ansonsten immer ins Geschäft kam, um mir eine Predigt zu halten. 

"Warte eine Sekunde, ich bringe dir deine Bestellung." Und schon war ich verschwunden, um den Karton für Lukas zu holen. "Ich habe dir alles schon in einen Karton zusammengepackt, damit du es leichter zu tragen hast." Den Karton stellte ich auf den Kassatisch und tippte auf der Kassa herum. Als Lukas zahlte, blieb er noch stehen und schaute mich an. Irgendetwas wollte er mir sagen, doch stattdessen starrte er mich nur an.

"Ist etwas?", wollte ich von ihm wissen, da er sich noch immer nicht aus dem Staub machte. Normalerweise wollte er nichts wie weg.

"Ja, ich würde dich gerne etwas fragen."

"Du würdest mich gerne etwas fragen?" Ich zog die Stirn kraus. "Und was wäre das?"

Lukas atmete langsam und bedacht aus. So, als würde es ihm viel Mühe kosten, mich das zu fragen. "Hast du heute Abend schon etwas vor?"

"Warum?" Ich schaute ihn groß an. "Soll ich irgendwelche Cupcakes probieren? Ich meine, dafür bin ich immer zu haben." Ich grinste, doch meine Finger zitterten leicht. Warum fragte er mich, ob ich heute Abend schon etwas vorhatte? Wollte er etwa mit mir ausgehen? Bestimmt nicht. Er mochte mich ja nicht einmal.

"Es ist so, meine Tanzpartnerin, mit der ich für den Ball getanzt hätte, hat sich das Bein gebrochen. Heute ist unsere erste Tanzprobe, und es findet sich niemand, der mittanzen möchte." Er schien viel Mühe damit gehabt zu haben, dies zu sagen. 

"Vielleicht, weil niemand mit dir tanzen will?" Ich widmete mich dem Computer und schaute, ob neue Bestellungen zu abarbeiten waren. Tatsächlich befand sich eine neue Bestellung am Computerbildschirm. 

"Ich gebe zu, es war eine blöde Idee dich zu fragen. Du hättest dem sowieso nie zugestimmt, weil du lieber ein eintöniges, falsch parkendes Leben führen möchtest." Lukas war schon am Gehen, als mir etwas einfiel.

"Was bekomme ich dafür, wenn ich es tue?" Ich konnte nicht glauben, dass ich sozusagen einwilligte, mit ihm zu tanzen. Wusste ich eigentlich auf was ich mich einließ?

Lukas drehte sich zu mir um, stellte den Karton wieder auf den Kassatisch und lächelte mich an. Ich dachte, ihn noch nie so Lächeln gesehen zu haben. Bisher waren wir eher immer streitlustig aufeinander losgegangen. 

"Wie wäre es damit, dass wenn du bei allen Proben dabei bist und mit beim Ball tanzt, ich dich nie wieder darauf anreden werde, dass du falsch parkst, wenn eure Parkplätze wieder einmal voll sind."

"Das klingt nicht einmal schlecht. Da könnte ich schon beinahe einwilligen." Ich dachte kurz nach. Eigentlich war das ein gutes Angebot, welches ich bestimmt nie wieder bekommen würde. "Wann sind die Proben immer?"

"Jeden Dienstag von 19:00 bis 21:00. Heißt das, du hilfst mir?" Lukas Augen leuchteten auf.

"Ich kann aber gar nicht tanzen. Ich denke, ich würde dich nur blamieren.", meinte ich dann. Eigentlich war es ja wirklich eine doofe Idee. Noch nie in meinem Leben hatte ich einen Tanzkurs belegt.

"Deswegen gibt es ja die Proben mit einem Tanzlehrer. Du wirst sehen, es wird dir Spaß machen. Tanzen gefällt grundsätzlich jedem."

"Naja, ich bin nicht jeder." Ich lachte laut auf und schüttelte dann meinen Kopf. "Ich weiß, das Angebot klingt wirklich toll, aber du magst mich nicht einmal. Und ich mag dich auch nicht. Wir würden beim Tanzen vermutlich nicht harmonieren."

"Da magst du recht haben." Lukas dachte kurz nach. "Und wenn wir einfach so tun, als würden wir uns mögen? Lass es uns versuchen, vielleicht klappt es ja."

"Das wir uns mögen?" Ich musste schlucken. Es stimmte nicht ganz, dass ich ihn nicht mochte. Auf eine gewisse Art und Weise mochte ich diesen unsympathischen, sexy aussehenden jungen Mann sogar, aber wir sind uns schon so oft auf die Nerven gegangen, dass ich nicht wusste, ob man das alles einfach so überschauen konnte. "Ich denke, einen Versuch ist es Wert. Ich werde dir heute Abend helfen. Und wenn es mit uns zwei überhaupt nicht klappt, dann war das ein einmaliger Versuch.", meinte ich.

Lukas nickte. "Das klingt gut. Dann treffe ich dich heute Abend." Er nannte mir noch den Treffpunkt und verschwand dann aus dem kleinen Bastelladen. 

"Wow, ich habe also wirklich zugestimmt, mit Lukas zu tanzen. Bin ich eigentlich komplett bescheuert?", fragte ich mich selbst, ehe ich mit der Bestellung am Computerbildschirm weitermachte. Über mich selbst konnte ich allerdings nur den Kopf schütteln.


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