Kapitel 3.2

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 Im ersten Augenblick bemerkte mich niemand, und für wenige Sekunden stand ich einfach nur da und beobachtete das Chaos, das hier herrschte. Mr George, mein Großvater, Marley, Dr. White, Alexander de Villiers, Grandpas Stellvertreter und Pauls Vater, und Falk de Villiers, Pauls deutlich älterer Bruder, führten gerade eine hitzige Diskussion, offenbar ging es darum, wo ich wohl gelandet und ob ich gerade abgeschlachtet wurde.

Mein Blick wanderte zu Paul, der mit einem leicht amüsierten Gesichtsausdruck an der Wand lehnte, ihn schien das alles überhaupt nicht zu interessieren. Als er mich entdeckte hoben sich seine Mundwinkel ein wenig. „Regt euch ab, da ist sie ja schon wieder. In einem Stück und unverletzt."

Böse funkelte ich ihn an, mein Verschwinden schien ihn völlig kaltzulassen. Er könnte sich wenigstens ein kleines bisschen Sorgen machen.

„Lucy! Geht es dir gut?", rief mein Grandpa erleichtert.

Beruhigend lächelte ich. „Ja, alles in Ordnung. Wie lange war ich diesmal weg?"

„Kaum zehn Minuten." Marleys Stimme jagte mir Schauer über den Rücken, selbst wenn er mal nicht versuchte, alles und jeden einzuschüchtern (ja, ich war fest davon überzeugt, dass ihm seine unheimliche Ausstrahlung gefiel und er sie pflegte). „Du scheinst beinahe so unruhiges Blut zu haben wie der Graf selber. Er ist als junger Mann, bevor er die Geheimnisse des Chronografen entschlüsselt hat, bis zu sieben mal am Tag gesprungen."

Als ob ich das nicht selber wüsste. „Na, was für ein Glück, dass ich das nicht erleben muss. Ich kann ganz gemütlich elapsieren."

„Hast du irgendeine Idee, in welcher Zeit du warst?", fragte Alexander, ohne auf meine Bemerkung einzugehen.

„Ja, eine ziemlich genaue sogar." Dramatisch schaute ich in die Runde, einfach nur, weil ich die gespannten Gesichter um mich herum irgendwie lustig fand. Der Schlafentzug machte sich langsam wirklich bemerkbar, mein Gehirn fühlte sich ganz ausgefranst an. „Ich bin am 14. August des Jahres 1667 gelandet. Ein Jahr nach dem großen Brand."

Lucas und Alexander tauschten einen überraschten Blick. „Woher weißt du das so genau?"

„Das ist einfach: Ich habe gefragt."

„Willst du sagen, du bist da einfach ... zu irgendjemandem hingegangen, in einer Zeit, in der es die Loge noch gar nicht gab, in der dieses Gebäude frisch erbaut war, und hast ... hast gefragt welches Jahr gerade ist?"

Alexanders Gesichtsausdruck, der in einem fort von ungläubig zu wütend zu verzweifelt wechselte, war zu komisch, er schien völlig außer sich, und ich musste mich wirklich beherrschen, nicht laut los zu lachen. Der Mann war unheimlich leicht zu reizen. Schon als wir Kinder waren, hatten Paul und ich uns einen Spaß daraus gemacht. Für einen winzigen Augenblick fing ich seinen Blick auf, und er schien mindestens genauso zu amüsieren, wie ich. „Ja, genau, das will ich damit sagen."

Alexander schnappte nach Luft. „Lucy! Hast du denn gar nichts gelernt? Die Leute hätten dich für eine Verrückte halten und Gott weiß was mit dir anstellen können! Hat sich denn niemand gewundert, wie du dorthin gekommen bist? Man hätte dich für eine Einbrecherin halten können! Was hast du denn gesagt, wo du herkommst?"

Jetzt konnte ich mich nicht mehr beherrschen, ich fing haltlos an zu kichern. „Ich meinte ich sei Lucy Montrose, eine Zeitreisende aus dem Jahr 1992, und hätte keine Ahnung in welchem Jahr ich gelandet bin. Weder Jonathan noch Timothy de Villiers schienen wirklich beeindruckt zu sein."

Nun stimmte mein Großvater in mein Lachen ein. „Warum hast du das nicht gleich gesagt? Du hast mir einen furchtbaren Schrecken eingejagt!"

„Das war doch der Sinn der Sache." Ich grinste ihn an.

„Du bist wirklich unmöglich, Enkeltochter. Dann hast du also die Zwillings-Karneole getroffen? Auf einer ihrer Zeitreisen, nehme ich an? Wie sind sie so?"

Ich zuckte die Schultern. „Keine Ahnung. Hatte ja kaum Zeit mit ihnen zu reden, und sie waren nicht viel älter als ich, aber sie schienen ganz nett zu sein. Und ganz fasziniert von der Idee, dass wir der Schließung des Blutkreises so nahe sind."

„Es gibt wohl kaum jemanden, der deshalb nicht aufgeregt ist, oder?", warf Dr. White, der bisher konsequent geschwiegen hatte, ein. „Nur noch achtzehn Jahre, ich kann es kaum glauben ..."

Die Herren Wächter diskutierten noch ein wenig über mein „unruhiges Blut", die de Villiers Zwillinge, und Gott und die Welt, bis sie schließlich auf die glorreiche Idee kamen, mich endlich elapsieren zu lassen, bevor ich einen dritten unkontrollierten Zeitsprung erleben musste (den ich, ihrer Meinung nach, wohl kaum überleben würde).

„Bereit für ein unvergessliches Abenteuer im Jahr 1948?", fragte Paul mich mit einem leichten Grinsen von der Seite, als wir vor den Chronografen in all seiner Pracht traten. Ich betrachtete das Gerät skeptisch. Für jeden Zeitreisenden gab es einen Edelstein, angeordnet wie das Ziffernblatt einer Uhr. Der Saphir war auf der zehn. Unter jedem dieser Edelsteine befanden sich zahlreiche Rädchen und Fächer, bei dem Anblick wurde mir regelrecht schwindelig. Ich wusste, was ich zu tun hatte. Da der Chronograf mit Blut funktionierte, würde er einen Tropfen meines Blutes brauchen, um mich zu identifizieren.

„Bereit, wenn du es bist", flüsterte ich, ohne darüber nachzudenken, und versenkte meinen Finger in einer kleinen Öffnung im Zentrum der Maschine. Eine feine Nadel stach mir in die Haut und ich zuckte leicht zusammen. Dann wurde ich eingesogen von einem Strudel klaren, blauen Lichts, das den gesamten Raum erhellte, und für eine Moment war ich gefangen in einem Nichts, während die Zeit rückwärts lief.  


Saphirmädchen - It's time.Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt