Kapitel 1.2

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Nervös lief im im Musikzimmer, hin und her, und wartete darauf, dass mein Vater zu mir kam. Normalerweise wurde der Raum von meiner Großtante Maddy und Lady Arista als Aufenthaltsraum genutzt. Tatsächlich zu musizieren, wäre ihnen allerdings im Traum nicht eingefallen. Heutzutage gab es hier nichtmal mehr ein Klavier, aber während der Jahrhunderte, in denen unser Haus existierte, hatten hier die feinen Damen Harve oder Cembalo gespielt und gepflegte Konversation betrieben.

Die Luft roch nach den Zigarren meiner Großmutter und Maddys Parfüm, eine nicht allzu angenehme Mischung. Ein offenes Fenster hätte dem Raum sicher nicht geschadet. Wenn ich hier zu lange feststeckte, würde ich noch Schwindelgefühle wegen Sauerstoffmangels bekommen.

Plötzlich wünschte ich mir, ich hätte mich angezogen, mir etwas mehr Zeit gelassen, bevor ich so übereilig zu meinem Vater gerannt war, es dauerte wahrscheinlich noch Stunden bis zu meinem Initiationssprung. Jetzt stand ich hier in nichts weiter als einem ausgeleierten T-Shirt und abgetragenen Schlabbershorts. Das konnte ja heiter werden. Sollte ich bei meiner Landung auf ein paar musizierende Damen treffen, würden sie mich noch für eine Obdachlose Straßenräuberin oder ähnliches halten.

„Geht es dir gut?", hörte ich plötzlich die warme Stimme meines Großvaters hinter mir.

Lächelnd drehte ich mich zu ihm um. „Ich bin nur ein bisschen aufgeregt, das ist alles."

„Und das nicht ohne Grund." Lucas zwinkerte mir aufmunternd zu. „Aber mach dir keine Sorgen, Enkeltochter. Wir werden uns darum kümmern, dass dir nichts passiert."

Ich nickte. Seine bloße Anwesenheit beruhigte mich ein wenig. Trotzdem begann ich, nervös mit meinen Haaren zu spielen, und es fehlte nicht viel und ich würde an meinen Fingernägeln kauen.

„Wie spät ist es eigentlich?", fragte ich, ohne mich wirklich dafür zu interessieren. Irgendwie musste ich mich ja ablenken.

„Kurz nach drei. Du hast dir wirklich die beste Zeit ausgesucht, um Schwindelgefühle zu bekommen", schmunzelte er und ließ sich gähnend in einen Sessel fallen.

„Tut mir echt leid", murmelte ich ein wenig schuldbewusst. „Hey, wenn du willst, leg dich doch einfach wieder schlafen, ich komme schon alleine klar."

Energisch schüttelte er den Kopf. „Kommt gar nicht in – hey, ist alles in Ordnung?"

Doch ich konnte nicht antworten, es kostete mich meine gesamte Konzentration, nicht umzukippen. Eine erneute Welle der Übelkeit und des Schwindels war über mich gekommen, genauso unerwartet und plötzlich wie das letzte Mal, meine Beine fühlten sich an wie Wackelpudding. Und zu allem Überfluss kamen in diesem Augenblick auch noch, als hätten sie geahnt was los war, Lady Arista und mein Dad ins Zimmer. Sie konnten gerade noch sehen, wie sich meine Finger an dem antiken Schreibtisch festklammerten, während der Erdboden auf mysteriöse Weise näher zu kommen schien, dann war es auch schon wieder vorbei.

Während mein Vater wie ein Verrückter begann, auf und ab zu rennen und mir unsinnige Fragen zu stellen, stakste Lady Arista, steif wie eh und je, zu meinem Großvater hinüber und nahm neben ihm Platz. Für ihre Verhältnisse sah sie ziemlich mitgenommen aus. Die Haare, sonst immer perfekt in eine strenge Frisur zurückgekämmt, waren ein wenig verstrubbelt und ihrem stets beherrschten Blick meinte ich eine Spur von Aufregung zu erkennen. Vielleicht bildete ich mir das aber auch nur ein. „Du solltest dir einen Morgenmantel überziehen, Kind, sonst holst dir noch eine Erkältung."

Ich zuckte die Schultern. Und wennschon. Außerdem war es im Musikzimmer um diese Jahreszeit, mitten im Juni, mehr als nur warm.

„Hast du schon bei den Wächtern angerufen, Dad?", fragte mein Vater, den ich noch nie so angespannt erlebt hatte, an Lucas gewandt.

„Nein, Harry, da werde ich um diese Uhrzeit werde ich dort wohl kaum ein Mitglied des inneren Kreises erreichen. Außerdem bin ich der Großmeister der Loge, schon vergessen?"

Dad war kein Mitglied des inneren Kreises, er hatte nie viel mit den Mysterien unserer abgedroschenen Familie zu tun haben wollen, aber da er nun mal das Pech hatte, eine Zeitreisende als Tochter zu haben, war er automatisch über Einiges informiert.

„Nein. Tut mir Leid. Ich bin nur so aufgeregt." Und damit war er nicht der einzige. Nervös fuhr er sich mit beiden Händen durch die Haare, die ihm ohnehin schon zu bergen standen. Die roten Locken hatte ich wohl von ihm geerbt, eine Haarfarbe, die in der Familie Montrose sehr dominant war.

„Weiß Mum bescheid?", fragte ich und ließ mich auf ein Sofa fallen. Dad schüttelte den Kopf.

„Lassen wir ihr ihren Schönheitsschlaf."

„Zumal es äußerst unwahrscheinlich ist, dass du bis zum Weckerklingeln springst, morgen hat sie sicher noch genug Zeit sich Sorgen zu machen."

„Warum lassen wir Lucy dann nicht noch ein bisschen Schlafen?"

„Weil die Möglichkeit besteht. Wir wollen doch kein Risiko eingehen. Ihr war schon zwei mal schwindelig."

„Ja, aber -" Und so begannen die drei eine ewig währende Diskussion darüber, wann ich wohl springen würde, was wir jetzt am besten unternahmen, und Gott und die Welt. Meine Gedanken drifteten ab, ich versuchte, an die Schule zu denken, und daran, dass ich die Mathehausaufgaben nicht gemacht hatte, und was für ein Glück es doch war, dass ich morgen wahrscheinlich da sein würde, sie nicht vorzeigen musste. Doch immer wieder drängte sich der bevorstehende Zeitsprung in mein Bewusstsein. Dann versuchte ich, mich mit dem bevorstehenden Trip ins Dungeon mit meinen besten Freunden Calli und Jordan abzulenken, und irgendwann hörte ich sogar meiner Familie wieder zu (ja, ich war wirklich verzweifelt), aber nichts half. Nach einer gefühlten Ewigkeit konnte ich es nicht mehr ertragen, still zu sitzen, und sprang auf.

„Ich muss aufs Klo", informierte ich die anderen nüchtern.

Mein Vater, der es sich inzwischen auch auf einem rosa bestickten, sehr männlich wirkenden Sessel bequem gemacht hatte, sprang wie von der Tarantel gestochen auf. „Ich komme mit."

Genervt verdrehte ich die Augen. „Aufs Klo, Dad. Das schaffe ich wohl noch alleine. Und wie ihr vorhin ja so schön erläutert habt, es wird wohl noch ein wenig dauern, bis ich verschwinde."

Mein Spiegelbild blinzelte mir müde entgegen, als ich mir die Hände wusch. Die blauen Augen stachen aufgrund der dunklen Ringe darunter ganz besonders hervor, ich sah bleich und überspannt aus. Und wie um mein Erscheinungsbild abzurunden standen meine Haare auch noch in alle Richtungen ab. Ich klatschte mir ein wenig kaltes Wasser ins Gesicht und kämmte die Locken mit meinen Fingern, doch es half nichts.

Große Lust, zurück in das stickige Musikzimmer zurückzukehren, hatte ich nicht, außerdem knurrte mein Magen wie verrückt, also beschloss ich, mir einen Snack aus der Küche zu holen.

So leise wie möglich schlich ich die knarrende Treppe hinunter, die lautesten Stufen, die mir nach sechzehn Jahren in diesem Haus mehr als bekannt waren, übersprang ich.

Graues Morgenlicht sickerte durch die Fenster und tauchte die Antiquitäten, mit denen unser gesamtes Haus vollgestopft war, in ein unheimliches Dämmerlicht. Und während ich noch darüber nachdachte, was ich mir zu essen holen wollte, überkam mich der Schwindel erneut, diesmal so heftig, dass es mich von den Füßen riss und durch Raum und Zeit schleuderte. 

Saphirmädchen - It's time.Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt