Liebe Oder Hass II

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Merewyn meinte, das Herz würde ihr aus der Brust springen. Sie vergrub ihre Hände an seiner Tunika und drückte, so weit es ging noch näher an den Elben. In ihr prickelte es, ihre Brust hob und senkte sich rasch. Alles um sie herum existierte nicht.
Weder die weiter herabfallenden Blätter, noch die zwitschernden Vögel, noch die warme Sonne auf ihrem Haar.
Nicht außer ihm und seinen Armen, die sie noch näher an sich drückten. Feuer strömte durch ihre Adern und vertrieb alles Finstere, ließ ihr Herz, wenn möglich, noch schneller schlagen.

Legolas vergrub seine Finger in dem dicken, dunklen Haar, weich wie Seide. Eine Hand glitt ihren Rücken hinab zu ihrer schmalen Taille, die Glut, die bei jeder ihrer Berührungen da gewesen war, entflammte wieder, mächtiger den je zuvor. Er wollte das junge Mädchen nicht erschrecken, wusste er doch, dass sie mit diesen Dingen kaum Erfahrung hatte, doch es schien unmöglich, diese Glut zu zähmen, lag sie doch in seinem Arm und küsste ihn, sanfter wie er, zurück.
Schließlich lösten sie sich rasch atmend von einander. Legolas zog sie schweigend sanft an seine Brust und willig schmiegte sie sich an. Er vergrub seinen Kopf in das dunkle Haar.


„Wie viele Tote?“ Thranduil hob den Kopf und sah seinen Hauptkommandeur fragend an.
Dunkelheit hatte sich bereits über den Düsterwald gelegt. Im Fackellicht sah der König die dunklen Flecken auf der Rüstung von Legolas‘ Stellvertreter. Sein braunes Haar war wirr und verschmutzt und in seinem Gesicht sah man die Erschöpfung.
Jener Mann antwortete: „Im Moment ungeklärt. Es war ein feiger Angriff. Fast nur Frauen und Kinder. Ihre Männer sind großteils in den Befestigungsanlagen in der Nähe gewesen. Zahllose tote Kinder, Herr, die Frauen ließen sich von uns nicht anfassen und flohen.“ Dem eigentlich schon sehr erfahrenen Elben war sein Schrecken und sein Entsetzen anzumerken. „Wir haben ein paar Kriegerinnen hinterhergeschickt. Viele Leichen waren grausigst verstümmelt und die lebende Dorfbewohner erzählen, dass viele Gefangene gemacht wurden.“ Thranduil fragte, seinen Schmerz unterdrückend: „Welches Dorf?“ Der Hauptmann entgegnete: „Meril en Taur.“ Es war ein Dorf an der Grenze. Es war perfekt für einen Angriff und es war schon oft angegriffen worden. Er selbst hatte es schon oft besucht. Es stand unter Crabanions Aufsicht. Thranduil vergrub den Kopf in den Händen. Sein Sohn würde durchdrehen, wenn er davon hörte. Thranduil schloss kurz die Augen und rang seinen Zorn und den Schmerz nieder. Wer sein Volk verletzte, verletzte ihn. „Weißt du schon, wen sie großteils gefangen nahmen?“ „Kinder“, antwortet der Kommandeur, „ausschließlich Kinder.“ Kinder, wer nahm Kinder gefangen? „Habt ihr die Spuren nachverfolgt?“ Der Elb vor ihm zögerte kurz. Er schien mit sich zu ringen. Schließlich antworte er knapp: „Ja, Herr.“ „Und“, fragte König Thranduil mit aller Geduld, die er aufbringen mochte, „wohin führen sie?“ „Warum, Thranduil, fragst du, wenn du es weißt?“, fragte eine leise Stimme in ihm. 
„Sie führen zu der Grenze, Herr.“ Na, da hast du’s. „Aber Herr…“ Thranduil hob seinen Blick und deutete ihm mit einer Handbewegung, weiterzureden. Der Elb sprach: „Herr, darf ich offen sprechen?“ „Tu es, Galahir !“ „Euer Gnaden, ich denke nicht, dass es die Moreldar waren.“ Der König hob interessiert den Kopf. Selbst im Schatten der Fackel erkannte er das Unwohlsein des Hauptmannes. „Die Moreldar sind grausam, Herr. Aber so etwas haben sie noch nie angerichtet. Außerdem sind wir auf dem Weg mit einem Bündnis mit ihnen. Warum sollten sie das tun? Wenn wir sie zu unrecht beschuldigen, kann alles an Frieden schief gehen, was wir mit ihnen aufgebaut haben.“ Dies war doch nicht einmal so unwahr. Aber was war dies für ein Frieden. Würde er Duatharan, der den Mörder seiner Frau nicht einmal gestraft hätte, begegegnen können, ohne ihm die Kehle herauszureißen? Thranduil bemerkte, dass die Wache noch immer hier stand und antwortete: „Aber wer, mein Hauptmann, soll es sonst gewesen sein? Ich denke, die Liebe zu deiner moreldirischen Frau mag dich im Bezug auf sie blenden. Aber dennoch danke ich für deine Ehrlichkeit, mellon nin.“ Sichtbar erleichtert verneigte sich der Elb tief und ging weg.
Thranduil starrte in die Flammen seines Kamins. Bilder seiner Frau flackerten vor seinem inneren Auge. Wie sie ihre Söhne in den Armen trug, wie sie friedlich schlief, wie sie voll Freude über den Frühling unter den blühenden Bäumen tanzte. Bilder von seinem jüngsten Sohn, wie er seine ersten, stolpernden Schritte machte, seine Klugheit und sein scheinbar unendliches Wissen. Wie er sein verlorenes Schwert Agardelos nannte, weil er den Krieg verabscheute…Seine Frau wie sie tot vor ihm lag, mit zerfetztem Kleid und blutiger Kehle. Ihre Augen, wie sie selbst im Tod noch schrien. Sein Sohn, bleich und blutig, wie er in den Armen seiner Brüder nachhause getragen wurde, ohne je wirklich gelebt zu haben.
Sie hatten Leichen aus ihnen gemacht, wären sie nicht, würden sie noch leben. Aber, wenn Galahir die Liebe zu seiner Frau blind machte, machte ihn dann sein Hass blind? Was war besser? Aus Liebe blind sein, oder aus Hass?

Mereth di Edhal | Herr der Ringe | by: ArcharnielWo Geschichten leben. Entdecke jetzt