Kapitel 3

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Clare überlegt kurz und antwortet dann:
„Ich wäre höchstwahrscheinlich aus dem Fenster gesprungen. Natürlich hängt das ganze von der gesamten Situation und von meinen derzeitigen Prioritäten ab, dennoch erscheint mir das Fenster als beste Option."
Walker nickt zustimmend. Er dreht sich wieder zur Klasse, um mit seiner Erzählung fortzufahren.
In diesem Moment ertönt  ein lauter Knall und alle zucken erschrocken zusammen. Die beiden Agenten werfen sich bedeutende Blicke zu.
„Bleibt alle ruhig!", ruft die junge Frau den Schülern zu, „Agent Walker wird bei euch bleiben, während ich nachschaue, was los ist."
Überrascht sieht dieser sie an. Doch bevor er Clare widersprechen kann, rennt sie bereits mit der Hand an ihrer Waffe an ihm vorbei aus dem Klassenzimmer.
Überall um sie herum, herrscht hektisches Treiben. Doch wie die Agentin feststellt, gibt es nur zwei Richtungen, in die sich die Personen bewegen. Entweder zu der großen Haupthalle, oder weg von ihr. Das kann nur eins bedeuten. So schnell wie möglich, schlängelt sie sich durch den Gang und kommt dann endlich an der Halle an. Doch während es auf dem Weg zu dieser ziemlich laut gewesen ist, ist es hier umso leiser. Entschlossen bahnt sie sich durch die Menschentraube und bleibt dann geschockt stehen.
Auf den Stufen, die in den zweiten Stock führen, steht ein junger Mann. In der rechten Hand hält er eine Waffe, in der linken eine Akte. Clares Blick wandert nach oben und erkennt ein kleines Loch in der Decke. Ein Warnschuss also, Verletzte scheint es keine zu geben. Ihre grauen Augen richten sich wieder auf den Schützten. Sie kennt ihn. Er ist ihr Schüler, um genau zu sein. Die Agentin will noch einen Schritt nach vorne machen, doch jemand hält sie fest. Überrascht sieht sie ihre Freundin an, die leicht den Kopf schüttelt. Besorgt beobachtet sie weiter die Szene aus der Menge. Der junge Mann ist umstellt von mehreren Agenten, die ihre Pistolen auf ihn richten.
„Sofort mit der Waffe runter!", brüllt einer von ihnen.
Doch der Schütze wirft ihm nur ein warnenden Blick entgegen und ruft wütend:
„Was ist mit meiner Schwester passiert, was habt ihr ihr angetan?!"
Wild fuchtelt er mit der Akte herum.
In Clare Kopf rattert es. Seine Schwester? Sie durchforstet ihr Gedächtnis. Soweit sie weiß, hat ihr Schüler nie etwas von einer Schwester erzählt. In dem Bericht, den sie über ihn bekommen hat, werden auch keine Geschwister erwähnt. Da steht nur etwas von... Die Augen der Agentin weiten sich. Hill, natürlich! Warum ist ihr das bis jetzt noch nie aufgefallen? Die Ähnlichkeit der beiden ist verblüffend.
Innerlich fluchend überlegt Clare, was sie nun als nächstes tun soll. Aber ihr fehlt die Zeit. Entschlossen reißt sie sich von ihrer Freundin los.
„Was...?", fragt diese noch überrascht, doch es ist bereits zu spät.
Clare ist bereits aus der Masse getreten und richtet ihre Waffe auf den jungen Mann.
„Luis. Was machst du hier?"
Ihre Stimme ist ruhig und sanft.
„Ms. Lewis? Wissen Sie vielleicht, was mit meiner Schwester passiert ist? Sie müsste ungefähr in Ihrem Alter sein. Niemand hier will mir Antworten geben, und in der Akte steht auch nichts genaues. Weder wann, warum und wie! Ich bin mir hundertprozentig sicher, dass ihr auf einer Mission was passiert ist, aber selbst nachdem ich die Akte über sie gestohlen haben, kenne ich die Antwort nicht! Können Sie mir helfen?!"
Die Ausbilderin erkennt die Verzweiflung in seiner immer lauter werdenden Stimme.
Er sucht als nur nach Antworten. Vielleicht kann sie dann noch mit ihm reden und ihn beruhigen.
Vorsichtig nimmt Clare eine gelassenere Haltung ein, lässt aber die Waffe erhoben.
„Es wäre möglich, dass ich deine Schwester gekannt habe. Aber lass uns das in Ruhe besprechen, ohne, dass wir gegenseitig Pistolen auf uns richten, okay?"
Gespannt beobachtet sie, wie der Schütze zu überlegt scheint. Doch gerade als dieser seine Waffe zu senken beginnt, fällt ein Schuss. Luis schreit auf und sein linkes Bein knickt ein.
„Jetzt, Zugriff!!!"
Wütend dreht Clare ihren Kopf zur Seite. Walker rennt aus der Menschenmenge und stürzt wie die anderen Agenten auf den Verletzten zu. Doch dieser hat sich schnell wieder gefangen und richtet seine Pistole auf die Menge.
„Noch ein Schritt weiter und ich schieße!!!", brüllt er und die Männer stoppen augenblicklich.
„Weg mit den Waffen oder ich schieße!!!"
Es herrscht Stille und die Agenten zögern. Ein Blick in Walkers Gesicht und Clare weiß, dass dieser den Schüler jeden Moment erschießen wird.
„Tut was er sagt!"
Der Agent sieht sie wütend an.
„Tut was er sagt.", wiederholt sie und ignoriert den bösen Blick. Sie wird es nicht zulassen, dass es unnötig Tote geben wird.
In den wenigen Jahren, die sie im Außendienst verbracht hat, hat sie sich als fähige Agentin bewiesen und ihre Kollegen respektieren sie. Langsam senken diese ihre Waffen und auch Walker muss es notgedrungen ihnen gleichtun.
„Sie auch!"
Clare selber hat ihre Pistole noch auf Luis gerichtet, welcher sie misstrauisch ansieht.
„Luis..."
„Ich sagte, Sie auch!!!"
Die Agentin atmet tief ein und aus. Sie schätzt ihren Schüler nicht als jemanden ein, der einfach einen Menschen erschießen kann.
Still wägt sie ihr weiteres Vorgehen ab.

1. Sie folgt Luis' Anweisung und legt die Waffe ebenfalls weg. Sie darf so wenig bedrohlich wie möglich wirken.

2. Sie wird ihre Pistole nicht weglegen. Ansonsten werden die andere Agenten vielleicht wieder eingreifen. Das darf sie nicht zulassen, es würde mindestens einen Toten geben.

3. Sie nähert sich ihm mit erhobener Waffe. Er muss seine ganze Aufmerksamkeit auf sie richten. Sonst kann diese Situation nie entschärft werden.

Prosecution-Treffen mit dem Tod (pausiert)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt